Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 15. März 2004, Heft 6

Endstation Butowo

von Wladislaw Hedeler

Im Dezember 2003 erschien der siebente Band des Butowski poligon, begonnen worden war mit der Edition der Todeslisten im Jahre 1997. Vom 8. August 1937 bis zum 19. Oktober 1938 wurden in Butowo bei Moskau 19903 Männern und 858 Frauen vom NKWD ermordet. Darunter befanden sich 213 deutsche Staatsbürger sowie 649 Sowjetbürgern deutscher Nationalität; 59 der Deutschen waren zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung Mitglieder der KPD. Unter den in Butowo Erschossenen sind Staatsbürger der UdSSR sowie Politemigranten oder Facharbeiter und ihre Familienangehörigen aus 24 Staaten.
Der als Registerband angelegte siebente Band enthält außer der Fortsetzung der Erschießungsliste ein Personenregister aller in den sieben Bänden genannten Opfer sowie die Angaben über Geburtsjahr, Geburtsort, Nationalität, Parteizugehörigkeit, Schulbildung, die zum Zeitpunkt der Verhaftung ausgeübte Tätigkeit, Wohnort, Datum der Verhaftung, verurteilende Instanz, Datum der Urteilsverkündung, Datum der Erschießung und die Rehabilitierung der Erschossenen.
Statt einer Einleitung enthalten die Bände Aufsätze über einzelne Opfergruppen und (im Anhang) Befehle, Rundschreiben und Weisungen des NKWD. Im ersten Band stellt Lidija Golowkowa die Geschichte von Butowo vor, im zweiten Band skizzieren Alexander Vatlin den Terror gegen die Bauern, Kirill Kaleda und Lidija Golowkowa die Verfolgung der Geistlichen. Nikolai Fjodorow beschreibt die Entstehungsgeschichte des Besserungsarbeitslagers Dmitlag, dessen Häftlinge beim Bau des Moskwa-Wolga-Kanals eingesetzt waren (von den Dmitlag-Häftlingen sind 1996 in Butowo erschossen worden). Dem dritten Band ist ein Bericht über die Ausgrabungen und Exhumierungen in Butowo vorangestellt. Daran schließen sich Beiträge von Vitvud Straus über die Verfolgung der Letten, von Alexander Vatlin über die vom »Bund polnischer Patrioten«, einem NKWD-Konstrukt, angeblich geplante Verschwörung und von Oleg Dehl und Natalia Mussienko über die ebenfalls vom NKWD erfundene »Hitlerjugend« in Moskau an.
In den einleitenden Beiträgen des vierten Bandes stellen Alexander Vatlin, Nikolai Fjodorow und Lidija Golowkowa Biographien von Bauern, Intellektuellen und Adligen vor, die im Dmitlag Zwangsarbeit leisten mußten und in Butowo ihr Ende fanden. Eine Skizze aus der Feder von Vitvud Straus ist den Kurieren des Volkskommissariats des Auswärtigen gewidmet. Auch diese Kommunisten im diplomatischen Dienst der UdSSR waren unter den absurdesten Anschuldigungen verhaftet und nach Butowo »verbracht« worden.
Unter den in Butowo Hingerichteten befanden sich auch Hunderte von Politemigranten und Facharbeitern, die in die UdSSR gekommen waren, um beim Aufbau des Sozialismus zu helfen oder um der Verfolgung im eigenen Land zu entgehen. Barry McLoughlin widmet seinen Beitrag im fünften Band den in Butowo erschossenen Österreichern, Alexander Vatlin erinnert an Familien deutscher Politemigranten, die für kurze Zeit in Kunzewo bei Moskau eine neue Heimat gefunden hatten, bevor sie vom NKWD verhaftet wurden. Lilija Wolkowa erinnert an Einwohner von Moshajsk, Lidija Golowkowa an Künstler, die in Butowo erschossen wurden. Wie die Technologie des Terrors funktionierte, ist Gegenstand des den sechsten Band einleitenden Beitrages von Alexander Vatlin. Vitvud Straus stellt die Biographien der lettischen Mitarbeiter eines Genossenschaftsbetriebes in Moskau vor: Im Zuge der »lettischen Operation« des NKWD wurden alle Mitarbeiter verhaftet, in Schnellverfahren zum Tode verurteilt und erschossen. Lidija Golowkowa und Nikolai Fjodorow widmen ihre Beiträge in Butowo erschossenen Bergsteigern und sowie den Lagerkindern des Dmitlag.
Die in den Bänden veröffentlichten Dokumente spiegeln die Planung, Durchführung und Nachbereitung des Terrors durch die Führung der Kommunistischen Partei und die Geheimpolizei wider.
Alle Dokumente und die Angaben für die »Erschießungslisten« trug eine Arbeitsgruppe zusammen, die von der Moskauer Stadtverwaltung unterstützt wurde. Ihr gehörten neben Historikern auch Mitarbeiter des Zentralen Archivs des Föderalen Sicherheitsdienstes an. Die meisten Dokumente der einstigen Moskauer Gebietsverwaltung des NKWD befinden sich heute im Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF). Mit Abschluß dieser Edition (eine vergleichbare Dokumentation liegt für Leningrad vor) ist die Aufgabe, die Namen der Opfer der Vergessenheit zu entreißen, erfüllt. Der Grundstein für eine quellengesättigte weiterführende Untersuchung des »Großen Terrors«, der sich nicht nur gegen die Eliten, sondern gegen das gesamte Volk richtete, ist gelegt.

Butowski poligon. Kniga pamjati shertw polititscheskich repressij. 1937-1938, Wypusk 7, Moskwa 2003, 370 Seiten