Des Blättchens 5. Jahrgang (V), Berlin, 30. September 2002, Heft 20

Neue Herren im Kaukasus

von Dietmar Schumann, z.Z. Tbilissi

Wer zahlt, der bestimmt die Musik. Das georgische Militärorchester intoniert Glenn Miller. Swinging Music aus den USA schallt über die Felder von Krtsanisi. Zwanzig Autominuten entfernt von Tbilissi wird das erste US-Militärcamp im Kaukasus eröffnet. Das Pentagon läßt sich das in den nächsten zwei Jahren 65 Millionen Dollar kosten.
Hundert Offiziere und Sergeanten sind angetreten. Ranger und Green Barrets. 150 weitere Männer von den US Special Forces werden noch erwartet. Sie sollen die georgische Armee trainieren im Kampf gegen Terroristen und zum Schutz der Grenzen der Kaukasusrepublik. Heißt es offiziell. Präsident Eduard Schewardnadse tritt ans Mikrofon: »Ich danke unseren Freunden aus den USA, daß sie zu uns gekommen sind. Nach dem 11. September 2001 stehen wir gemeinsam mit ihnen, liebe Freunde, im Kampf gegen den Terrorismus.«
Die Georgier haben derzeit achttausend Mann unter Waffen. Die sollen in vier Jahren auf NATO-Standard gedrillt sein. Enttäuscht von den Russen, die in der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien Separatistenbewegungen unterstützen – in Abchasien, Adscharien und Süd-Ossetien –, hat die Führung in Tbilissi den Bündnispartner gewechselt. Unter den abtrünnigen Abchasiern, die mit aktiver Unterstützung der russischen Armee einen Zwergstaat am Schwarzen Meer mit der Hauptstadt Suchumi gegründet haben, hat Moskau inzwischen 150000 russische Pässe austeilen lassen.
Über die russischen Fernsehsender, die in Georgien empfangen werden, und über die russischen Zeitungen, die man in Tbilissi an jeder Straßenecke verkauft, wird Präsident Schewardnadse seit Wochen mit Beschimpfungen und Verleumdungen überschüttet, wie wir sie bisher nur aus der Zeit des Kalten Krieges kannten. Als ranghöchsten Kläffer ließ Kremlchef Putin seinen Verteidigungsminister Sergej Iwanow von der Leine: Schewardnadse unterstütze im Pankisi-Tal tschetschenische Terroristen, so der Vorwurf, den Iwanow nicht müde wird, Tag für Tag zu wiederholen.
Über soviel politische und diplomatische Unvernunft wird in Georgien gelächelt. Die Amerikaner aber frohlocken. Denn Moskau treibt ihnen Führung und Volk Georgiens förmlich in die Arme. Das US-Militär bietet ihnen Schutz. Captain Sean Williams erklärt mir in Krtsanisi: »Wir sind hier, um die georgische Armee in die Lage zu versetzen, das eigene Volk zu schützen.« Vor wem wohl? Noch deutlicher wird Major David Grosso, der Chef des US-Camps: »Wir bringen Sicherheit und Stabilität in ein sehr wichtiges Land und damit in diese Region.« Gemeint sind das Kaspische Meer und der Kaukasus. Rund um und unter dem Kaspisee lagern die zweitgrößten Vorräte an Erdöl in der Welt, durch Georgien werden die Pipelines laufen, die den Westen mit Öl versorgen. Wo Öl sprudelt, ist die US-Army selten weit.
Diese altbekannte Tatsache, sollte man glauben, müßte auch Präsident Putin und seinen Ratgebern geläufig sein. Doch weit gefehlt. Nachdem die Russen die Präsenz der Amerikaner nicht mehr verhindern konnten, boten sie ihnen auch noch einen günstigen Anlaß, die Anwesenheit ihrer Militärs im Kaukasus zu begründen. Unter dem Schlagwort »Kampf dem Terrorismus!« inszenierte Moskau eine Show im Pankisi-Tal. Ganz nach dem Geschmack – Washingtons. Nach ihrer Niederlage in Afghanistan hätten sich al-Kaida-Kämpfer in den Wäldern des Hochgebirgstales versteckt. Vielleicht sogar Osama bin Laden. Dieser Zwecklüge, gestreut im Frühjahr von amerikanischen Politikern, ging Moskau auf den Leim. Jawohl: Al-Kaida-Kämpfer, geflohen aus Afghanistan, und tschetschenische Terroristen säßen im Pankisi-Tal, ließ der Kreml verlauten, ohne konkrete Beweise zu präsentieren. Moskau bot Hilfe zur Vernichtung der Terroristen an. Ebenso die Amerikaner. Schewardnadse hat sich entschieden. Im US-Camp von Krtsanisi, über dem die Stars and Stripes flattern, stehen jeden Morgen georgische Soldaten stramm, wenn die Hymne der Vereinigten Staaten ertönt.
Wir fahren ins Pankisi-Tal. Ab Achmeta, der Kreisstadt, begleitet uns eine Einheit der georgischen Sonderpolizei, ausgerüstet mit Dodge-Jeeps und amerikanischen Maschinenpistolen. Wir durchfahren die Dörfer Matani und Duisi. Hier wohnen 3500 Kisten, Angehörige eines tschetschenischen Stammes, der sich hier vor zwei Jahrhunderten angesiedelt hatte. Diese Kisten haben Flüchtlinge bei sich aufgenommen. Man schätzt ihre Anzahl ebenfalls auf 3500. Es sind Tschetschenen, die aus Grosny, Urus-Martan und Itun-Kale über die Berge nach Georgien kamen, um jenem Krieg zu entkommen, den seit Herbst 1999 russische Armee und tschetschenische Rebellen führen. Ein Krieg mit vielen Toten und ohne Aussicht auf einen Sieger.
Auch etwa fünfhundert Kämpfer des Feldkommandeurs Ruslan Gelajew waren ins Pankisi-Tal eingesickert. Dieses Gebiet, das Tbilissi bis Mitte August nicht unter Kontrolle hatte, galt ihnen als sicherer Rückzugs- und Erholungsraum. Wir fahren den Fluß Batsava entlang. Überall georgische Soldaten, eingegrabene Panzer, Kontrollpunkte. Man habe, erfahren wir, zwei Viehdiebe gefangen, und zwei Araber, einer davon mit französischem Paß. Die tschetschenischen Freischärler aber waren gewarnt worden. Sie hatten das Pankisi-Tal verlassen, bevor die Antiterroraktion der georgischen Armee begann.
Unsere Fahrt geht bis hinauf nach Kvachadara, wo das Tal eng wird und der Fluß reißend. Wir sind überrascht, als wir an eine Großbaustelle kommen. Chinesische Investoren errichten im Pankisi-Tal, wo es angeblich von Terroristen wimmeln soll, ein Wasserkraftwerk. Die georgischen Wachposten erklären uns, daß sie bisher nicht einen einzigen Terroristen entdeckt hätten. Weder al-Kaida-Leute noch Tschetschenen.
Mit uns unterwegs: Richard Miles, der USA-Botschafter in Tbilissi. Ein korpulenter, freundlicher Herr mit weißen Haaren. Der krisenerfahrene Miles lächelt, als ich ihn frage, ob er zufrieden sei mit dem Einrücken seiner Militärs nach Georgien: »Na klar. Wir bauen hier eine Schnelle Eingreiftruppe auf. Wir kümmern uns um die Modernisierung der Armee, und wir sorgen für die Sicherheit unserer Ölpipelines.«
Im georgischen Supsa am Schwarzen Meer wird bereits Kaspi-Öl in amerikanische Supertanker gepumpt. Um den kostbaren Rohstoff russischem Zugriff gänzlich zu entziehen, hat Washington ein gigantisches Projekt durchgesetzt. Eine Pipeline von Baku, über Tbilissi, nach Ceyhan in der Türkei. Im Frühjahr 2003 wollen die Pipelinebauer georgisches Territorium erreichen. Nach Persern, Mongolen und Russen haben sich nun die Amerikaner in Georgien eingekauft. Sie machen kein Hehl daraus, warum sie gekommen sind.

Nachtrag: Einen Tag, nachdem uns Dietmar Schumann seinen Beitrag aus Tbilissi geschickt hatte, lasen wir erstaunt in unseren Morgenzeitungen, daß im Pankisi-Tal, wo es D.S. zufolge gar keine Terroristen gebe, eine gemeinsame Anti-Terror-Aktion von georgischen, amerikanischen und russischen Einheiten begonnen habe. Unsere Rückfrage beantwortete D.S. wie folgt: »Die Agenturen und Zeitungen sind gestern einer Ente auf den Leim gegangen. Es gibt keine gemeinsame Antiaktion. Schewardnadse hatte lediglich mitgeteilt, daß er bereit sei, Militärs aus Rußland zur Inspektion ins Pankisi-Tal zu lassen. Daß die Agenturen ihre Meldung korrigieren werden, ist fraglich  – das Thema interessiert sie eigentlich nicht.«