Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 21. Juni 2004, Heft 13

Marc Bloch

von Mario Keßler

Begriffe wie Alltags- und Mentalitätsgeschichte, Prozesse und Strukturen, historische Sozialwissenschaft und Interdisziplinarität sind für Historiker und historisch Interessierte längst zum vertrauten Vokabular geworden. Dies war lange Zeit nicht selbstverständlich, und in der Zeit zwischen beiden Weltkriegen wurde, wer solche Worte benutzte, argwöhnisch angesehen, und dies nicht nur in Deutschland. Daß es heute anders ist, muß man der französischen Zeitschrift Annales in hohem Maße zuschreiben. Der Zeitschriftentitel gab einer ganzen Denkschule den Namen. Einer ihrer Gründer und langjährigen Herausgeber, der Historiker Marc Bloch, wurde vor sechzig Jahren, am 16. Juni 1944, vom Lyoner Gestapochef Klaus Barbie gefangengenommen, gefoltert und danach von französischen Kollaborateuren ermordet.
Der 1886 in Paris geborene Bloch studierte an der Sorbonne sowie in Berlin und Leipzig, dort bei Rudolf Kötzschke und dem Psychologen Wilhelm Wundt. Seit 1920 war er Professor in Strasbourg, wo er, gemeinsam mit Lucien Febvre, 1929 die Annales begründete. Um die beiden Gelehrten sammelte sich ein Kreis von Historikern, Soziologen und Psychologen, Febvre und Bloch leiteten die Zeitschrift gemeinsam, zunächst von Strasbourg, dann von Paris aus, denn 1933 wurde Febvre an das Collège de France berufen, der führenden Forschungsanstalt des Landes, und Bloch hatte seit 1936 die damals einzige Professur für Wirtschaftsgeschichte an der Sorbonne inne.
Bloch, der Deutsch und Englisch hervorragend beherrschte, setzte sich im Zeitalter des Nationalismus intensiv für eine Zusammenarbeit von Historikern über Grenzen hinweg ein. Er versuchte besonders, zur deutschen Geschichtswissenschaft Brücken zu schlagen. Dies gelang jedoch kaum, da die etablierte deutsche Zunft meist ablehnend reagierte. Nur wenige Außenseiter, wie der nach 1945 in Leipzig lehrende Heinrich Sproemberg, nahmen diese Anregungen auf.
Der Zweite Weltkrieg zog auch das Schicksal der Annales und besonders ihres Herausgebers Bloch in Mitleidenschaft. Zwar konnte das Journal unter einem mehrmals veränderten Titel weiter erscheinen. Blochs Name mußte jedoch vom Titelblatt verschwinden, da er Jude war. Unter Pseudonym gelang es ihm, noch einige Beiträge zu publizieren. Der Einmarsch der Wehrmacht bedeutete auch das Ende von Blochs Lehrtätigkeit. Ein Angebot, in die USA zu emigrieren, schlug er aus. Staat dessen schloß sich der Vater von sechs Kindern 1943 dem aktiven Widerstand an. Im März 1944 wurde er bei einer Razzia in Lyon gefangengenommen.
Blochs Bücher wurden nach Kriegsende wieder aufgelegt, darunter sein wichtigstes Werk Die Feudalgesellschaft. Vor allem Ulrich Raulff und Peter Schöttler trugen dafür Sorge, daß sie auch in Deutschland übersetzt wurden und eine Leserschaft fanden.
Unter den drückenden Bedingungen der Illegalität und Verfolgung plädierte Marc Bloch für ein besseres Verständnis der Motive des anderen, das jeder Kontroverse unter Historikern vorangehen sollte: »Die Geschichte selbst sollte darauf verzichten, sich wie ein rächender Erzengel zu gebärden, sie könnte uns dann sogar helfen, von diesem Fehler abzulassen. Sie bietet eine breit gestreute Erfahrung menschlicher Vielfalt, sie ist eine lange Begegnung von Menschen. Im Leben wie auch in der Wissenschaft ist alles daran zu setzen, daß es eine brüderliche Begegnung werde.«