Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 21. November 2005, Heft 24

Löcherkäse und Klassenjustiz

von F.-B. Habel

»Es war einmal ein Vertrag zwischen einer Filmgesellschaft und einem Autor, der wurde von der Gesellschaft anständig und sauber erfüllt. Das war kurz vor der Erfindung der Fotografie«, beklagte sich Peter Panter alias Kurt Tucholsky in der Weltbühne Nr. 44 von 1931. Gerade hatte er Pech mit einem Szenarium gehabt, das nie verfilmt wurde.
Wenig bekannt ist allerdings, daß eine seiner schönsten Geschichten schon zu seinen Lebzeiten den Weg auf die Leinwand fand. Im Jahr 1932 entstand der Kurzspielfilm Wie kommen die Löcher in den Käse? nach seinem erfolgreichen Kurzprosastück Wo kommen die Löcher im Käse her?, das 1928 in der Vossischen Zeitung zum ersten Mal veröffentlicht worden war. Leider gilt der Film als verschollen, so daß wir nur wissen, daß der etwa achtzehnminütige Streifen am 16. August 1932 im U.T. am Kurfürstendamm uraufgeführt wurde. Produzent war der Regisseur Erich Waschneck (1887-1970), ursprünglich Kameramann, der seit Ende der zwanziger Jahre Filme aller Genres inszenierte. Unter anderem debütierte die Schwedin Kristina Söderbaum in Waschnecks Reuter-Adaption Onkel Bräsig. Sie war später der Star in den nationalsozialistischen Propagandafilmen ihres Mannes Veit Harlan, beispielsweise in dem perfiden Machwerk Jud Süß (1940). Hier schließt sich auch wieder der Kreis zu Waschneck, der im gleichen Jahr den antisemitischen Hetzfilm Die Rothschilds über die »Finanzjuden« realisierte. Als der Käse-Film herauskam, lebte Kurt Tucholsky schon nicht mehr in Deutschland. Eine Reaktion auf die Verfilmung ist von ihm nicht bekannt, so daß man annehmen muß, daß er sie nie gesehen hat.
Weitere Tucholsky-Adaptionen sind erst aus der Nachkriegszeit bekannt. Da das Augenmerk der Filmgeschichtsschreibung selten auf Kurzspielfilme fällt, sind auch die Tucholsky-Filme der DEFA heute vergessen, obwohl sie damals als Vorfilme ein großes Publikum fanden.
Von 1953 bis 1965 existierte die DEFA-Gruppe Stacheltier, die hunderte beim Publikum beliebte satirische Kurzspielfilme produzierte. Oft gaben Kabarettsketche die Vorlagen ab. Mißhelligkeiten im Alltag wurden aufgespießt, und auch dem politischen Gegner in der Bundesrepublik galten zahlreiche Attacken. Absolute Ausnahme war die Adaption von Vorlagen eines Klassikers der Satire. Kurt Tucholsky, der eine Art Säulenheiliger der Satire in der DDR war – wurde diese Stacheltier-Ehre viermal zuteil. Der erste, der sich an Tucho wagte, war der Stacheltier-Veteran Heinz Thiel (1920-2003), der ansonsten für seine propagandistisch gefärbten Kriminalfilme aus dem Milieu der wachsamen Zoll- oder Grenzorgane oder der vertrauenswürdigen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes bekannt war. Thiel kannte seinen Tucholsky genau. Er bemerkte, daß einige der Kurzprosastücke Tucholskys zum überwiegenden Teil in Dialogform geschrieben waren und sich daher als Kurzfilmvorlagen sehr gut eigneten. Als erstes adaptierte er 1957 Kaspar Hausers Nebenan von 1922. Ein arbeitsloser Kriegsinvalide (Raimund Schelcher) trifft in einer Kneipe auf seinen ehemaligen Hauptmann (Peter Kiwitt), der Ludendorff und seine Offiziere hochleben läßt. Darüber in Brast geraten, will er handgreiflich werden, aber kann es nicht, da er beide Arme verloren hat. Der Film war vier Jahre lang im Einsatz. Danach wurde seine staatliche Zulassung nicht verlängert, weil er »in Resignation ausklingt, anstatt zum Handeln zu mobilisieren«, wie es im Protokoll der Hauptverwaltung Film hieß.
Als weiteren Fünfminüter inszenierte Thiel im Jahr darauf Marburger Nachwuchs, einen Dialog mit einer bereits filmisch gedachten Rückblende, den Kaspar Hauser 1920 in der USPD-Zeitung Freiheit veröffentlicht hatte. Der Film trug den propagandistisch-belehrenden Titel Sie nannten das Justiz. Der Inhalt: Ein Richter (Horst Drinda) verurteilt einen Arbeiter wegen einer Wirtshausprügelei zu einer hohen Gefängnisstrafe. Der selbe Richter hatte als Oberleutnant der Noske-Truppen gefangene Soldaten ohne Urteil erschießen lassen – die Begründung: »Unsere Anatomie braucht Leichen.« Im Abspann stellte der Film den Bezug zur Gegenwart her: So war es 1920, und heute? 800 Nazi-Richter sprechen heute im Bonner Nato-Staat das Recht der Millionäre. Recht? Es sind dieselben Richter, die Hunderttausende unschuldiger Menschen verurteilt und in den Tod geschickt haben.
Wenn sich diese Aussage auch in die SED-Propaganda im Zeichen des Kalten Krieges einreihte, so teilte die Kritik an der nahtlosen Übernahme von Nazi-Juristen in die Rechtsordnung der BRD doch ein großer Teil der damaligen Linken in der Bundesrepublik. Nicht zuletzt zählte der diesjährige Träger des Kurt-Tucholsky-Preises, der kürzlich verstorbene Erich Kuby, zu diesen Kritikern.
Schließlich adaptierte das Stacheltier 1960 den bekannten Sketch Ein Ehepaar erzählt einen Witz. Regie führte der Schauspieler Herwart Grosse, einer der Protagonisten des Deutschen Theaters, der nur selten ins Regiefach wechselte. Emil Stöhr war Peter Panter, und das Ehepaar wurde von Horst Drinda und Gisela May gespielt.
Die May sorgte noch für einen späten Höhepunkt in der Stacheltier-Produktion. Unter der Regie ihres damaligen Mannes, des Leiters der Stacheltier-Gruppe, Dr. Georg Honigmann, entstand 1961/62 ein Film mit dem prosaischen Titel Gisela May singt und spricht Kurt Tucholsky. Die Schauspielerin war wenige Jahre zuvor unter Anleitung von Hanns Eisler, unter dessen künstlerischen Fittichen die May zur Zeit der Dreharbeiten noch arbeitete, zu einem internationalen Chanson-Star aufgestiegen. Es schmückte die Stacheltier-Produktion, daß sie hier das Chanson Augen in der Großstadt, das Gedicht Mutterns Hände und den Song Der Graben interpretierte. Bis heute tritt sie immer wieder mit diesen Titeln auf, aber im Stacheltier-Film haben wir die »Urinterpretation«. Für ihr unermüdliches Wirken für das Werk Kurt Tucholskys verlieh die KTG Gisela May schon vor einigen Jahren die Ehrenmitgliedschaft.

Aus einem Vortrag, den »Blättchen«-Autor F.-B. Habel auf der Jahrestagung der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft hielt, die Anfang November unter dem Motto »Wir leben in einer merkwürdigen Zeitung – Der Medienmensch Kurt Tucholsky« in Berlin stattfand.