Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 4. Juli 2005, Heft 14

Katja Kabanowa

von Liesel Markowski

Eine Frauen- und Gesellschaftstragödie aus dem zaristischen Rußland des 19. Jahrhunderts erzählt diese Oper von Leos Janácek: Katja Kabanowa, komponiert nach Alexander Ostrowskis Drama Das Gewitter, 1921 vollendet. In der provinziellen Kleinbürgerwelt eines Wolga-Städtchens herrschen Despotie und Scheinmoral. Die unglücklich verheiratete Kaufmannsfrau Katja Kabanowa kann das brutale Regime ihrer herrschsüchtigen Schwiegermutter Kabanicha nicht mehr ertragen. Sie betrügt ihren schwächlichen und gewalttätigen Ehemann Tichon mit dem jungen, von ihr geliebten Boris. Doch anders als Schostakowitschs sozial aufbegehrende Katerina (Lady Macbeth von Mzensk) vermag die tief gottgläubige Katja ihr Schuldgefühl nicht zu überwinden. Vor allen Leuten in der Öffentlichkeit gesteht sie ihren Ehebruch und stürzt sich, von allen verlassen, in die Wolga. Aufrichtigkeit steht gegen Bigotterie, der Versuch weiblicher Selbstbestimmung gegen rücksichtslose Unterdrückung.
In Berlins Staatsoper hat Michael Thalheimer das Stück szenisch bedächtig und versachlicht, auf die Hauptfigur der Katja fokussiert, gefaßt. Sie verharrt zumeist, von grellem Spotlight beleuchtet, starr und kummervoll sitzend auf einem Stuhl dem Publikum gegenüber. Die Ensemble-Figuren agieren hinzutretend distanziert. Das Bühnenbild von Olaf Altmann zeigt eine diagonale helle Wand mit Blümchentapete, die den Blick auf einen dunklen Außenraum mit übergroßer weißer Kugel (Mond, Stern?) öffnet. Während der Aufführung schließt die Blümchenwand langsam nach vorn rückend den Freiraum im Hintergrund und verwehrt so den Blick nach draußen, so daß nur innere Enge übrigbleibt – ein eindrucksvoller Bezug zum Handlungsverlauf.
Insgesamt lebt Thalheimers Inszenierung aber von einem starken Bezug zu Janáceks Musik. Und das ist wohl das größte Plus der Aufführung. Die Musik erhält Raum, wird nicht, wie heute leider üblich, durch vielerlei theatralische Mätzchen zugedeckt. Sie kann vielmehr ihr erstaunlich lyrisches Timbre entfalten, im folkloristischen Impetus, im Melos und in der tschechischen Diktion der Gesänge, im glitzernden und geschmeidigen Orchesterklang, in ihrer ganz eigenen Gestik kleiner Floskeln, ihrer glutvollen Ausstrahlung. In der musikalischen Sensibilität liegt die Stärke von Thalheimers Vision der Katja Kabanowa. Am schönsten kommt dies wohl beim Finale zur Geltung: Katja ertrinkt nicht – wie üblich – in der Wolga, sondern die Staatskapelle nimmt sie, aus dem Orchestergraben emporfahrend, zu sich und verschwindet dann mit ihr, sozusagen im sicheren Out.
Dafür, daß Janáceks Werk in der Berliner Lindenoper zum bewegenden Erlebnis wurde, sorgte der feinsinnige Dirigent Julien Salemkour am Pult, sorgte der von Eberhard Friedrich einstudierte Chor, sorgten die Solisten, unter ihnen Melanie Diener als ergreifende Katja und Ute Trekel-Burckhardt als böse Kabanicha.