Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 27. September 2004, Heft 20

Der falsche Freund

von Erhard Crome

Ein deutscher Professor kann über jedes Thema reden, er braucht dafür nur exakt neunzig Minuten Zeit. Das hatte ein vor etlichen Jahren vielzitierter deutscher Professor zu Beginn eines Konferenz-Schlußwortes gesagt, und er verbrauchte exakt neunzig Minuten Zeit. Und so schreibt er denn auch, der deutsche Professor als solcher.
Nun also Claus Leggewie über die Globalisierung. Und ihre Gegner. Über die natürlich vor allem. Er beginnt nett, und mit der standesüblichen Eitelkeit: Er war als »professioneller Beobachter« zum Weltsozialforum nach Porto Alegre – durch wen auch immer – »eingeladen« worden. Weil er »seine Zustimmung zu Zielen der hier versammelten ›Globalisierungsgegner‹ zu erkennen gegeben hatte«. Zu Zielen, nicht zu den Zielen. Das kann der deutsche Professor nicht. Zu einigen Zielen vielleicht; zu welchen, sagt er nicht. Aber er war eingeladen, und somit »teilnehmender Beobachter« und als solcher berufen, darüber zu schreiben. Das Ergebnis ist nun nachzulesen.
Es beginnt mit einer kritischen Beschreibung der Ergebnisse der »Globalisierung (wie wir sie kannten)«. Zutreffend verweist er darauf, daß die OECD-Staaten des Nordens nicht Opfer, sondern Promotoren, Akteure der Entgrenzung dieses Kapitalismus sind. Dieses böse Wort verwendet er natürlich nicht. Bei ihm heißt es: »der Welthandels- und Auslandsinvestitionstätigkeit«. Und so gibt es den Konsensus von Washington, der behauptete, daß vor allem der Süden davon profitieren würde. In Wahrheit jedoch ist das reichste Fünftel der Menschheit heute fast fünfzigmal reicher als das ärmste Fünftel. Eine Milliarde Menschen sind unterernährt und Analphabeten. Das alles sei nicht Folge knapper Mittel, sondern ein globales Verteilungsproblem. »Vor die Fragen kultureller Differenz schieben sich damit wieder klassische Probleme sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit, die auf Weltebene noch schwieriger zu konzeptualisieren sein werden.« Das ist schlau formuliert, nur weiß man nicht genau, was gemeint ist. Man hätte auch sagen können, daß die Milliardäre aus den USA bereits am Ende des vorigen Jahrhunderts wohlhabender waren, als die gesamte Bevölkerung der Volksrepublik China, oder daß die reichsten 365 Personen der Welt zusammen ein größeres Einkommen haben als die 1,2 Milliarden der Ärmsten dieser Welt. Vielleicht ist ja auch die Armut dieser die Bedingung und Folge des Reichtums jener. Aber so böse Worte finden sich bei Leggewie nicht. Das Wirtschaftsmagazin Forbes dagegen vermeldet ganz stolz, daß das Vermögen der Milliardäre im vergangenen Jahr um 0,5 auf 1,9 Billionen US-Dollar gestiegen ist. Die kennen da keine Hemmungen.
Aber so weit muß man als teilnehmender Beobachter ja nicht gehen. Da beobachtet man besser die Gegner jener Globalisierung. Diskursanalytisch kommt die globalisierungskritische Bewegung ganz gut weg: Sie hat die Globalisierung problematisiert und kritisiert die »soziale Exklusivität« (das schöne Wort umschreibt wieder auf andere Weise den Arm-Reich-Kontrast), das Fehlen ökologischer Nachhaltigkeit, die Mißachtung der Menschenrechte, den Mangel an demokratischer Partizipation. So hat sich in den vergangenen Jahren die Beweislast umgekehrt: Nicht mehr die Globalisierungskritiker müssen den Beweis für ihre Kritik antreten, sondern deren ideologische Verfechter.
So weit, so gut. Aber die Akteure! Lauter schmuddelige, fragwürdige Gestalten: Da gibt es Insider-Kritiker wie Soros und Stiglitz, bewegungsnahe Intellektuelle wie den inzwischen verstorbenen Soziologen Bourdieu. Letzterem hätten die Globalisierungskritiker, etwa in Deutschland, auch dann gebannt gelauscht, wenn sie kein Wort Französisch verständen. So sind sie, diese Leute. Und dann gibt es den »Schafzüchter« Bové aus Frankreich, der gegen McDonalds vorging, obwohl es in Frankreich viele Schnellverzehr-Restaurants gibt, oder die indische Schriftstellerin Arundhati Roy, die mit ihrem Verweis, daß Osama Bin Laden »der dunkle Doppelgänger« von Bush II sei, einem »ins Globale gesteigerten Antisemitismus« fröne, und vor allem lauter Altlinke, zumal in Deutschland, die bereits in der Friedensbewegung der 1970er und 1980er Jahre völlig falsch lagen, als sie die USA und die Sowjetunion auf eine Stufe stellten. Sie hatten die Segnungen einer demokratischen Atombombe im Vergleich zu einer totalitären nicht verstanden. Und die Kritik der Katholiken an diesem Kapitalismus, so Leggewie, sei schon deshalb unglaubwürdig, weil es die bekannten »sexuellen Verfehlungen des Klerus« gibt. Vielleicht hätte der teilnehmende Beobachter mal in ein paar brasilianische Landgemeinden fahren und sich ansehen sollen, welche Rolle katholische Priester dort für die Armen spielen.
Am Ende kommt der Autor darauf, daß die sozialen Bewegungen ein Demokratie-Defizit hätten, weil: Sie sind ja nicht gewählt. Wenn Demonstranten laut demonstrieren, wen vertreten sie dann eigentlich? Wenn sie schreien, sie seien das Volk, wer wählt sie dann? Am Ende stören sie den schönen demokratischen Prozeß: Die französischen Trotzkisten waren schuld, daß der Sozialist Jospin nicht zum Präsidenten gewählt wurde, weil sie ihm im ersten Wahlgang die Stimmen genommen hatten, die dann fehlten, um in die Stichwahl gegen Chirac zu kommen. Und in den USA habe der Grüne Nader die Stimmen bekommen, die Al Gore fehlten, um anstelle des Bush II im Weißen Haus zu sitzen. Daß schließlich die gefälschte Wahl in Florida den Ausschlag gegeben hatte, wird vornehm verschwiegen. Am Ende wird auf die PDS in Deutschland verwiesen … »Rot-Grün« läßt grüßen, und der Leser fragt sich erstaunt, ob dies des Pudels Kern ist. Sollte sich die globalisierungskritische Bewegung über ein solch nettes Buch freuen? Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.

Claus Leggewie: Die Globalisierung und ihre Gegner, Verlag C.H. Beck München, 9,90 Euro.