Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 21. Juni 2004, Heft 13

Widerstand und Verleumdung

von André Hagel

A. Paul Weber ist bis heute in der Reihe deutscher Zeichner, die ihren Strich gezielt und bewußt zur satirischen Fokussierung politischer Erscheinungen und Tendenzen einsetzen, unerreicht geblieben. Erst in den vergangenen Jahren hat etwa Peter Muzeniek ein Format und eine Schärfe gewonnen, die sich streckenweise mit der Kraft der Arbeiten des 1893 geborenen und 1980 verstorbenen Webers messen lassen. Will man tatsächlich vollgültige Vergleiche in der Schärfe der Aussage sowie in der Wucht der Wirkung ziehen, dann muß man in der Betrachtung vom Lager der Zeitzeichner in das der Zeitgrafiker wechseln. Erst hier wird man auf der Suche nach einem kraftvollen Pendant zu A. (= Andreas) Paul Weber fündig ñ bei John Heartfield.
Die Parallelität von Weber und Heartfield ist kein Zufall. Beide hatten sich mit der Realität und der Gefahr des heraufziehenden Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Beide setzten, jeder auf seine Weise und mit seinen künstlerischen Mitteln, überdeutliche Warnsignale vor der Bewegung Hitlers, in der sie die zu ihrer Zeit gefährlichste politische Verkörperung von Unterdrückung, Unmenschlichkeit, eines heraufdämmernden Krieges sowie letztlich des drohenden Untergangs Deutschlands in einer politischen und moralischen Katastrophe ohnegleichen erblickten. Heartfield tat dies auf der politischen Linken der Weimarer Republik, Weber setzte seine zeichnerischen Marksteine in jenem oft selbst nebulösen politischen Spektrum, das die Schnittstelle zwischen sozialistischen und nationalrevolutionären Strömungen der 1920er und 1930er Jahre bildete. Die Mahnungen und Warnungen der beiden blieben ungehört und fanden in den deutschen Ruinen des Jahres 1945 ihre fatale Bestätigung.
In den vergangenen Jahren sind die Arbeiten A. Paul Webers zunehmend in Vergessenheit geraten. Angesichts dessen ist es erfreulich, daß sich das Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrum in Osnabrück in Zusammenarbeit mit der Erich-Maria-Remarque-Gesellschaft sowie der Felix-Nussbaum-Gesellschaft den Arbeiten Webers zwischen 1929 und 1934 mit einer eigenen Ausstellung angenommen hat. In jenen Jahren, in denen A. Paul Weber für die von Ernst Niekisch herausgegebenen Zeitschriften Widerstand und Entscheidung als Zeichner und Karikaturist, zeitweilig auch als Mitherausgeber tätig war, entstanden jene Arbeiten, die einen entscheidenden Wendepunkt in Webers künstlerischem Schaffen markierten. Die Mentalität des Widerstandes, die zeit seines Lebens für A. Paul Webers Werk bestimmend bleiben sollte, erhielt hier wesentliche Impulse und Richtungsgebungen. Wer die zivilisationskritischen Arbeiten Webers etwa der 1960er Jahre mit denen der zwanziger und dreißiger Jahre vergleicht, entdeckt hier zahlreiche Anknüpfungspunkte und Parallelen.
59 Lithographien nach Zeichnungen der Widerstand- und Entscheidung-Zeit haben die Initiatoren der Ausstellung zusammengetragen. Darunter das für Webers gegen den Nationalsozialismus gerichtete Schaffen gleichsam programmatische Das Verhängnis, jene zu später Popularität gelangte Zeichnung, die den Zug des deutschen Volkes in den faschistischen Abgrund prophezeit – ein kollektiver hakenkreuzbefahnter Totentanz, der im dunklen Schlund eines überdimensionalen Sarges endet. Doch nicht nur die bekannteste Anti-Hitler-Zeichnung Webers macht deutlich, daß der Künstler schon lange vor 1933 der Überzeugung war, das heraufdämmernde Nazi-Regime werde Deutschland ins Verderben führen.
Nicht weniger eindrucksvoll sind beispielsweise mehrere in der Ausstellung versammelte Illustrationen für Ernst Niekischs 1932 erschienene und seinerzeit weitverbreitete Schrift Hitler ñ ein deutsches Verhängnis, so die Titelgrafik, die ein in einer SA-Uniform steckendes Skelett als Sinnbild des Todes über der frenetisch jubelnden Masse der NS-Anhänger und -Mitläufer triumphieren läßt.
Unübersehbar ist das ethische Moment, das die Arbeiten A. Paul Webers gegen die drohende Nazi-Barbarei kennzeichnet. Um so verwunderlicher ist es daher, wenn die Ausstellungsverantwortlichen sich in der Interpretation des in seiner Aussage unzweifelhaften Werkes Webers an die denunziatorischen Deutungen Michael Pittwalds zum Widerstandskreis Ernst Niekischs anlehnen, von diesen ausgehend Weber eine zynische und elitäre Grundhaltung vorwerfen und seine Haltung des Widerstandes als eine Legende abqualifizieren, die nicht mehr länger haltbar sei. Das ausgestellte Werk spricht eine andere Sprache.
Und im Falle Andreas Paul Webers auch die biographischen Tatsachen: Nachdem die von ihm zeichnerisch betreuten Zeitschriften Entscheidung und Widerstand bereits 1933 beziehungsweise 1934 von den neuen braunen Machthabern aus dem Verkehr gezogen worden waren und sich Weber standhaft geweigert hatte, auch nur äußerlich zu einem mustergültigen »Volksgenossen« zu mutieren, wurde er im Juli 1937 verhaftet, in das KZ Hamburg-Fuhlsbüttel und später in verschiedene Gefängnisse verfrachtet. Auch wenn er durch die Verwendung einflußreicher Freunde für ihn relativ schnell wieder freikam, so lebte Weber doch bis Kriegsende unter der ständigen Bedrohung durch die Gestapo.
Aus der Tatsache, daß sich der Künstler nach seiner Freilassung aus der Nazi-Haft, um sich nicht erneut in Gefahr zu bringen, mit politischen Äußerungen zurückhielt, den Vorwurf eines Arrangements mit dem Hitler-Regime zu konstruieren, wie dies die Verantwortlichen der Ausstellung in den Begleittexten tun, wird dem Künstler A. Paul Weber und seinem Werk nicht gerecht. Mehr noch: In diesem Punkt fällt der Weber vorgeworfene Zynismus auf die Ausstellungsverantwortlichen zurück.

Katalog zur Ausstellung: A. Paul Weber ñ Widerstand und Entscheidung, Oltmann Verlag Unkel, 79 Seiten, 15 Euro.