Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 12. April 2004, Heft 8

Heimatlose Linke

von Max Hagebök

Ich bin ein Steinläufer. Täglich bewege ich meinen überwinterten Körper durch die Stadt. An den bunten Massen vorbei, die sich kaffeeschlürfend in die Sonne stürzen, suche ich stolpernd nach den letzten Linken. Es muß sie geben. Las ich doch davon, daß die Linken in der SPD sich vereinen wollen, um etwas zu finden, was es schon lange nicht mehr gibt. Blauäugigkeit oder Idealismus?
Immerhin bedurfte es eines Schröders, um den Linken die schon längst vorhandene Götterdämmerung bewußt zu machen. Da sie bisher wenig taten, um die eigenen Fehler zu finden, werden sie doch nur wieder eine Sekte gründen. Von den anderen Genossen, denen der PDS, besteht keine wirkliche Gegenliebe, da sie als geläuterte Linke zu genau wissen, was Parteidisziplin und Arroganz der Macht anrichten. Außerdem üben sie sich in einer Koalitionstreue, die das Krötenschlucken zum Volkssport erhoben hat.
Träumerisch und überall aneckend schiebe ich mich durch die Freisitze in Berlin. Doch öffentliche Linke gibt es nicht. Wo das Leben ist, hält sich der ernsthafte und gramgebeugte Linke nicht auf. Also betrete ich behende die im frühlingshaften Dämmerlicht liegenden Gaststuben. Der tanzende Staub reizt die Nase – und nicht das Gehirn, und der
Gestank aus Bier und Tabak läßt mich zweifeln, hier die zu finden, die ich suche. Aber nachdem meine Augen auf Innensicht umgeschaltet haben, sehe ich die Linken. Am letzten Tisch vorm Männerklo stecken die vier ihre Köpfe zusammen. Gedämpftes Murmeln ist zu hören: »Gebrauchswert«. Wie von einer Gebetsrolle angelesen, ertönt nun immer wieder »Gebrauchswert«.
Flüchtend verlasse ich den Ort. Dieser Gebrauchswert ist das Rom der Genossen. Tausende Bäume haben diesem Gebrauchswert ihr Leben geopfert, und die Papiere wurden nie gelesen. In jahrelangen Debatten stritten die Linken darum und zerstritten sich darüber. Als wenn Politik nicht aus dem entsteht, was um uns geschieht. Statt dessen ewige Kopfgeburten aus verquasten Ideologien und eigenen Vorurteilen; aus den ausgespuckten Resten wird eine Suppe gekocht. Nicht schmackhaft, aber wahrhaft. Auf allen Kanälen der Medienproduktion läuft das wahre Leben, aber die Linke verachte BILD und RTL. Unberührt vom Massengeschmack wird das eigene Ich zum heiligen Gral der linken Bewegung erhoben. Sie wollen die Welt verbessern. Doch das behaupten Merkel, Fischer, Schröder und alle anderen auch.
Mir graust vor diesen Verbesserern. Ich suche die, die Welt verändern wollen, um sie verbessern zu können.
Ich finde gleich drei Aufgaben, an denen sich eine jede Linke siegfriedhaft beweisen könnte. Wenn in diesem Land die Legislative immer mehr durch die Bürokratie beschnitten wird, wenn autoritäre Mechanismen auf dem Boden der entpolitisierten Gesellschaft sprießen und wenn der pragmatische Individualismus zum Leitbild der Gesellschaft erhoben wird, dann frage ich mich, wo linke Konzepte dagegen sind? Mit verbessern ist es nicht getan. Die Abläufe müssen geändert werden. Dabei wird die Frage nach der Macht bestimmt neu gestellt werden müssen. Denn Macht ist dann mehr als Koalieren oder Opponieren.
Bei meinen Läufen durch die Steine begreife ich, daß es die Diskussionen unter den Linken waren, die zu ihrem kollektiven Suizid als politische Strömung geführt haben. Die Abläufe sind standardisiert. Zuhören ist Pflicht. Egal wie lange und wie sinnlos geredet wird. Dann wird das Gesagte ignoriert, und nun referiert ein anderer. Gefährlich wird es nur, wenn Linke beginnen, dem andern zu erklären, was er gedacht hat. Was scheinbar wie ein Lob beginnt, endet mit der persönlichen Vernichtung des Denkers. Deshalb denken so wenige gern und schon gar nicht in linken Kreisen.
Bei diesem kleinen gedanklichen Abflug bin ich in eine Hundehinterlassenschaft getreten. Natürlich war es ein großer Hund. Wenn ich jetzt ein Papier hätte, dann wüßte ich es zu gebrauchen.