Des Blättchens 6. Jahrgang (VI), Berlin, 24. November 2003, Heft 24

Antideutsche Kriegshetze

von Erhard Crome

Kurz nach dem historischen Vorgang, der gemeinhin als deutsche Vereinigung bezeichnet wird, hatten wir, eine Gruppe von Leuten, die schon in der DDR mit internationaler Politik beschäftigt war, ein Seminar, an dem auch ein Herr von der Rand-Corporation, einer der »Denkfabriken« in den USA, teilnahm. Als jemand von uns besorgt fragte, was denn in den internationalen Beziehungen zu erwarten sei, wenn dieses vereinigte Deutschland wieder »Weltpolitik« machen wolle, antwortete jener: Deutschland sei eine europäische Mittelmacht, die im Vergleich zu den USA nur über eine begrenzte Volkswirtschaft verfüge und die stark lediglich noch in den traditionellen, nicht aber mehr in den neuen Technologien sei. Außerdem habe es eine überalterte Bevölkerung – auch dies ein Unterschied zu den USA – und eine konventionelle Armee, die moderne Kriegstechnologien nicht selbständig zum Einsatz bringen könne, weil sie solche nicht besäße. Das war das Wort der »realistischen Schule« in den USA. Es hat bis heute Gültigkeit. Denn an dieser Situation hat sich in den vergangenen zehn Jahren nichts geändert.
Gleichwohl werden Kreise der »Antideutschen« – von konkret bis Jungle World – in diesem unserem Lande nicht müde, den Anschein zu erwecken, als würde dieses Deutschland – als neue »Supermacht« – eine eigene Weltpolitik gegen die USA in Stellung bringen wollen. Die Verbrechen der Nazis, vor allem der Holocaust, werden benutzt, um der gegenwärtigen »rot-grünen« Regierung eine neue Weltmachtrolle anzudichten: Diese Bundesregierung sei Erbin der Politik des deutschen Faschismus. In diesem Kontext werden die Entscheidung Schröders, den Irak-Krieg des Dabbeljuh-Bush und seiner Willigen abzulehnen, zum Ausdruck deutscher Weltherrschaftspläne hochstilisiert, und Organisationen wie Attac als antisemitisch denunziert, weil sie die Gebaren internationaler Finanzinstitutionen und die Profitmacherei in der Finanzsphäre zum Gegenstand der Kritik machen. Die sei verwerflich, denn schon die Nazis hätten das »raffende Kapital« in Gegensatz zum »schaffenden Kapital« gesetzt.
Alles dies ist Schimäre. Die Kritik an der spekulativen Profitmacherei und an den Finanzinstitutionen, die sie ebenso ermöglichen wie betreiben, hat mit den Ideologemen der Nazis nichts, dafür aber mit einer sachbezogenen Analyse der Kapitalverhältnisse in der Welt von heute zu tun. Das ist keine »anti-jüdische« Konstruktion, sondern eine Tatsachenfeststellung in bezug auf den heutigen Kapitalismus. Und die relevanten Akteure sind beileibe nicht nur als »jüdisch« auszumachen. Nur nebenbei sei angemerkt, daß es vielfach die Stimmen jüdischer Menschen aus Florida waren, die nicht gezählt wurden, weil die Wahlmanipulation des Gouverneurs-Bruders Jeb Bush die Voraussetzung dafür war, daß Dabbeljuh überhaupt ins »Weiße Haus« kam. Auch die Kritik an der Irak-Kriegspolitik von Bush jun., wie sie die weltweite Friedensbewegung am 15. Februar 2003 zum Ausdruck brachte, ist nicht gegen Israel oder jüdische Menschen wo immer in der Welt gerichtet, sondern gegen diesen Bush.
Dessen ungeachtet sind jene eigenartigen »Antideutschen« dabei, die Kritik an Bush’s Kriegspolitik und die Antikriegshaltung von Schröders Bundesregierung am Beginn des Krieges als antisemitisch und deutsch-großmachtpolitisch zu denunzieren. Gerade laufen wieder die Einladungen zu »antideutschen« Zusammenkünften um.
 Attac und die verschiedenen Friedensbewegungen in Deutschland wissen im Moment nicht, wie ihnen geschieht. Sie sind in Übereinstimmung mit der internationalen Friedensbewegung und haben nichts anderes gesagt, als andere Bewegungen in anderen Ländern auch. Trotzdem sehen sie sich mit dem Antisemitismus-Vorwurf konfrontiert. Es ist unerträglich, die Friedensbewegung in Europa und in Deutschland, die sich gegen den Irak-Krieg ausgesprochen hat, in einen solchen Kontext gestellt zu sehen. Und es ist seltsam, daß dieser Vorwurf gerade jetzt so vorgetragen wird.
Wenn es die außerparlamentarische Friedensbewegung nicht gegeben und Schröder diese Mehrheitsmeinung in diesem Lande nicht gespürt hätte, wäre diese Entscheidung der deutschen Bundesregierung nicht Tatsache geworden. Das ist das eigentlich Interessante in der politischen Gemengelage in Deutschland heute. Und, will man wirklich linke Kritik betreiben: Die Kritik an der neuen Aufrüstungspolitik der Bundesregierung und in der Europäischen Union, wie sie im Entwurf der EU-Verfassung konzipiert ist, hat die Kritik an der Kriegspolitik der USA gerade zur Voraussetzung, und nicht eine »antideutsche« Beschönigung der Kriegspolitik der USA.
Wenn man sich fragt, was denn die CIA sich seit den 1970er Jahren hätte ausdenken sollen, um die deutschen Linken zu entzweien und handlungsunfähig zu machen, wäre es genau dies: die Kritik der Linken an der Kriegspolitik der USA als antisemitisch denunzieren und in die Tradition eines deutschen Vormachtstrebens stellen. Wer, mit welchem »antideutschen« Argument auch immer, die Friedensbewegung in diese Ecke zu stellen bestrebt ist, erledigt Bush’s Geschäfte und die seiner Einflußagenten. Das ist nicht linke Kritik an Machtpolitik, sondern Liebedienerei vor dem Empire. Es ist Zeit, sowohl dessen Knechte als auch Roß und Reiter zu benennen.