Des Blättchens 6. Jahrgang (VI), Berlin, 17. März 2003, Heft 6

Friktionen als Hindernis

von Erhard Crome

»Friktion« hat Clausewitz das genannt, was »den wirklichen Krieg von dem auf dem Papier unterscheidet«. Er meinte die Reibungsverluste und Störungen, die beim Zusammenwirken militärischer Einheiten wegen ihres unterschiedlichen Zustandes, wegen des Wetters, des Geländes oder auch wegen Zwistigkeiten zwischen den Befehlshabern auftreten können, »so daß Kombinationen, die man mit Leichtigkeit auf dem Papier entwirft, sich nur mit großen Anstrengungen ausführen lassen«. Martin van Creveld, einer der kenntnisreichsten Militärtheoretiker von heute, fügte hinzu, daß die Folgen der Friktion um so schwerer wögen, je mehr Effizienz verlangt sei.
Das gilt auch für die politische und PR-Begleitung des Krieges. In seinem letzten Buch, Der totale Krieg (1935), beschwerte sich Ludendorff, viele Leute, bis hin zum Reichskanzler selbst, hätten ihn gehindert, alle Ressourcen Deutschlands für den Krieg in Anspruch zu nehmen. Das ist denn wohl auch die Ebene, auf der US-amerikanische Einflußfiguren verschiedener Dienste und Medien derzeit durch die deutschen Talkshows tingeln und von »Dank« beziehungsweise »Undank« schwafeln, wo sie die deutschen Ressourcen für ihren dreckigen Krieg meinen. Als sei Dank je eine Kategorie der Politik und der außenpolitischen Interessen gewesen! Daß die Kriegsmaschine – zumindest zu dem Zeitpunkt, da ich diesen Text schreibe – noch nicht von der Kette gelassen wurde, ist den vielen Friktionen geschuldet und nicht etwa einer Figur, die wohl die übelste Gestalt im Weißen Haus seit Gründung der USA ist.
Die Friktion als politisches Problem kannte schon die frühe Neuzeit. Karl V. etwa, der großmächtigste Herr im Europa des 16. Jahrhunderts, kämpfte gegen die Aufstände der Comuneros in Spanien und der protestantischen Fürsten in Deutschland, gegen die Türken und in Nordafrika und führte drei Kriege gegen Frankreich. Am Ende entsagte er im September 1556 in Brüssel resigniert der Kaiserwürde und beschloß seine Tage im Kloster. Jeder der Kontrahenten war der Macht des Habsburgerreiches weit unterlegen, die vielen Probleme gleichzeitig aber verschlissen dessen Macht.
So weit ist es mit dem Bush-Imperialismus noch nicht. Doch ist bereits jetzt vieles nicht aufgegangen. Frankreich, Deutschland und Rußland, in gewisser Übereinstimmung mit China, scheinen entschlossen, den Kriegstreibern das UN-Plazet zu verweigern. Eine Mehrheit im Sicherheitsrat für die Kriegsresolution der USA ist höchst ungewiß. Bush wird wohl dennoch Krieg führen, doch er tut es dann unbestreitbar außerhalb der internationalen Rechtsordnung, und die häßliche Fratze des Aggressors ist für alle Zeiten ohne jede Schminke sichtbar. Das türkische Parlament hat im ersten Anlauf die Dislozierung der US-Angriffstruppen auf dem Boden der Türkei verweigert. Die Amerikahörigen in der politischen Klasse wollen einen zweiten Anlauf machen, doch der Ausgang ist unsicher; die regierenden Islamisten werden sich schon innenpolitisch eine offene Zustimmung zum Krieg gegen das Nachbarland nicht leisten wollen.
Blair, der sich bisher als der verläßliche Satrap des Bush’ gerierte, muß dies nicht nur gegen die Stimmung im eigenen Lande tun – eine große britische Zeitung präsentierte am 2. März den »Brief der Woche« einer Leserin unter der Überschrift: »Ich habe aus tiefster Überzeugung stets Blair gewählt, nicht aber einen Kriegstreiber.« Ende Februar hatten auch 121 Labour-Abgeordnete im Unterhaus gegen den Krieg votiert. Blair erklärte zwar trotzig, er werde seine Politik auch mit Unterstützung der Konservativen fortsetzen. Doch ist dies ein sehr dünnes Eis. Neville Chamberlain war 1940 angesichts von 33 Rebellen in den eigenen Reihen zurückgetreten, Anthony Eden vor dem Hintergrund des Debakels des Suez-Krieges 1956 nach dem Aufbegehren einer noch geringeren Zahl von Abgeordneten in der eigenen Fraktion, erinnerte The Sunday Times am 2. März genüßlich. Die Fraktionsdompteure von Labour banden schließlich das Schicksal der britischen Kriegsbeteiligungs-Politik an das Zustandekommen der zweiten UN-Resolution zum Kriege, die ja gerade in den Sternen steht. Am Ende wird Bush vielleicht nicht einmal mehr Blair als Feigenblatt einer »internationalen Unterstützung« haben.
Und was wird in den USA selbst? Das Institute of Contemporary Arts in London hat seine Räume direkt an der Mall, jener Straße, die am St. James-Park gelegen direkt zum Buckingham-Palast führt. Dort sind Bilder, Postkarten und Bücher zu erwerben; neben der Kasse liegen ausschließlich Broschüren gegen den Irak-Krieg, offen und deutlich, jeder Kommentar erübrigt sich. Ganz vorn eine kleine Broschüre Gegen den Krieg in Irak. Eine Anti-Kriegs-Fibel, herausgegeben von Michael Ratner, Jennie Green und Barbara Olshansky vom New Yorker Zentrum für verfassungsmäßige Rechte.
Die Autoren zitieren eingangs aus der Erklärung amerikanischer Intellektueller, Nicht in unserem Namen, und stellen fest, daß ein Krieg gegen den Irak ohne Unterstützung des UNO-Sicherheitsrates nicht gerechtfertigt und illegal sei. Die Informationen, die die US-Regierung über den Irak verbreitet, seien falsch. Es gehe um Öl, militärische Macht der USA und Dominanz im Mittleren Osten. Die Doktrin des »Präventivkrieges« verstoße gegen das Grundprinzip des Völkerrechts, gegen das Verbot des Aggressionskrieges, und die UN-Charta stelle Verbrechen gegen den Frieden unter Strafe.
Schließlich erörtern die Autoren die Alternativen zum Krieg sowie die Folgen eines Krieges; hier verweisen sie auf die voraussichtlichen Opfer, die Risiken einer Ausweitung zu einem größeren Krieg im Nahen und Mittleren Osten, die Gefahr, daß die USA und die ganze Welt weniger sicher sein werden, und natürlich auf die voraussichtlichen Probleme für die US-Wirtschaft. Die Folgerung der Autoren lautet: Die USA sollten ihre Kampagne für den »illegalen Aggressionskrieg gegen den Irak« nochmals überdenken und, statt zur Gewalt zu hasten, sorgfältig alternative Wege zur Lösung des Konflikts suchen. Im abschließenden Abschnitt »Information und Aktion« folgen Vorschläge, was der einzelne tun könne: zu Friedensdemonstrationen und -aktionen gehen, öffentliche Diskussionen zur Information der Bürger besuchen oder solche selbst organisieren, mit Freunden, Bekannten und in der Familie über den Irak und die Politik der US-Regierung reden, Briefe an Kongreß-Abgeordnete schreiben und überhaupt in der Öffentlichkeit Ignoranz und Apathie entgegenwirken. Am Ende werden auf fünf Seiten Webadressen aufgeführt, auf denen weitere Informationen zu erhalten sind.
Bush ist nicht Amerika, das amerikanische Volk nicht Bush, und am Ende könnte nur dieses Volk jene Kraft sein, die dem Spuk ein Ende bereiten kann. Die Broschüre macht auch hier Mut, wie umgekehrt die amerikanischen Autoren sich immer wieder auf den Widerstand in Europa berufen. Globalisierung kann auch positiv wirken: Hier ist es die Globalisierung der Kriegsgegner.

Against War in Iraq. An Anti-War Primer, Seven Stories Press New York 2003