Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 26. April 2004, Heft 9

Es Schillert

von Renate Hoffmann

Wer nach der zündenden Idee sucht, findet sie in einem Brief. Aus Stäfa am Zürichsee schreibt Goethe am 14. Oktober 1797 an Friedrich Schiller: »Ich bin fast überzeugt, daß die Fabel vom Tell sich werde episch behandeln lassen, … Das beschränkte, höchst bedeutende Local, worauf die Begebenheit spielt, habe ich mir wieder recht genau vergegenwärtigt, … und es kommt nun auf gut Glück an, ob aus diesem Unternehmen etwas werden kann.«
Mit dem Schweizer Freund Johann Heinrich Meyer hatte er »Tells Landschaft« durchwandert. Bewegt von der erhabenen Natur um den Vierwaldstättersee, gefangen von Wilhelm Tells Geschichte, drängte es Goethe zur Gestaltung: »Ich ersann hier an Ort und Stelle ein episches Gedicht.« Und er summte dazu gelegentlich schon seine Hexameter. So hätte demnach Goethe beinahe den Schuß auf Reichsvogt Geßler in der Hohlen Gasse (Küßnacht) abgegeben.
Die Geschicke und Geheimrat G. wählten jedoch für das Vorhaben einen anderen Autor. Hofrat Friedrich Schiller. Später erklärt Goethe seinem Eckermann die näheren Umstände. Er habe dem Freund von seinen Eindrücken erzählt, so daß »in dessen Seele sich meine Landschaften und meine handelnden Figuren zu einem Drama bildeten. Und da ich andere Dinge zu tun hatte und die Ausführung meines Vorsatzes sich immer weiter verschob, so trat ich meinen Gegenstand Schillern völlig ab, der denn darauf sein bewundernswürdiges Gedicht schrieb.« Wilhelm Tell wird Schillers letztes Schauspiel, das er zur Vollendung bringen kann. Seine Lebenszeit ist bemessen. Die Vorarbeiten zum Thema beginnen mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit, denn »das soll ein Schauspiel werden, womit wir Ehre einlegen wollen.« Daß Deutschlands gefeiertem Dramatiker die theatralische Wirkung auf’s beste gelingen wird, daran zweifelt niemand. Wie aber hält er’s mit der schweizerischen »Localität«? Sie gilt ihm viel – und er kennt sie nicht. Und möchte doch »gern soviel möglich örtliche Motive nehmen«, da der Stoff es verlange. Im vertrauten, regen Austausch mit dem Dichterkollegen Goethe, der in Weimar nur »um die Ecke« wohnt, läßt sich auch darüber sprechen.
Aus allen Zeugnissen, derer er habhaft werden kann, entwirft Schiller ein landschaftliches Panorama, dessen Einzigartigkeit vor dem inneren Auge ersteht. Es erweist sich darüberhinaus als topographisch genau. Urs Widmer schreibt 2003: »Er macht keine Fehler. Keine Angaben, die sich widersprechen. Die Wege wären abschreitbar.«
Eintrag in Schillers Kalendarium, 25. August 1803: »Diesen Abend an den Tell gegangen.« Der Freund vom Frauenplan berät in enger Zusammenarbeit den Freund an der Esplanade und ist mit dessen Vorgehensweise vertraut: »Er fing damit an, alle Wände seines Zimmers mit soviel Spezialkarten der Schweiz zu bekleben, als er auftreiben konnte. Nun las er Schweizer Reisebeschreibungen, bis er mit Weg und Stegen des Schauplatzes des Schweizer Aufstandes auf das genaueste bekannt war. Dabei studierte er die Geschichte der Schweiz, und nachdem er alles zusammengebracht hatte, setzte er sich über die Arbeit, … und stand nicht eher vom Platze auf, als bis der Tell fertig war.« Vermerk in Schillers Arbeitsjournal, 18. Februar 1804: »den Tell geendigt.«
Probenzeit: vier Wochen. Ort der Uraufführung: Weimar. Künstlerische Leitung: Johann Wolfgang Goethe, Direktor des Hoftheaters. »Sonnabend, den 17ten März 1804. Zum Erstenmale: Wilhelm Tell … Anfang um halb 6 Uhr.«
Augenzeugen berichten: »Die Zahl der Fremden, die herbeigeströmt kamen, war so enorm, daß schon nachmittags 3 Uhr der ganze Theaterplatz voll Menschen stand.« Ebenso enorm war der Erfolg. Die beiden Hauptverantwortlichen äußern sich dazu. Schiller: »Der Tell hat auf dem Theater einen grössern Effect als meine andern Stücke, und die Vorstellung hat mir grosse Freude gemacht.« Goethe: »Was unser Schauspiel zu leisten vermag, hat sich beim Tell gezeigt, der recht gehörig gegeben worden.«
Dies alles ist wohl eines großen Festes wert!
Die 200. Wiederkehr der Erstaufführung ehren Weimar und die Urschweiz gemeinsam mit einem kulturellen Brückenschlag. Am 17. März 2004 lud Weimar zur Eröffnung ein. Das Nationaltheater arrangierte für seinen berühmten Hausdichter einen Festakt. An ihm nahm der Botschafter der Schweiz, Dr. Werner Baumann, (der der kulturbegeisterten schweizerisch-deutschen Gästeschar sein »Grüetzi« zurief) teil; das Grußwort sprach Dr. Volkhardt Germer, Oberbürgermeister der Stadt. Und die Festrede hielt Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus.
Im Schillermuseum – mit weißen Lilien vor des Hausherrn Büste und in festtäglichen Glanz gehüllt – stellte der Schwabe Verlag Basel das Jubiläumsbuch vor. Tells Theater. Eine Kulturgeschichte in fünf Akten zu Friedrich Schillers Wilhelm Tell von Barbara Piatti. Eine vorzügliche Darstellung, die das Thema auf seine Ursprünge zurückführt, die Entwicklung darlegt, es in Landschaft und Zeitgeschehen einbettet und bis in die Gegenwart verfolgt.
Der Würdigung nicht genug. Zum Jubelanlaß überreichte der Reclam Verlag Stuttgart den eigenen Schillerschen Tell (Text-Sonderausgabe von Band Nr. 12 der Universal-Bibliothek).
Auf den Weimarer Auftakt folgt das Hauptgeschehen in der Schweiz. Die Aktionen, verlegt in Tells Gefilde, sind verlockend. Man begebe sich im diesjährigen Sommer an den Vierwaldstättersee und wird erleben können: »Wilhelm Tell« – Inszenierung des Deutschen Nationaltheaters Weimar als Freilichtaufführung auf der Rütli-Wiese (23. Juli bis 29. August); »Wilhelm Tell« – Neuinszenierung der Tellspiel- und Theatergesellschaft Altdorf im Altdorfer Tellspielhaus (14. August bis 16. Oktober); »Tell, bitte melden!« Ausstellung und umfangreiches Kulturprogramm des MUSEE SUISSE, Forum der Schweizer Geschichte, Schwyz (19. Juni bis 30. November). Um den Dichter und den Urner Meisterschützen gebührend zu feiern, schlossen sich die drei Veranstalter unter dem Namen »kulturschweiz 2004« zusammen.
Wer sich vorab ein Bild machen möchte, in welcher Umgebung die Festivitäten angesiedelt sind, der schlage bei Schillern nach. Wilhelm Tell, erster Aufzug, erste Szene: »Hohes Felsenufer des Vierwaldstättersees, Schwyz gegenüber. Der See macht eine Bucht ins Land, … Über den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwyz im hellen Sonnenschein liegen. Zur Linken … zeigen sich die Spitzen des Haken, mit Wolken umgeben; zur Rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge.«

Informationen: Produktionsbüro Weimarer Tell – Lukas Leuenberger Produktionen, Postfach 5965 CH – 3001 Bern; Tel.: +41 (0) 313105083; www.weimarer-tell.ch
»kulturschweiz 2004« Postfach 635 CH – 6460 Altdorf 1; Tel.: +41 (0) 418712020; www.kulturschweiz2004.ch