Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 13. September 2004, Heft 19

Die ollen Alten

von Kai Agthe

Jugend und Schönheit besitzen eine untrennbare Eigenschaft, die bei dem geilen Gieren der Boulevardmagazine nach festem Fleisch gern übersehen wird: Jugend und Schönheit sind kein Verdienst. Die Natur gibt’s, die Natur nimmt’s. Man mag Eva Padberg oder George Clooney heißen, wir werden alt und älter – und was wir einst gewesen: Staub.
Der Kult um die schöne Jugend und die jugendliche Schönheit ist so alt wie das Abendland. Es ist seit Cicero ein Gemeinplatz: Ein Mann wird im Alter (angeblich) interessant, eine Frau aber wird einfach nur alt. Eine ganze florierende Industrie beschäftigt sich heute mit dem Versuch, für Frauen immer neue Tinkturen zu ersinnen, die den natürlichen Alterungsprozeß aufhalten sollen. Mag auch der Glaube an den Jungbrunnen gewichen sein, die Hoffnung, durch das Auftragen von »Anti-Aging-Creme« dem Alter ein Schnippchen schlagen zu können, ist ebenso verbreitet wie irrig. Hannelore Schlaffer kommt daher zu dem berechtigten Schluß: »Die Kosmetik hat – man mag es zunächst nicht glauben – kein anderes Ziel, als den Schrecken vor dem Altern wachzuhalten.« Nachzulesen in Schlaffers Essay Das Alter – Ein Traum von Jugend, erschienen in der bibliophilen Suhrkamp-Reihe Bibliothek der Lebenskunst. Einen Vorgeschmack auf das Buch hatte die Autorin in dem Beitrag Über Alter und Altern in Heft 5/2001 von Sinn und Form gegeben.
Die Weisheit des Staatsmanns stieg – so sah man es vorzeiten – mit seinen Lebensjahren. Die Todesangst, so erfahren wir, kam im 18. Jahrhundert mit der Aufklärung auf, welche die Pforte zum Paradies zuschlug. Eine »Idyllisierung und Infantilisierung des Alters« wiederum macht die Germanistin für das 19. Jahrhundert aus. Über die mit dem Alter einhergehenden Gebrechen verlor man aber bis dahin kaum ein Wort. Die Sonne des Lebensabends sollte nicht durch Klagen über körperlichen und geistigen Verfall verdeckt werden. Das änderte sich erst im 20. Jahrhundert. Mit der ihm eigenen analytischen Schärfe hat Jean Améry den Prozeß des Altwerdens reflektiert. In der von der Autorin mehrfach zitierten Schrift Über das Altern. Revolte und Resignation behandelte der Essayist das Thema so kompromißlos wie später den Freitod in dem schmalen Band Hand an sich legen.
Hannelore Schlaffer nennt im Verlauf ihrer Ausführungen auch ein Unwort des Jahres 1991, wo für das betriebswirtschaftlich motivierte Vorgehen, Angestellte aus Altersgründen aus Unternehmen ausscheiden zu lassen, der Begriff des »biologischen Abbaus von Personen« gefunden wurde. Diese Formulierung ist fast noch harmlos gegenüber dem perfiden Diktum vom »sozialverträglichen Frühableben«, das wenig später in den Medien kursierte. Es ist bezeichnend, daß hierzulande im Zusammenhang mit der Diskussion über das Alter oft ein Vokabular benutzt wird, das verdiente, in den Nachfolger von Viktor Klemperers LTI aufgenommen zu werden.
Eingedenk der gegenwärtigen sozialpolitischen Entwicklungen in der Bundesrepublik zeigt sich, daß neben den jungen nun auch immer mehr alte Menschen Zukunftsangst haben müssen. Was vor Jahren allenfalls eine Tautologie gewesen wäre, ist inzwischen eine traurige Gewißheit. Ein Merkmal von Alter wird künftig nicht mehr allein das irreversible Schwinden von Jugend und Schönheit, sondern unter Umständen auch das Abgleiten in die Armut sein.

Hannelore Schlaffer: Das Alter – Ein Traum von Jugend. Bibliothek der Lebenskunst. Suhrkamp Verlag Frankfurt/M. 2003. 105 Seiten, 15,00 Euro.