Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 21. Juni 2004, Heft 13

Gundermann 1990

von Lutz Kirschner

Lange war sie erwartet worden: die Gundermann-CD werkstücke II: die wilderer. Siebzehn Titel werden präsentiert, drei davon sind Gundermann solo, die anderen vierzehn Stücke Gundermann & Die Wilderer, aufgenommen im Popstudio des DDR-Rundfunks in der Nalepastraße und im Franz-Klub Berlin-Prenzlauer-Berg im Mai/Juni 1990. Es handelt sich um Lieder, die bereits seit einiger Zeit in Gundermanns Repertoir waren (zum Beispiel scheißspiel, old dixi down, es kommt der tag, die festung) und um neue, im und nach dem Wende-Herbst von 1989 entstandene. Und gerade sie zeigen, wie Gundermann sich damals politisch positionierte und künstlerisch neue Produktivität gewann.
Sein Programm Erinnerung an die Zukunft, seine Texte zur Silly-LP Februar, sein Beitrag zum Kongreß der Unterhaltungskunst im März 1989 waren vehemente Kritiken gesellschaftlicher Stagnation gewesen und Aufrufe zur selbstbewußten Aktivität hin zu einem anderen Sozialismus im kleinen Land DDR. soll sein formuliert die Hoffnungen, die Gundermann in die aufbrechende Volksbewegung setzte: Befreiung von Falschheit, Einrichtung ökologisch sinnvoller Zustände, Abrüstung. Der Refrain »frag mich nicht wie / frag mich nicht wann / s ist doch nurn lied / aber mitm lied / fang ich erst mal an« steht zugleich dafür, dass seine Hoffnung nicht blind war, nicht naiv-euphorisch, sondern er den Aufbruch eben als Anfang sieht, der durchaus mit der Last des Bisherigen konfrontiert ist.
Die metaphorische Gegenüberstellung von »schüchtern guter fee« und dem »söldner … hinterm schweren tank-mg« des Titels die festung stellte gerade die Frage, was sich zeigen wird, wenn die vielen Vereinzelten zur historischen Kraft werden. Und auch die Genossen waren längst verstreut worden, die Interbrigaden gehören einer vergangenen Zeit an (old dixi down). Dennoch bleibt der Aufbruch der notwendige Ausweg aus einer bleiernen Zeit, und Gundermann hat ihn mit seinen Auftritten und Stellungnahmen – zum Beispiel zur Resolution der Rockmusiker und Liedermacher ñ kräftig befördert.
Was dann ab Anfang November 1989 jedoch geschah, erweist sich nicht als Einlösung seiner Hoffnungen. Für Hunderttausende wird die gewonnene Reisefreiheit zur bloßen Möglichkeit, die Konsumtempel des Westens zu erobern. Die kurzfristig offene historische Situation wird im Gegeneinander von Bürgerbewegung und Reformkräften aus den früheren Institutionen, im Versuch bürokratischer Machtrettung alter und schnellen Machtgewinns neuer politischer Eliten vertan. Der Ruf nach Erneuerung der DDR-Gesellschaft versandet, mit »Wir sind ein Volk«, Modrows »Für Deutschland, einig Vaterland« und den Wahlergebnissen vom März 1990 geht die Reise gen Westen. Die Chance der Selbstbestimmung wird abgetrieben, die Zukunft des Landes den bundesrepublikanischen Mächten überantwortet. Darauf antwortet Gundermann mit neuen Songs, und sein im Frühjahr 1990 entstandener Liedzyklus zur Selbstaufgabe der Volksbewegung und zum Abschied aus der geträumten Heimat eines demokratischen Sozialismus in der DDR ist es, der für mich den Kern seiner Zusammenarbeit mit den Wilderern ausmacht.
kein land in sicht resümiert Auf- und Abbruch unter Nutzung der von Gundermann oft verwendeten Schiffs-Metaphorik: »immer wenn der sturm sich gelegt hat / fangín die offiziere wieder an mit kommandiern / immer wenn der sturm sich gelegt hat / muss der schiffsjunge gehn und die segel wieder nähn«. Ist so die Grundstruktur von Macht und Herrschaft, die in den Tagen, da man »den holländer fliegen sah«, aufgehoben schien, wieder neu errichtet, ist auch festzustellen: »immer noch kein land in sicht«. Die durch die Nichterfüllung der anstehenden welthistorischen Aufgaben von ökologischem Umbau und Aufhebung des Nord-Süd-Gefälles gegebenen Gefahren bündelt Gundermann zu seiner apokalyptischen Vision des Untergangs der westlichen Konsum- und Produktionsweise (europa). An Stalin anknüpfend und diese erste Provokation noch übersteigernd, wird in dem deutschen volk voller Wut und Sarkasmus der Ausgang der März-Volkskammerwahlen kommentiert: »die führer komm / die führer gehn / das deutsche volk bleibt / doof«. (Gundermann hatte für das Aktionsbündnis Vereinigte Linke kandidiert, unter den Losungen »Kein Ausverkauf« und »Gegen die Kapitalisierung der DDR«.)
Ein Bibelwort aus dem 19. Kapitel des Matthäus-Evangeliums aufnehmend, vergewissert sich Gundermann trotzig seines Platzes in Wende- und Nach-Wende-Zeiten: »die letzten werden die ersten sein / in den momenten / wo die blätter sich wenden / aber dann aber dann / werden sie wieder die letzten sein«. Und: »ich geb nicht auf / ich geb nur nach / ich werf die flinte ins korn / und merk mir wo ich sie hingeschmissen hab / neben meine abgerissnen ohrn«. Dieser Trotz aber ist grundiert von Trauer und Melancholie, von der Problematik der neu zu beantwortenden Frage nach dem Ort eigener Aktivität und Bindung. »steinland« ist Gundermanns Bild für die DDR, das Lied ein Abschiedssong seiner Generation auf das Gemeinwesen, das ihr Heimat war, weil man hier gebunden blieb, zu dessen Veränderung man gerade noch in den Startlöchern gesessen hatte und dessen Verfall man nicht hatte aufhalten können. »wir hams noch nicht besessen und hams schon verkauft / und schon verfressen und schon versauft / wir hams schon vergessen / und haben doch kein andres zuhaus // es ist doch mein land und es ist auch dein land / ach in diesem steinland sind wir beide zu haus«. In der Zeit der Auflösung des auf so ambivalente Weise eigenen Landes gewinnt das Miteinander im Nahbereich stärkere Bedeutung. »wo solln wir hin / wo bleiben wir / ich kann doch nur zu dir herein / und du zu mir«, singt Gundermann. (Und in dem Solostück für c. heißt es: »gehn oder bleiben / ach ich weiss von beiden / nur: es geht nicht ohne dich«.)
Jeder hat seinen Gundermann – der meine ist vor allem der politische Rocksänger und Liedermacher. Andere werden in dieser CD-Veröffentlichung anderes finden, was für sie wichtig ist. Mich jedenfalls haben damals gerade die Stücke beeindruckt, die in direkter und oftmals überpointierter Weise Bezug nehmen auf die politischen Veränderungen. Außer den benannten Titeln gehört noch »sehnsucht ach dem rattenfänger dazu, auch ein Produkt der Zusammenarbeit Gundermann & Die Wilderer Anfang 1990, auf der neuen CD nicht enthalten, jedoch auf der 7te samurai veröffentlicht. Und ossi reservation, wohl 1991 entstanden und seitdem immer ein Höhepunkt seiner Konzerte mit den Wilderern. Die drastische Symbolik der Texte korrespondierte mit dem harten Rocksound der Wilderer, zu spüren war die Kraft eines fast anarchistischen Anrennens gegen den »Lauf der Verhältnisse«. Mir jedenfalls haben diese Gundermann-Titel geholfen: bei der Enttäuschungsverarbeitung, beim Bestehen auf den eigenen Utopien und Idealen gegenüber den Zumutungen des mainstreams, beim Finden der Orte, an denen sie nach wie vor lebbar sind. Gundermann: »Der Großversuch ist gescheitert, aber niemand verbietet uns, im Kleinversuch weiterzumachen.«

Gundermann: werkstücke II – die wilderer, Buschfunk Musikverlag 2004. Zu erwerben in guten Plattenläden und im Direktversand über Buschfunk (www.buschfunk.com).