Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 17. Januar 2005, Heft 2

Musik und Literatur

von Mathias Iven

Ihre gedichte sind schön und traurig, aber die idioten, selbst leute, die so tun, als ob sie ›verstünden‹, verstehen nicht.« Sätze wie dieser, können lebenslange Freundschaften begründen. Hans Werner Henze, der Ingeborg Bachmann 1952 bei einem Treffen der Gruppe 47 kennenlernte, hielt sich mit seiner Begeisterung ihr gegenüber nicht zurück. Und umgekehrt erging es auch der Bachmann, konnte sie darauf doch nur voller Überzeugung erwidern, »dass Ihre Musik einfach auf mich zukommt und da ist, wunderbar und von der ganz neuen Bewusstheit … eine[r] neue[n] Schönheit auch, mit der Sie dieser Zeit ein paar Schritte voraus sind«.
Beide wurden – fast auf den gleichen Tag genau – im Jahre 1926 geboren. Sie entstammten Elternhäusern, die kulturellen Dingen offen gegenüberstanden, die Väter waren Mitglieder der NSDAP, seit Kriegsbeginn an der Front. Doch nicht allein solche Parallelen verbanden sie.
Die gut 200 versammelten Briefe – sehr viel mehr von Henze als von Bachmann – dokumentieren keineswegs nur, wie es im Nachwort heißt, »das die Grenzen überschreitende Miteinander eines bewußten Neubeginns der antifaschistischen Kinder der Tätergeneration mit den überlebenden Opfern«.
Die Zusammenarbeit begann mit der Arbeit an der Ballettpantomime Der Idiot (1953 schrieb Bachmann dafür den »Monolog des Fürsten Myschkin«, Teil ihres ersten Gedichtbandes), in den nächsten Jahren folgten die Libretti für den Prinz von Homburg und Der junge Lord. Später wird sie bekennen, daß sie, die »zuerst angefangen [habe] zu komponieren und dann erst zu schreiben«, erst durch die Begegnung mit Henze »wirklich Musik verstanden« hat. Bei Henze sah es ähnlich aus: Er, der vom Beginn seines kompositorischen Schaffens an seine Aufmerksamkeit immer wieder auf die »Sprachähnlichkeit der Musik« richtete, sah in den Gedichten Ingeborg Bachmanns die perfekte Symbiose von Musik und Dichtung vorgezeichnet. Über beider Werk stand: »was das ist: Eine menschliche Stimme.«
Der Briefwechsel erstreckt sich über zwanzig Jahre, oft wechseln die Orte, oft die Sprache. Beider Leben ist unstet, ist gleichzeitig Flucht und zugleich Suche nach einem Ruhepunkt; Distanz und Nähe wechseln sich ab. Der Wunsch nach einem Partner – mindestens zwei Mal trägt ihr Henze die Ehe an –, nach einer Art von geschwisterlichem Zusammenleben bleibt bis zuletzt.
Wir haben hier mehr als nur Briefe vor uns: Es ist die Geschichte zweier Menschen zwischen Liebe und Haß, Sehnsucht und Hingabe. Ein wichtiges Dokument, das auch viel über den Kunstbetrieb der Nachkriegszeit verrät.

Ingeborg Bachmann – Hans Werner Henze: Briefe einer Freundschaft, Piper Verlag München 2004, 538 Seiten, 24,90 Euro