Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 10. Oktober 2005, Heft 21

Deutschland Endstation-Ost

von Detlef Kannapin

Deutschland Endstation-Ost hieß Mitte der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ein Dokumentarfilmprojekt des belgischen Regisseurs Frans Buyens, das er in der DDR verwirklichen wollte. Darin ging es um systematische, aber auch zufällige Befragungen von DDR-Bürgern zu ihren Lebensumständen, durchaus offen und ohne Maulkorb, es war noch Reformzeit. Interessanterweise entstand tatsächlich ein Film aus diesem Vorhaben. Da war dann aber keine Reformzeit mehr. Der Film hatte eine einmalige Aufführung und wurde danach nie mehr gezeigt. Bis heute ist jener bislang einzigartige Versuch, mit den dokumentarischen Augen eines Ausländers die DDR zu betrachten, ohne erneute Aufführung geblieben. Es ist nicht einmal sicher, ob es von dem Film überhaupt noch eine Kopie gibt …
Mit Deutschland Endstation-Ost könnte man auch die neuerlichen Filmversuche kennzeichnen, mit denen Nachwendekünstler, von denen nicht wenige aus dem Osten stammen, sich und anderen eine Vorstellung von der DDR beziehungsweise von deren Geschichte und Nachwirkungen machen. Die Metapher von der Endstation verweist dabei überdeutlich auf den Hang zum Abgesangschoral. Vielleicht ist das das Letzte, was über die imaginierte DDR zu berichten sein wird: NVA und Die Nachrichten. Zwei aktuelle Filmproduktionen, die erste fürs Kino, die zweite fürs ZDF. Beide Filme berichten über die DDR so, wie die Vertreter des Mainstreams in der bundesdeutschen Kultur sie gern gesehen haben möchten. Die Armee wird als totale Institution der Entrechtung gezeigt – ein Kleinod im großen Ganzen und also typisch für das Land. Daneben der ostdeutsche Fernsehnachrichtensprecher Jan Landers, über den 1995 der Verdacht aufkommt, er hätte während seiner Armeezeit für die Staatssicherheit gearbeitet. Sowohl in ihrer filmischen Umsetzung als auch in Dramaturgie und der Schlüssigkeit der Erzählform sind beide Filme keineswegs schlecht – auch wenn Leander Haußmann uns in NVA wieder einige seiner Geschmacklosigkeiten präsentiert. Anders aber als in Good bye, Lenin!, ist die Moral im Umgang mit der DDR-Geschichte nicht ausschließlich verlogen.
Mit NVA will das Erfolgsteam Haußmann, Detlev Buck und Thomas Brussig an die Vorgängerfilme Sonnenallee und Herr Lehmann anknüpfen – was allerdings nur dort gelingt, wo der Film die denkbar einfachen Sujetarrangements und die Kulissen der DDR im Original rekapituliert. Die Story hingegen – über zwei Rekruten bei ihrem Dienst am Ende der achtziger Jahre – wirkt bemüht und sehr konstruiert. Treffend allerdings sind die Darstellung einzelner Handlungen der karikierten Vorgesetzten und der hierarchischen Strukturen der Wehrpflichtigen untereinander, die vom Rezensenten »dank« seiner eigenen Dienstzeit zwischen 1987 und 1990 als authentisch bestätigen kann. In der Tat ähnelte der Stumpfsinn vieler Vorgesetzter in der NVA jenem, mit dem die Parteibürokratie die Idee des Sozialismus an die Wand fuhr.
Problematisch wird der Film jedoch dadurch, daß er das DDR-Typische nicht einfängt. Einige Kritiker haben bereits zu Recht angemerkt, daß NVA über den fragwürdigen Status einer modernen Militärklamotte nicht hinauskomme. Die Abwesenheit eines politischen Bezuges zur DDR- Realität erscheint geradezu als gefährlich, denn in der groben Verweigerung gegenüber politischen Inhalten ähnelt NVA dem Märchenfilm NAPOLA – wobei die politische Unverbindlichkeit, konsequent zu Ende gedacht, in die Gleichsetzungsfalle NS = DDR führt.
Mit diesen Sorgen hat Die Nachrichten, nach dem gleichnamigen Buch von Alexander Osang, in der Regie von Matti Geschonneck und hervorragend besetzt mit Jan Josef Liefers, Dagmar Manzel, Uwe Kockisch, Henry Hübchen und Herbert Feuerstein als kongenialem Spießerbeamten der lokalen Stasi-Behörde nicht zu kämpfen. Der Film präsentiert einige Riten aus der politischen Kultur der heutigen Bundesrepublik, in der auch der kleinste Hinweis auf eine IM-Tätigkeit die eigene Existenz zum vollständigen Auslaufmodell machen kann. Auch wenn sich der Verdacht gegen den aufstrebenden Jung-Ossi in der West-Redaktion schließlich nicht erhärtet, reicht eben der unbewiesene Verdacht aus, um Panik zu verbreiten.
Die filmische Adaption ist aufgrund ihrer atmosphärischen Dichte nicht nur dem Buch weit überlegen, sondern sie zeigt mit akribischer Detailgenauigkeit, wenn auch »zwischen den Zeilen«, die paranoide Gesinnungswelt des vereinigten Deutschlands. Am Schluß des Films entsorgt im Schredder ihrer Redaktion die Spiegel-Journalistin (Dagmar Manzel), die auf den Fall Landers aufmerksam wurde, den klärenden Abschiedsbrief des früheren Führungsoffiziers Zelewski (Henry Hübchen), der Selbstmord begeht, weil die neue Zeit an ihm zu schnell vorbeihastet.
So endet die Geschichte der DDR sinnbildhaft im Reißwolf, und irgendwann wird kein Hahn mehr nach ihr krähen. Das Verdienst des gesamten Filmstabes besteht eben darin, diese Konstellation, die den subjektiven Fall durchaus zur objektiven Größe anwachsen läßt, für das Publikum erfahrungsreich auszudeuten. Die filmische Qualität von Die Nachrichten hätte sogar den Einsatz im Kino gerechtfertigt.
Dennoch: Die Filme NVA und Die Nachrichten sagen weniger über die von ihnen beschriebene, mittlerweile weit entrückte staatliche Formation als über die jetzige. Sie verstärken bewußt oder unbewußt im momentanen Klima des geistigen und materiellen Niedergangs Stimmungen einer endgültigen Endstation-Ost.

»NVA«, BRD 2005, 98 Minuten, seit 29. September 2005 im Kino; »Die Nachrichten«, ZDF 2005, 90 Minuten