Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 10. Oktober 2005, Heft 21

Reverenz

von Renate Hoffmann

Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges erklärte Albert Einstein (1879-1955) einem Freund, daß ihn mit den Deutschen nichts mehr verbinde, denn »sie haben meine jüdischen Brüder in Europa hingemordet«. Seine konsequente Haltung kannte jedoch eine Ausnahme: »Anders ist es mit den paar einzelnen, die in dem Bereiche der Möglichkeit standhaft geblieben sind.« Zu jenen »Standhaften« gehörte für Einstein – bereits viele Jahre vor dieser grausamen Erfahrung – Thomas Mann. Im Emigrationsjahr 1933 schrieb er dem von ihm geschätzten Literaten einen Brief. Ein Nobelpreisträger dem anderen.
»Verehrter Herr Thomas Mann! Es drängt mich, Ihnen etwas ganz selbstverständliches zu sagen: Ihre und Ihres Bruders verantwortungsbewußte Haltung war einer der wenigen Lichtblicke in dem Geschehen, das sich in letzter Zeit in Deutschland abgespielt hat. Die übrigen zu geistiger Führung Berufenen haben nicht den Mut und die Charakterstärke aufgebracht, einen deutlichen Trennungs-Strich zu ziehen zwischen sich und denen, welche auf Grund von Mitteln der Gewalt heute den Staat vertreten. Durch diese Unterlassung haben sie die Macht jener verhängnisvollen Elemente vergrößert und dem deutschen Namen unaussprechlich geschadet … Man sieht wieder, daß das Schicksal einer Gemeinschaft in erster Linie durch das moralische Niveau bestimmt wird. Wenn sich wieder eine Führung bildet, die dieses Namens würdig sein wird, so wird sie nur durch Wachstum an solchen Keimen der Krystallisation entstehen können, wie solche in Ihnen und Ihrem Bruder zu erkennen sind …
Mit Hochachtung und Sympathie, Ihr A. Einstein.«