Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 25. Oktober 2004, Heft 22

Gorki-Park

von Wladislaw Hedeler, z. Z. Moskau

Vor sechsundsiebzig Jahren, am 12. August 1928, öffnete der Park für Kultur und Erholung seine Pforten. Hier an der Moskwa, auf dem Gelände der ehemaligen Allunions-Landwirtschaftsausstellung, sollten die an der Verwirklichung des ersten Fünfjahrplans beteiligten Werktätigen Erholung, Unterhaltung und Entspannung finden. Im Unterschied zu den »bourgeoisen Luna-Parks« sei der Park für Kultur und Erholung nicht als kommerzielles Unternehmen angelegt, heißt es in der alten Sowjetenzyklopädie.
Neben gesunder Entspannung und heiterem Spektakel bot die Leitung des Parks den Besuchern eine Palette von Weiterbildungsveranstaltungen zu den unterschiedlichsten Fragen von Wissenschaft und Technik an. Der Park war für zweihundert- bis dreihunderttausend Besucher ausgelegt. Breite Alleen, weiträumige Plätze und Springbrunnen prägten die Parkarchitektur.
Heute sind die »Attrakziony« aus Sowjetzeiten bis auf einige Überreste verschwunden. Eine Treppe, die im Nichts endet, vom Gras überwucherte, kaum erkennbare Fundamente von Karussels. Gleich hinter dem Eingang mit den Kassen beginnt der Platz der Fontänen. Der Eintritt kostet fünfzig Rubel, knapp zwei Euro. Es gibt Luftballons, Narrenkappen, Clownsschleifen und russische Fahnen. Cola und Sonnenblumenkerne werden schon auf der Krim-Brücke, die zum Park führt, angeboten. Leider versperrt die Burgmauer des Kinderstädtchens die Sicht auf die zwei Kilometer lange Parkanlage und die Hauptallee, die am Bootsteich endet. Ponys traben um den Platz, Elektroautos schnurren. »Einmal Tarzan-Café und zurück« steht auf meinem Programm.
Am Kai ist wenig los. Das Traumschiff – eine gewaltige Luftschaukel – wird ein bis zweimal in der Stunde in Gang gesetzt, je nach Andrang. Die Silbermine – eine Achterbahn – ist stillgelegt, nur am Niagarafall, einer Wasserrutsche, herrscht Betrieb. Der Mann an der Schießbude lädt Farbkugeln nach. Sie haben die Farbe der Zuckerwatte, die nebenan angeboten wird. Es ist Wochenende und der Park gut besucht. Da sich die Preise je Attraktion zwischen dreißig und neunzig Rubeln bewegen, suchen die meisten Besucher nach preiswerten Angeboten. Offensichtlich will sich niemand auf die Reise nach Afrika begeben. Ein Saurierkopf liegt neben der Pforte herum, hinter der Afrika beginnt. Dafür stehen die Tretboote hoch im Kurs. In der Nähe des Teichs begann der von Martin Cruz-Smith verfaßte, nach dem Park benannte, Thriller Gorkipark.
Auch das Riesenrad, von dem aus die Parkanlage gut zu überschauen ist, lockt die Besucher an. Man hat einen herrlichen Ausblick über die Scholokadenfabrik Roter Oktober und das Haus an der Uferstraße bis zum Kreml. Die Kuppeln der wiedererrichteten Erlöserkirche glänzen in der Sonne. Auf dem Fundament der im Zuge der Umgestaltung von Moskau zur kommunistischen Musterstadt gesprengten Kathedrale sollte ein Sowjetpalast entstehen. Der gigantische Bau ist nie errichtet worden. Park und Sowjetpalast waren Bestandteil eines unvollendet gebliebenen Plans. Heute verfällt dieser in der Stalinzeit konzipierte öffentliche Raum.
Entlang der Hauptallee gibt es Burger, Süßigkeiten, Popcorn und Bier. Die Lokale haben lustig klingende Namen wie Pasta-basta oder sind nach russischen Gaunerliedern benannt. Das Gebrannte Küken, eine Hähnchenbraterei, gehört dazu. Ein verrosteter GMC-Bus mit einer Riesenwurst auf dem Dach parkt neben einem riesigen Sombrero. Darunter befindet sich ein mexikanisches Restaurant, aus dem es nach Schaschlik duftet. Einige Wachleute sitzen herum, es gibt nicht viel zu tun. Am Eingang zur Schatzinsel wacht Flint mit dem Holzbein. An der K-Wagen-Bahn türmen sich die Reifen, die Alpen-Bahn ist – ebenso wie das Café Tutzi – nicht in Betrieb. Heidi und die Geiß sind kaum noch zu erkennen. »Was soll ich da rein«, sagt ein junger Mann vor dem Spukschloß zu seiner Freundin, »draußen geht’s schlimmer zu.« Diese Parks sind eine »wahre und dazu unverfälschte Fundgrube der Volksmeinung«, hatte schon General Ernst Köstring, in den dreißiger Jahren deutscher Militärattaché in Moskau, geschrieben.