Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 12. September 2005, Heft 19

Wink-Elemente

von Horst Jakob

Vordrucke sind eine feine Sache. Sie nehmen einem viel Arbeit ab. In der vor fünfzehn Jahren dahingeschiedenen DDR wie auch in anderen Sozialismen dieser Welt hatte man schnell verstanden, diesen Vorzug gründlich ins Politische zu transferieren. Eine besonders schöne Variante von Vorgedrucktem nannte man Winkelemente.
Mit jenen in der Arbeiter-und-Bauern-Hand stand an der Straße, wer Politprominenz herzlich bis begeistert zu begrüßen bestimmt war. Winkelemente hielt man auch hoch, um mit ihnen an eben dieser Prominenz vorbeizuziehen und ihr mit beglückender Präzision genau jene Sprüche darzubieten, die deren Ghostwriter zuvor erfunden hatten; von den Porträts ganz zu schweigen, über die man sich auf den Tribünen vermutlich auch deshalb sehr freute, weil man so wenigstens ein paar bekannte Gesichter antraf. Winkelemente schließlich fehlten auch rund um jene Orte nicht, die auch im Sozialismus – wenn auch noch euphemistischer als heute – Wahllokale genannt wurden.
Was besagte Winkelemente betrifft, hat der zu Herzen gehende Wahlkampf der vergangenen (zum Glück nur) Wochen einmal mehr bewiesen, daß Ost und West in ihrem tieferen Innern nicht annähernd soweit auseinanderlagen, wie immer wieder standhaft behauptet.
Daß die Fans der Linkspartei ihren Favoriten jede Menge vorgedruckter Schilder mit deren Namen entgegenhielten, mag aus der oben erwähnten Tradition folgerichtig erscheinen. Größeren Liebreiz verströmt jedoch die Tatsache, daß diese subtil-individuelle Ausdrucksform wählerischen Einzelwillens ihren Siegeszug zum beliebtesten Gestaltungsmittel von Parteitagen und Wahlkampfveranstaltungen mittlerweile auch bei den schwarzen und gelben Konservativen absolviert hat.
Das Winkelement hat in dem Teil des Landes, was den Ossis einst der Westen war, eine Renaissance erfahren, von der weder der Verlag für Agitations- und Anschauungsmittel noch die DEWAG, Gott habe sie beide selig, auch nur zu träumen wagten. Zumal man den Eindruck nicht loswird, daß die orange- und gelbbedressten Hochhälter ihre Aufgabe mit mehr Verzückung erfüllen – anders als einstmals die blauhemdigen FDJ-Komparsen bei vergleichbaren Anlässen. Möglicherweise glauben sie sogar an das, was auf ihren Winkelementen steht …
Da der uns bevorstehende nächste runde Jahrestag deutsch-deutscher Einheit ja gerade so unabwendbar ins Haus steht, sei mit dem Verweis auf die Renaissance der Wink-Elemente diese allemal optimistische Konklusion erlaubt: Es ist viel mehr Zusammengehöriges zusammengewachsen, als wir manchmal wahrhaben wollen.