Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 20. Juni 2005, Heft 13

Vorsicht, Geburtsfehler!

von Sibylle Sechtem

Es ist schwierig, wenn der Mantel der Geschichte weht. Nicht nur für die, deren Schultern er gestreift haben könnte. Auch die Fernen spüren den Hauch – und in sich eine lang entbehrte Lust, in seinem Sog das Niegedachte zu denken und das Unmögliche möglich zu machen. Jetzt, raunt es, sei sie da, die historische Chance, und natürlich, raunt es weiter, stehe es nur für kurze Zeit offen, das Fensterchen, das dem erträumten Großartigen den erhofften Einlaß gewährt.
Und so war er unüberhörbar laut und vielstimmig geworden, der Ruf, PDS und WASG – Partei des Demokratischen Sozialismus und Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit – mögen sich zu einer Partei verbinden. Gründe dafür hat es ja auch weiß Gott genug.
Aber Vorsicht! Viele Fragen sind noch nicht gestellt, viele Sätze noch nicht gesagt, viele Bekenntnisse noch nicht abgelegt, so daß es bitterer Leichtsinn wäre, die ersten Teilerfolge schon für das Ganze zu nehmen.
Da ist – zum Beispiel – diese seltsame Geschichte mit dem Namen. Man wolle, sagt die WASG, die drei Buchstaben PDS nicht im Namen haben. Ja, wie denn – die Partei ja, den Namen nicht? Das ist mehr als nur ein Bezeichnungsstreit, das ist ein Problem allererster Güte. Denn es sagt doch am Ende nichts anderes als: Nicht nur eure fast 45 Jahre SED-Existenz haften euch an und sind für uns unakzeptabel, sondern auch eure fünfzehn Jahre PDS. Nicht nur in der falschen Gesellschaft habt ihr euch falsch verhalten, sondern auch in der richtigen. Nicht nur eure Wahlergebnisse bei unfreien Wahlen diskreditieren euch, sondern auch die bei freien.
Da sind wir also noch gar nicht bei Programmen, noch gar nicht bei Inhalten, noch gar nicht bei Definitionen, sind noch gar nicht bei der Frage, was die Brautleute jeweils unter »links« verstehen oder unter »Sozialismus« oder einfach nur unter »Opposition« – und haben doch schon festzustellen, daß die einfache Forderung des Sozialdemokraten Willy Brandt, die Ost- und Westdeutschen mögen sich gegenseitig ihre Geschichte erzählen, bei den Linken im Grunde so unerfüllt ist wie an jenem Tag des Jahres 1990, da er sie verkündete. Warum die PDS im Osten zur Volkspartei werden konnte – die Ex-Volkspartei-Sozialdemokraten in der WASG interessiert es offensichtlich nicht. Was da geleistet worden ist an politischer Arbeit auf allen Ebenen: von der Basis bis zu den Vorständen, von den Kommunen bis zum Bund, von der Gemeindevertretung bis zum Bundestag und Europaparlament – es gilt als unwichtig. Wie auch die Frage nach dem Wirken in Bildungs- und Wissenschaftslandschaft, in Bürgerinitiativen und Verbänden, im Alltag des Lebens schlechthin. Und zum Dogma erhoben wird außerdem der Satz, die PDS sei im Westen gescheitert.
Man glaube nicht, das Problem sei zu lösen, indem man um des schnellen Hissens des Erfolgsbanners willen diese östlichen – und westlichen! – Identitätsfragen der PDS zur Seite schiebt. Solange eine Würdigung der PDS-Leistungen durch die neuen westlichen Partner ausbleibt, fehlt der gewollten Gemeinsamkeit ein wichtiges, ja unverzichtbares Stück Nährboden. Das auch nicht ersetzt werden kann durch die gegenseitige Wertschätzung derer, die da an der Spitze des Ganzen stehen. Denn die sind es nur allzu sehr gewöhnt, sich in der Rolle des voranschreitenden »Erziehers« zu sehen. Vergeblich hielt man – wieder nur zum Beispiel – Ausschau nach Passagen, in denen PDS-Altstar Gregor Gysi bei seinem Comeback etwa auf die Leistungen seiner Partei bei den Europawahlen 2004 oder der Landesverbände in Brandenburg und Thüringen bei den Landtagswahlen im gleichen Jahr Bezug genommen hätte: Wahlen, mit denen die PDS nach dem Eklat von 2002 erst einmal jenen Boden unter den Füßen wiedergewonnen hatte, auf dem sie sich jetzt selbstbewußt präsentieren könnte. Hätte er’s getan, wäre man ja vielleicht auch in der WASG darauf gekommen zu fragen, wie es denn möglich war, daß in Brandenburg nicht weniger als 23 Direktmandate an die PDS gekommen sind – darunter an junge Frauen und Männer, die DDR und SED nur noch aus frühen Kindertagen kennen.
Man lese einmal nach, wie oft in WASG-Texten das nach Kräften gepflegte Medienbild von der überalterten PDS und ihrer mindestens »eigenartigen« Wählerschaft auftaucht. Aber was ist das für ein seltsamer Umgang mit anderer – und in jedem Falle differenziert zu betrachtender – Lebenserfahrung! Und wenn man sich denn so gar nicht durchringen will zu einem gerechten Blick auf »die Alten«, so sollte man sich doch zumindest dessen bewußt sein, daß gerade sie es sind, die mit ihren Parteibeiträgen und Plakatklebeaktionen und ihrem Engagement an nach Tausenden zählenden Infoständen die Braut PDS so schön und für ein Bündnis attraktiv gemacht haben, wie sie jetzt ist.
Nun hört man auch aus der PDS nicht wenige Stimmen, die meinen, die außergewöhnliche Lage erfordere auch eine außerordentliche Identitätspreisgabe. Denen sei entgegengehalten: Nur selbstbewußte Bräute haben wirklich eine Chance. Und außerdem: Die WASG-Kritik geht ja nicht nur gegen »das Alte« in der PDS. Sie geht mindestens ebenso heftig gegen die Berliner Regierungsbeteiligung der PDS, und die wiederum ist ein Werk derer, die sich in Abgrenzung von eben jenen »Alten« gern der »Reformlinken« zurechnen.
Bundeskanzler Schröder hat mit seiner selbstherrlich ins Werk gesetzten Neuwahlen-Aktion auf besonders drastische Weise gezeigt, wie sehr Politik zum Kasperletheater verkommen kann. Wenn die Linke eine Chance haben will, diesem Theater Substantielles entgegenzusetzen, darf sie den schweren Weg der gründlichen Suche nach stabilen Gemeinsamkeiten nicht scheuen. Der Anfang wäre zu machen mit ehrlich gemeinter, ausdrücklich gegenseitiger Anerkennung.