von Erhard Crome
Die Christdemokraten haben wieder einmal die Platte »Patriotismus« aufgelegt. Frau Merkel sprach auf dem CDU-Parteitag im Dezember von »christlich-jüdischem Erbe« und »Schicksalsgemeinschaft«, rief das Thema »Leitkultur« wieder einmal auf, verurteilte – ebenfalls wieder einmal – die »sogenannte Multikultur« und vergaß auch nicht, »die Aufklärung« zu erwähnen. Es ginge um »Werte«. Kardinal Lehmann von den Katholischen und Bischof Huber von den Evangelischen murmelten, dies sei die falsche Debatte. Herr Thierse seinerseits meinte, eine Wertedebatte sei nötig, doch nicht diese. Und Schröder hatte an einem Sonntag betont, er sei jeden Tag Patriot.
Soviel zu der neuen Debatte, die ein Wiedergänger alter Debatten ist, was auch die meisten Zeitungen so kommentierten. Der Tagesspiegel aus Berlin hob hervor, in Deutschland würden sich Hitlerdebatten und Patriotismusdebatten reißverschlußartig abwechseln. Im Sommer hätte um den Film Der Untergang herum eine Hitlerdebatte stattgefunden, nun also eine Patriotismusdebatte. Man muß sich also nicht damit beschäftigen. Oder doch?
Herr Stoiber hatte auf dem CDU-Parteitag sekundiert und »Liebe zu unserem Land« bekundet. Da fällt einem wieder der berühmte Satz des ersten sozialdemokratischen Bundespräsidenten ein, der auf eine solche Frage geantwortet hatte: »Ich liebe meine Frau.« Aber das ist auch nur wieder Argumenten-Recycling. Die Frage aber ist, ob Tiefergehendes hinter dem erneuten Aufrufen einer derartigen Thematik steht. Herr Stoiber hatte rhetorisch die Frage gestellt: »Was hält unser Land zusammen?« und flugs selbst geantwortet: »Unser Land braucht wieder mehr inneren Zusammenhalt.« Man erinnert sich, daß vor einiger Zeit das Thema in ähnlicher Weise aufgerufen war, als Sozial- wie Christdemokraten unisono geklagt hatten, die Abwanderung deutschen Kapitals ins Ausland sei unpatriotisch.
Als sei das Kapital je »patriotisch« gewesen! Es hatte den Nationalismus gefördert und genutzt, als es mit den europäischen Nationalkriegen des 19. und 20. Jahrhunderts einen Haufen Geld zu verdienen galt. Aber das Kapital selbst? Schon im Oktober hatte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) – kannten die bereits das, was die CDU-Spitze auszubrüten bemüht war? – mitzuteilen gewußt: »Die öffentliche Debatte um Produktionsauslagerungen ist oft nicht nur einseitig, sondern auch irreführend, da sie die potentiell sehr wichtigen positiven Aspekte einer Unternehmensexpansion ins Ausland außer acht läßt.« Also das wandernde Kapital ist an sich positiv? Nur der Arbeitslose im entindustrialisierten Ostdeutschland weiß das nicht.
Es scheint um eine Surrogat-Debatte zu gehen. Schröders Sozialdemokraten demolieren den Sozialstaat, und da Merkels Christdemokraten in der konkreten Politik nichts grundlegend anderes anzubieten haben, führen sie Debatten im Wertehimmel. Vor einiger Zeit schien die Vorturnerin selbst noch zu schwanken, ob sie lieber die Thatcher geben sollte oder besser einen warmherzigen Konservatismus à la Heiner Geißler. Nun hat sie sich wohl für die Thatcher-Variante entschieden. Aber da ist ja schon der Schröder vor. Und der Stoiber gibt lieber die andere Rolle. Mit dem Ergebnis, daß die christliche »Gesundheitsreform«-Variante eine verwaltungsmäßige Gurke wurde, mit noch größerer Kälte als das, was die Sozialdemokraten hier schon tun. Die Umfragewerte sinken wieder, und das Kapital meint nun, der Schröder mache es doch ganz gut. Schon weil er die Gewerkschaften so schön ruhiggestellt hat. Wenn die Schwarzen das Gleiche wie Schröder täten, würden die eher lauthals protestieren.
Vielleicht steckt aber doch noch etwas anderes dahinter. Bush II hatte bekanntlich seinen Wahlkampf in diesem Jahr als »Werte«-Wahlkampf geführt, an einer selbst erdachten Kulturfront. Er hatte die Demokraten als verwöhnte, unpatriotische Leute denunziert, seine Kriegstreiberei und seine brutale Umverteilungspolitik zugunsten der Reichen dahinter versteckt und so viele Wähler dazu gebracht, gegen ihre tatsächlichen sozialen Interessen zu stimmen. So kann man die Globalisierung natürlich auch begleiten. Bürgerliche Politik zu machen, heißt, und das wußte schon Abraham Lincoln: Man muß es verstehen, eine Ursache zu erzeugen, die eine Wirkung hat, deren Folgen man dann bekämpfen kann. Offenbar gibt es Leute bei den Christdemokraten, die so die nächsten Wahlen gewinnen wollen.
Dann allerdings steht uns eine Debatte um Werte ins Haus, die nicht einfach zu ignorieren ist. Im Kern jedes der Gesellschaftskonzepte steht ein Menschenbild. Das wäre genauer zu besichtigen. Das Menschenbild der neoliberalen Globalisierer ist das einer »Freiheit«, in der sich jeder um sich selber kümmert. Deshalb koinzidiert dies ja auch heute auf so seltsame Weise mit den libertären Gründungsannahmen der Grünen. Dem wollen die Konservativen ein Bild des gemeinschaftsgebundenen Familienzusammenhaltes entgegensetzen, die Frau am Herd und sonntags der Kirchgang, während sie selbst – siehe Bush – ebenfalls die Kapitalrenditen im Blick haben. Die Sozialdemokraten heucheln, auch künftig sich um »die kleinen Leute« kümmern zu wollen, nur müsse dafür jetzt der Gürtel enger geschnallt werden. Die Nazis fordern »Arbeit für Deutsche – Ausländer raus!« Die Linke protestiert gegen das alles und insistiert auf der Gleichheit und der Gleichberechtigung aller: »Es ist genug für alle da!« Das aber müßte begründet werden. Zuvor aber muß das eigene Menschenbild in Zeiten, nicht der Cholera, sondern des Neoliberalismus, positiv umrissen werden.
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