Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 20. Dezember 2004, Heft 26

Horrorskop

von Heinz W. Konrad

Januar: Klaus Wowereit stürzt die Berliner Landesregierung durch eine in sorbischer Frauentracht gehaltene Grundsatzrede, in deren Verlauf er die PDS-Senatorin Knake-Werner mehrfach lasziv küßt, in eine schwere Krise. Aus Protest trägt FDP-Fraktionschef Martin Lindner sein Haar aufreizend offen, sein CDU-Pendant Nicolas Zimmer formiert sich zu einer leidenschaftlichen Lichterkette.

Februar: Die Berliner Unruhen schlagen auf die Bundespolitik durch. Die fast schon beginnende Auszahlung des Arbeitslosengeldes II muß abgebrochen werden, um eine massive Anzeigenkampagne am Hindukusch zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit deutscher Politik zu finanzieren. Zahlreiche MdBs verlassen Berlin und ersuchen in München, Stuttgart und Peking (angefragt) um politisches Asyl. Der für Horst Seehofer in die Unionsführung nachgerückte Rudolph Mooshammer spricht sich für den vorläufigen Verbleib von Parlament und Kabinett in Berlin aus, aber lediglich Daisy und Gysi stimmen dem zu. Michael Glos fordert im Bundestag die Vereidigung der Bundeswehr auf König Ludwig II., bietet Petra Pau das Du an und verlangt im übrigen, daß Karthago zerstört werden muß.

März: Die Position der Bundeshauptstadt wird immer mehr erschüttert. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion entsteht auf der Freifläche vor dem Bundestag durch moslemische Immigranten ein Riesenrad, von dem aus ver.di-Funktionäre und Mullahs Trillerpfeifen und Kopftücher in die Menge werfen und zu provozierenden Sternfahrten auf naheliegende IKEA-Filialen aufrufen. Jörg Schönbohm bietet aus der Tiefe brandenburgischer Bereitstellungsräume den militärischen Entsatz der Hauptstadt durch ein Kriseneinsatzkommando von Langen Kerls, ersatzweise auch eine extreme Oderflut oder ein Livekonzert der Diedersdorfer Musikantenscheune an. Angela Merkel und Peter Hartz werden auf einer Bahnhofstoilette beim Parallel-Kiffen erwischt.

April: Die Grundfesten der Republik kommen ins Wanken: Die Pharmaindustrie droht mit einer Offenlegung der erfolgten Übernahme der Kassenärztlichen Vereinigung, die Alkoholproduzenten mit einem volkswirtschaftlichen Kollaps per Konsum-Aussperrung von Politikern, Juristen und Journalisten. Gerhard Schröder beschwört die Schicksalsgemeinschaft der deutschen Cohiba-Raucher. Seine Verlagerung nach Pjongjang kündigt VW an. Rolf Hochhuth gelingt die feindliche Übernahme der Bayreuther Festspiele, wo er mit Bruno Ganz in der Hauptrolle McKinsey kommt aufführt. Die Werbebranche tritt geschlossen dem traditionsreichen Dietz-Verlag bei und organisiert unter dem Label Bisky and friends eine massive Kampagne zur flächendeckenden Verbreitung der Dokumente der XXXVVVIII. Tagung des PDS-Parteivorstandes.

Mai: Deutschland verliert nun auch noch seinen Rang als Exportweltmeister und sieht sich im Strudel seines Niedergangs zur baldigen Einführung von UNO-Bananen gezwungen, was durch normative Einwände aus Brüssel krisenverschärfend hinausgezögert wird. Kanzler Schröder wendet sich in einer dramatischen Rede zur Lage der Nation überraschend an das deutsche Volk und erklärt in einer Notverordnung sämtliche politischen Ämter in Deutschland zu Ein-Euro-Jobs. Franz Beckenbauer löst Wolfgang Clement ab und kündigt die Einführung der Kauri-Muschel als offizielle Parallelwährung an. Sabine Bergmann-Pohl gewinnt zum fünften Mal in Folge den TV-Wettbewerb Deutschland sucht den Supergau.

Juni: Die aus Wilhelm-Pieck-Stadt Guben ausgestrahlte Wetten, daß-Sendung des ZDF muß nach Haßgesängen der Erzgebirgischen Randfichten auf die verfehlte Strukturpolitik der Berliner Republik mehrfach unterbrochen werden. Schwere Publikumstumulte werden durch ungeplante Werbeblöcke für Blasenpräparate und Treppenlifte ausgeblendet. Die Co-Moderatorinnen Franziska van Almsick und Carmen Nebel verschärfen die Situation, indem sie vor laufenden Kameras das auf ihrem Herzbereich tätowierte rote Ampelmännchen der DDR präsentieren.

Juli: Bundesaußenminister Fischer gesteht in der von grünen Aktivisten handstreichartig übernommenen TV-Sendung Du und Dein Garten, daß er als IM »Sorgenfalte« seinen langjährigen politischen Lauf lediglich einem durch das sächsische Sportlabor Kreischa organisierten Blutdoping zu danken habe. Eine neuerliche PISA-Studie konterkariert den deutschen Niedergang, indem sie das rasante Vorpreschen der Bundesrepublik auf den nunmehrigen Staatenrang 187 dokumentiert, was neue Hoffnungen weckt und die sofortige Kooptierung der Chefredaktion von Bild in das Bundeskabinett bewirkt.

August: Rolf Seelmann-Eggebert wird im laufenden ZDF-Politbarometer der Umfragefälschung bezichtigt und gesteht seine perfide Langzeitstrategie, einer royalistisch geprägten Krenz-Monarchie den publizistischen Weg bereitet haben zu wollen. Egon Krenz verwahrt sich im Cottbuser Lokalfernsehen gegen eine Dynastisierung seiner Person und kündigt rechtliche Schritte gegen die Versuche an, ihn und seine Frau auseinanderzudividieren. Am FKK-Strand des Ostseebades Boltenhagen formieren sich die ersten außertariflichen Montagsdemonstrationen gegen Allesmögliche. Die als Fanal geplante Selbstverbrennung der Fischer-Chöre scheitert am mittlerweile unerschwinglichen Benzinpreis.

September: Nach einem Eilantrag gibt das Bundesverfassungsgericht einer Klage der PDS statt und erklärt die bundesdeutsche Innen- und Außenpolitik seit Konrad Adenauer für grundgesetzwidrig. Die DKP verlautbart, dies schon immer gewußt zu haben und wird durch ein Grußtelegramm von Margot Honecker bestätigt, das der Berliner Tagesspiegel im Wortlaut veröffentlicht und damit das Neue Deutschland demonstrativ herausfordert.

Oktober: Nach dem relativ unblutigen Einbruch von konspirativen Agitatorenkollektiven in die Meinungsbildung der verunsicherten Bevölkerung formiert sich unter der Moderation von Michel Friedmann ein Runder Tisch, dessen wichtigstes Ergebnis die televisionäre Mitteilung Günter Schabowskis ist, daß die dialektischen Gesetze des Marxismus-Leninismus unverzüglich in Kraft getreten und ihrem Beitritt an allen bisherigen Denkübergängen ohne Vorliegen von Gründen Tür und Tor geöffnet seien.

November: Das Pendel der Geschichte schlägt endgültig in Richtung Entspannung aus, als Rainer Eppelmann in einem Akt demonstrativer Aussöhnung um die Hand von Sabine Christiansen anhält und die bevorstehende Adoption von Guido Westerwelle, Jürgen Fliege und Oliver Kahn bekanntgibt.

Dezember: Die vorgezogenen Neuwahlen für das deutsche Bundesparlament ergeben einen klaren Wahlsieg für Helmut Kohl.