Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 25. April 2005, Heft 9

R.I.P.

von Wolfgang Geier

R.I.P. – requiescat in pace – ›er ruhe in Frieden‹ ist die Abkürzung der liturgischen Schlußformel der katholischen Totenfeier. Der Tod hat nun die bizarre Medieninszenierung eines qualvollen Leidens und Sterbens beendet, vorerst. Nach dem habemus papam wird es die nächste um einen lebenden Pontifex maximus geben, deren Ästhetik von seiner Entourage bestimmt wird.
Das Pontifikat des Verewigten wird allerdings medial kaum zu überbieten sein. Er unternahm öfter Auslandsreisen als seine Vorgänger zusammengenommen. Maria regina Poloniae war für ihn Inbegriff seines christlichen Glaubens und wohl auch kirchliches, politisches Programm. Seine Marienverehrung übertraf die der Vorgänger.
Für große Teile der polnischen Gesellschaft war er über zwei Jahrzehnte lang identitätsstiftend; dies ist nun verlorengegangen. In Polen war und ist natürlich das Gedicht von Juliusz Sl⁄owacki aus dem Jahre 1848 bekannt, in welchem die Thronbesteigung eines slawischen Papstes für den Zeitpunkt angekündigt wird, »wenn die Gefahren (für die Kirche) am ärgsten drohen«. In diesem Papst sahen und sehen viele Polen die Erfüllung dieser Botschaft.
Seine Dogmatik war konservativ, restaurativ und rigide; er kompensierte sie durch Hinwendungen zum Volk – die fast wie ein ›Gang ins Volk‹ anmuteten und die natürlich apostelgleich sowie missionarisch gemeint waren und auch so wirkten. ›Menschenwürde‹ wurde durch ihn abstrakt hypertrophiert, manchmal dogmatisch exekutiert.
Bevorzugte Reiseziele waren Asien und Afrika, hier hat sich die Anzahl der Katholiken unter seiner Einflußnahme verdoppelt; zur katholischen Kirche in Deutschland und einigen ihrer Würdenträger bestand, zurückhaltend formuliert, hingegen ein zwiespältiges, manchmal gestörtes Verhältnis.
Als die USA mit ihren Hilfswilligen nach 1991 die Südosteuropa-Aggressionen unternahmen, schwieg er, soweit es sich nicht um kroatische Katholiken, sondern um Orthodoxe oder Muslime handelte. Seine Verurteilungen der USA-Aggression im Irak waren ebenso abstrakt wie die Betonungen der Menschenwürde oder die Kapitalismuskritik.
Die katholische Christenheit war der oikos (das »ganze Haus«), er der oikodespotos (der »Hausvater«); die immer wieder auch medial inszenierte Hervorhebung der oikumene bedeutete die Rückkehr der verlorenen Schafe unter den Stab des Hirten, in die Obedienz zur allgemeinen, alleinseligmachenden Kirche und ihres Oberhaupts, des vicarius petri et christi. Eine Aussöhnung mit den fehlgeleiteten, irrenden Orthodoxen fand nicht statt. Sie wäre auch schon deshalb nicht möglich gewesen, weil Papst, Kurie und Vatikan diesen Teil der Christenheit nach wie vor als Missionsgebiet betrachten.
Die verschiedenen Glieder der Christenheit und der nichtgläubige Rest erwarteten von diesem Papst etwas, was einer seiner Vorgänger von sich und seiner Kirche wenigstens schon einmal gefordert hatte: die Bitte um Vergebung für Vergehen im Namen dieser Kirche. Angeblich soll in einem karfreitäglichen Mea culpa der Papst dies getan haben. Das ist aber ein fundamentales Mißverständnis. Die von ihm repräsentierte Kirche kann als der Leib Christi auf Erden weder irren noch fehlen. Lediglich einzelne ihrer Glieder können dies, weil sie sündige Menschen sind, und eben für deren Irrtümer und Vergehen hat ihr Oberhaupt Gott um Vergebung gebeten.
Er hat durch die Anzahl der von ihm durchgesetzten Selig- und Heiligsprechungen einen Kirchenrekord aufgestellt; allerdings waren und sind unter den zur Ehre der Altäre Erhobenen einige dubiose Figuren. Das Opus Dei konnte während seines Pontifikats seine Macht nicht nur ausbauen, sondern wurde zum eigentlichen Zentrum weltweiter päpstlicher Machtausübung und kirchlicher Einflußnahme. Kritische Priester und Theologen wurden gemaßregelt und verloren ihr Lehramt.
Sein Pontifikat war lang, und seine Autorität wäre groß genug gewesen, um das Erneuerungswerk seiner Vorgänger mit einem III. Vatikanischen Konzil wieder aufzunehmen. Er hat dies nicht nur nicht getan und wohl auch nicht gewollt, sondern seine Kirche hinter die zaghaften, unvollkommenen Ansätze des II. Vatikanums zurückgeführt.
Mit Reagan hat er das Reich des Bösen zum Einsturz gebracht; ob Polen nun ein Grund- oder ein Schlußstein des zusammenbrechenden Gebäudes war, sei dahingestellt. Der letzte Vertreter dieses untergehenden Reiches jedenfalls schien am Ende darüber fast erleichtert zu sein, daß er nicht allein als Liquidator galt.