Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 4. Juli 2005, Heft 14

Eulenspiegelmißbrauch

von Peter Braune

Eigentlich laufen hier nur lauter Eulenspiegel herum.« Das ist die einhellige Meinung der drei älteren Herren im Café am Markt in Schöppenstedt, der kleinen Stadt am Elm, dort, wo Till Eulenspiegel seine ersten Schelmenstücke mit den Bürgerinnen und Bürgern veranstaltete. Windschief ist der Turm der Marktkirche, das Flüßchen mit Beton verschlossen, das Rathaus ein steinerner Klotz und die Kläranlage so gewaltig, daß mehr als 75000 Haushalte sich dahinein ergießen könnten. Einmal im Jahr spielt die Schöppenstedter Stadtwache Mittelalter, einmal die SPD Frühlingserwachen und einmal die CDU Erntedankfest. Ein Wanderzirkus kommt mit großem Trara und schleicht sich nach zwei Tagen wieder aus der Stadt.
Höhepunkt aller Feste ist das Hahnenkrähen auf dem großen Platz. Hähne aller Klassen spreizen sich in Käfigen und recken ihre Hälse. Dann kommt der Schrei. Sieger wird, wessen Hahn über die Dauer von vier Stunden am häufigsten für alle Schöppenstedter deutlich vernehmbar gekräht hat. Am Schluß wird so lange getrunken, bis der Platz wie mit Schnee weiß bedeckt ist von zerknautschten Pappbechern. Mancher sucht darin vergeblich nach seinem Portemonnaie, andere nach ihren Holzpantinen und wieder andere nach ihrer Frau.
Im Gegensatz zum aktuellen Trend können in Schöppenstedt nur Männer Eulenspiegel verkörpern. Das zeigt schon die Liste, herausgegeben vom Freundeskreis Till Eulenspiegel e. V., aus der hervorgeht, daß seit 1966 nur gestandene Mannsbilder wie Konrad Adenauer, Theo Lingen, Hans Leip, Klaus Schütz, Paul A. Weber, Werner Fink, Carlo Schmid, Ephraim Kishon, Vicco von Bülow – genannt Loriot –, Hermann Höcherl, Lothar Späth und zuletzt Johannes Rau zum Bruder Eulenspiegel ausgerufen wurden. Beileibe keine Schöppenstedter, aber doch Komiker allesamt, in denen sich die kleinen und großen Schwächen zumindest der Westdeutschen widerspiegeln.
Ende Mai dieses Jahres wurde Peter Maffay die Ehre zuteil, sich zukünftig als Eulenspiegel betätigen zu dürfen, oder war es Sigmar Gabriel, der abgewählte niedersächsische Ministerpräsident (SPD)? Beim Einzug der Gladiatoren in die überfüllte Eulenspiegelhalle sah man jedenfalls über dem Ehrengeleit nur Gabriels hocherhobenen Kopf, dann seine breiten Schultern und unter seinen schützend ausgebreiteten Armen den kleinen Altrocker in Motorradjacke, Ring im Ohr, Kettchen auf der Brust und Handytasche am breiten Ledergurt.
Der gutgenährte SPD-Mann setzte sich auf zwei Stühle in der ersten Reihe und ließ seinem Schützling eine Kante frei. Eine Dame begrüßte hocherfreut – neben den Anwesenden – besonders den Herren aus der Landespolitik. Das taten dann brav auch Bürgermeister und Gesamtbürgermeisterin. Und jedes Mal erhob sich der Koloß und blickte gnädig ins Publikum, bis er sich schließlich ungeduldig auf die Bühne drängte, um die Laudatio auf den neuen Preisträger zu halten.
»Ich bin zwar kein Schöppenstedter, aber aus der Nähe«; hub er an. »Und heute bin ich nicht als Vorsitzender der SPD Niedersachsen hier, auch nicht als Fraktionsvorsitzender der Landtagsfraktion der SPD im niedersächsischen Landtag spreche ich zu Ihnen über meinen Freund, sondern als Pop-Beauftragter der SPD.« Aus Goslar sei er früher mit dem Rad auch mal ins schöne Schöppenstedt gekommen. Und da habe er seine Zuneigung zu Till entdeckt, was ihn dazu veranlaßt habe, sich unter seinen vielen Musikerfreunden nach einem Eulenspiegel umzuschauen.
»Peter, mein Freund, da kam ich irgendwann einmal auf dich! Ich besuchte dich auf deiner Kinderfinca auf Mallorca, segelte mit dir auf deiner Kinderjacht und werde demnächst wieder bei dir anheuern, als Smutje natürlich. Und dann erobern wir miteinander die Welt für die benachteiligten und sozial ausgegrenzten Kinder. Komm her mein Guter und laß dich umarmen!« Der kleine schwarzgelockte Peter wurde zu Sigmar auf die Bühne gehoben, dort mal links, mal rechts vom Lobredner für Fotos an seine Seiten gezogen, an die Brust gedrückt und vor überschwenglicher Freudebekundung fast auf den Arm genommen. »Habt ihr genug geschossen?« Die übliche Frage an die Presse. Und dann ging es noch einmal los. Peter vor, neben, unter und hinter dem Engel Gabriel.
Wegen der Mitteilung vom Vorabend, Gerhard Schröder schmisse das Amt und strebe Neuwahlen an, betonte der geschaßte Ministerpräsident, müsse er vorzeitig abreisen, und unterstrich so noch einmal seine Bedeutung. »Ich komme wieder!«, schmalzte er in die Halle. Übrig blieben der Held des Tages zwischen den Pfefferkörnern aus Destedt, die in voller Kostümausrüstung als Bienchen und Drachen Ausschnitte aus Peter Maffays Popmusical Tabaluga vortrugen. »Mir fehlt hier der Teleprompter«, flüsterte der Star, zum Mitsingen einer seiner Songs aufgefordert, ins Mikrofon. »Heute Abend beim Großauftritt in Braunschweig hab ich wieder diese kleine unverzichtbare Hilfe.«