Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 28. März 2005, Heft 7

Am Ende muß Fidelio sterben

von Kai Agthe

Am Ende dieser Inszenierung stehen der Tod und der Protest, aber kein liebendes Paar. Doch beginnen wir am Anfang: 1805 erlebte mit Fidelio die einzige Oper Ludwig van Beethovens (1770-1828) ihre Uraufführung. Die Premiere mißriet trotz der Musik, die allein für die dramatischen Unzulänglichkeiten des Librettos entschädigt. Mehrfache Umarbeitungen durch Beethoven (1806 und 1814) folgten. Das Deutsche Nationaltheater in Weimar nahm die 200. Wiederkehr der Erstaufführung zum Anlaß, die erste und von der Staatskapelle Weimar unter Leitung von Martin Hoff mit großem Ernst gedeutete Fassung zu inszenieren.
Aus dem Hof des Staatsgefängnisses zu Sevilla, den das Original im ersten Akt vorsieht, wurde in der Weimarer Inszenierung von Thilo Reinhardt ein Raum mit Neonbeleuchtung und einem Minimum an Inventar. Polizeiliche Verhörzimmer mögen die Vorlage für das etwas einfaltslose Bühnenbild von Paul Zoller geliefert haben. Der Kerker im zweiten Akt unterschied sich von dem ersten Kubus nur durch das Halbdunkel und den geballten Schmutz. Die Blutspuren, die hier wie dort zu erkennen waren, symbolisierten den ewig wiederkehrenden Schrecken von Folterungen.
Christoph Stephinger als Rocco mit kerkertiefem Baß  ist der Chef dieser politischen Abteilung, in der auch der durch Einzelhaft sichtlich gezeichnete Florestan (Erin Caves) einsitzt. Seine Frau Leonore (die mit Bravos gefeierte Catherin Foster) hat sich als Wärter Fidelio Zutritt zu dem Gefängnis verschafft und sehnt den Augenblick herbei, da sie ihren Gatten befreien kann. Daß Leonore als Hauptfigur kaum Kontur gewinnt, ist einerseits mit dem schwachen Libretto von Joseph Sonnleithner zu erklären, andererseits mit den aus nicht nachvollziehbaren Gründen in Weimar gestrichenen Rezitativen.
Die Regie war leider so fahrlässig, diese Oper um ihre wichtigste Aussage zu bringen: In der Weimarer Lesart hat Fidelio als Hohelied der Hoffnung (Friedrich Dieckmann) leider ausgedient. Die Wahrheit der Utopie, die Ernst Bloch in diesem Werk verkörpert sah, ist hier unüberlegt getilgt worden. Nicht heimlich, still und leise, sondern offen, grell und laut. Denn kaum ist die Trompete, die das Erscheinen von Don Fernando als fernes Signal der Rettung ankündigt, verklungen, da kommt es im Kerkerdunkel zu einer wüsten Schießerei, der allein Florestan, der Todgeweihte, unversehrt entgeht: Pizarro erschossen, Rocco schwer verletzt und auch Leonore ist tödlich verletzt. Marzelline und Jaquino, die man kaum mehr wahrnimmt, bleiben so ratlos zurück wie die Zuschauer. Mit diesem radikal gedachten, die Oper aber um ihren ethischen Gehalt prellenden Schlußakkord, hat man Beethovens Bühnenwerk einen Bärendienst erwiesen.
Fidelio ist seit 1805 ein politisches Statement: gegen Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung jeglicher Art. Gegen was könnten sich – in diese Oper integrierte – politische Bekundungen, zu denen man die Bürger Weimars aufrief und für die das Motto Freiheit als Sichtbarkeit des Menschen ausgegeben worden war, also richten? Vor allem Studierende waren es, die während des Schlußchors von Volk und Gefangenen mit Plakaten die Bühne betraten. Aber ach: Sie demonstrierten nicht gegen die Kürzung von Bildungsausgaben oder gegen die Folterung irakischer Gefangener durch alliierte Truppen (das wäre bei der Inszenierung doch eine sinnfällige Demonstration gewesen), sondern allen Ernstes gegen die Streichung des Faschings der Weimarer Bauhaus-Universität!