Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 1. August 2005, Heft 16

Links, wo das Herz ist

von Erhard Crome

Am 17. Juli 2005 hatte die PDS ihre außerordentliche Tagung des Parteitages zur Umbenennung. Bevor wir über das Kleinteilige sprechen, sollte doch mal über die historische Dimension geredet werden. Kaum hatte das Ereignis stattgefunden, schrieb die polnische Trybuna, dies sei auch für Polen von Bedeutung, ginge es doch darum, die Linke neu zu bestimmen; hier, in Deutschland, formiere sich eine neue, soziale Linke, die den Protest gegen die neoliberalen Ansätze und Politiken artikuliert. In der Vergangenheit war die Trybuna nicht durch Freundlichkeit gegenüber der PDS oder überhaupt den Linken in Deutschland aufgefallen, hatte doch die SLD, zwar aus der kommunistischen Staatspartei herkommend, recht bald das sozialdemokratische Ticket gezogen, stolz auf die Sozialistische Internationale und eine Schröder analoge Politik gemacht. Das zeigt: »Postkommunisten« können das auch. Es ist, wenn wir das auf die PDS beziehen, nicht der machtmechanische Ansatz, der auf etwas Linkem bestehen läßt, sondern eine völlig unzeitgemäße Beharrung auf der Idee, daß das Soziale von Bewandtnis sein könnte. Genau dies wiederum ist es, was polnische Linke angesichts des Zusammenbruchs der politischen Linken im Lande jetzt nach Deutschland schauen läßt.
Zugleich stellt sich hier das »deutsch-französische Sonderverhältnis« von links her. Die französische Nation hat, insbesondere unter der Voraussetzung des aktiven politischen Wirkens der Linken, die sogenannte EU-Verfassung mit ihrer Militarisierung und einseitig neoliberalen Wirtschaftsausrichtung bekanntlich abgelehnt. Das war die bislang folgenreichste politische Zurückweisung des Neoliberalismus in Europa. Nun also die neue Linkspartei in Deutschland. Die politische Linke in Frankreich hat zwar die Kampagne gegen die Verfassung erfolgreich gemacht, die politische Verortung aber bleibt weiter kompliziert. Die Sozialistische Partei hatte sich eine Urabstimmung verordnet, in deren Ergebnis die Mehrheit für diese EU-Verfassung war, die Minderheit in der SP hatte jedoch nicht stillgehalten, sondern sich an der Kampagne gegen die Verfassung beteiligt. Sie bleibt aber Teil der SP, und bei der künftigen Neuaufstellung zu Präsidentschaft und Parlament wird das eine Rolle spielen.
In Deutschland ist die Konstituierung der Linkspartei das anti-neoliberale Neue. Das setzt die französische Kampagne unter anderen Bedingungen fort. Der Unterschied ist nur: Während die französischen Sozialisten mit zwei Stimmen sprechen und so auch immer zwei Gesichter haben, hat Schröder die Dinge in Deutschland vereinfacht: Ein linkes Gesicht in der SPD gibt es nicht mehr. Die SPD ist mit ihrem grünen Ableger eine neoliberale Formation ohne Wenn und Aber, ist jedoch so weit »in die Mitte«, das heißt nach rechts gerückt, so daß der offene Raum links immer größer wurde. Den gilt es jetzt zu füllen: Da die SPD nun eindeutig rechts ist, kann etwas Linkes nur links sein. Das klingt banal, macht aber zum Beispiel einen deutlichen Unterschied zu Frankreich aus, wo die Sozialisten es geschafft haben, zwei Gesichter zu behalten.
Es gibt seit dem 16. Juli ein eindeutiges Votum der WASG für die Kooperation und seit dem 17. Juli auch der PDS. Die einen taktieren, konnten am Ende das Projekt aber nicht verunmöglichen, die anderen verunmöglichen sich selbst: Mit dem schreihälsigen Auftritt auf diesem Parteitag hat sich Uwe-Jens Heuer, einst Initiator des Marxistischen Forums, im Grunde aus der Reihe der ernstzunehmenden Diskutanten verabschiedet.
Der Vorsitzende Lothar Bisky hat das Ergebnis auf seiten der PDS in erheblichem Maße möglich gemacht. Unter seiner Ägide hat der Parteivorstand begriffen, daß es nicht um die Partei als Selbstzweck geht, sondern um die Veränderung der Grundstruktur des Parteiwesens in Deutschland. Es ist sein Verdienst, daß die PDS es vermocht hat, trotz ihrer vielen inneren politischen und programmatischen Probleme, sich auf der Höhe der historischen Herausforderung zu bewegen.
Die Bruchlinie ist die zwischen dem neoliberalen Konsens aller anderen Bundestagsparteien und der Linkspartei. Unter diesem Gesichtspunkt wird es auch einer der angespanntesten und härtesten Wahlkämpfe werden: Die Ideologen und Politiker des Neoliberalismus werden das Aufbröckeln ihrer strategischen Hegemonie nicht hinnehmen wollen, und wo Argumente nicht walten, werden Denunziation, Hetze und Verleumdung das ihre tun sollen. Hierzu gehört auch das Problem, daß die SPD natürlich 1990 keinen rechtsradikalen Kanzlerkandidaten hatte und die SPD in den 1990er Jahren keinen rechtsradikalen Vorsitzenden. Das meint: Oskar bleibt Oskar. Und die PDS-Gestalten, die in dieser oder jener Medienäußerung sich an der Anti-Oskar-Kampagne beteiligen, arbeiten unfreiwillig dem politischen Gegner zu. Eine tektonische Verschiebung im deutschen Parteiwesen wird immer wahrscheinlicher. Letztlich könnte sich eine neue linke Kraft formieren. Der Anfang wurde an diesem Juli-Sonntag gemacht – trotz alledem.