Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 30. August 2004, Heft 18

Rechtschreibreform 1905

von Mathias Iven

Gelobt sei die Redaktion des Blättchens, hat sie sich doch in Fragen der Rechtschreibung nie beirren lassen. Jeder der Autoren darf, wie er will – nur: »neumodisch« soll es nicht sein! Vielleicht wird deshalb auch die derzeitige Diskussion um Reform oder Gegenreform von Sprache und Schrift mit abwägender Mißachtung gestraft …
Egal! Nicht erst heute wird um diese vermeintlichen – und für wen eigentlich entscheidenden? – Fragen gestritten, und nicht erst heute erheben auch Prominente ihr Wort dafür oder dagegen.
Mit Blick auf die ersten, in diesem Herbst zu erwartenden Schiller-Biographien – ja, ja, es steht wieder mal ein Jubiläum ins Haus, das der zu ehrenden Person eine zeitlich begrenzte Aufmerksamkeitssteigerung garantiert – wollen wir einen Blick auf das Jahr der letzten Schiller-Feierlichkeiten werfen: 1905. In diesem Jahr veröffentlichte der bekannte Physiker Ludwig Boltzmann (1844 – 1906) unter dem Titel Populäre Schriften eine Sammlung seiner Aufsätze und Reden. Er, der noch mit dem »th« (in That oder Rath) groß geworden war, dem, als altem Lateiner, das »C« an manch einer Stelle besser als das »K« gefiel, auch er sträubte sich gegen die von Konrad Duden bereits 1880 – mit dem Erscheinen seines Vollständigen orthographischen Wörterbuchs der deutschen Sprache – eingeleitete orthographische Zwangsbeeinflussung. Da kam ihm das Schiller-Jubiläum gerade recht. Er widmete sein Buch ganz einfach einem unserer ganz Großen. Doch warum und vor allem: Wie sah diese Widmung aus? Nicht der Text war anstößig, Gott bewahre. Sagen wir mal so, Boltzmann mischte sich mit einem eigenen Vorschlag zur Reformierung der Schriftsprache in die damalige Diskussion ein.
Also, was schrieb er? Die Widmung lautete im Original!: »Den Manen Schillers, des unübertroffenen Meisters der naturwahren Schilderung, [in] echter, aus tiefstem Herzen kommender Begeisterung gewidmet, hundert Jahre nach dessen Eingang in die Unsterblichkeit«. Schon an dieser Stelle wird manch aufmerksamer Leser gestutzt haben. Aber damit nicht genug. Nach der Widmung das »forwort«, das an dieser Stelle in Gänze wiedergegeben wird, zeigt es doch zumindest eine, auch von unseren Reformierern schon mehrmals diskutierte Form: Boltzmann bekennt sich zu einer konsequenten Kleinschreibung (seien wir ehrlich: Wer will das wirklich?).
Zum Text (blicken Sie bitte nicht so sehr auf den Inhalt, als: auf die schreippweihse …): »ich musste mir in meinen lezten büchern di neue ortografi gefallen lassen, di zu erlernen ich zu alt bin; so möge man sich hir im forworte di neueste ortografi gefallen lassen. ich glaube, man soll di abweichungen fon der fonetik, wenn man si nicht ganz ferschonen will, dann schon alle hinrichten. wenn man dem hunde den schwanz nicht lassen will, schneide man in mit einem griffe ganz ab! ich habe im forligenden buche über eine fom ferleger an mich ergangene aufforderung meine populären schriften zusammengestellt. si sind fon ser ferschidenem inhalte, teils reden, teils populärwissenschaftliche forträge, abhandlungen mer filosofischen inhalts, rezensionen etc. obwol natürlich meine anschauungen im ferlaufe der zeit modifikazionen erfaren haben, und ich heute fileicht nicht mer alles so schreiben würde, so habe ich doch alles unferändert gelassen, da es offenbar immer nur ein bild meiner damaligen anschauungen geben kann und soll. di forangestellte widmung ist keine frase. ich danke den werken göthe’s, dessen faust fileicht das grösste aller kunstwerke ist und dem ich di mottos meiner ersten bücher entnommen, shakespeares etc. di höchste geistige erhebung; aber bei schiller ist es etwas anders, durch schiller bin ich geworden, one in könnte es einen mann mit gleicher bart- und nasenform wi ich, aber nimals mich geben. wenn ein zweiter einen einfluss von gleicher grössenordnung auf mich ausgeübt hat, so ist es beethoven. aber ist es nicht karakteristisch, dass lezterer in seinem grössten werke zum schlusse schillern, und zwar nicht dem ausgereiften, sondern dem in jugendlicher begeisterung sprudelnden schiller das wort erteilt?«
Ach und übrigens: Pfeiffers drei Feuerzangenbowlen-Fs finden sich in dem Wort Sauerstoffflasche nicht erst seit der Wende in der Orthographie.