Des Blättchens 4. Jahrgang (IV), Berlin, 12. November 2001, Heft 23

Der Ossi muß regiert werden

von Max Hagebök

Der Vorhang der politischen Bühne Berlins hat sich geöffnet. Unter dem Beifall einer zutiefst erleichterten Bundesregierung und den Buhrufen der enttäuschten Opposition von CDU und PDS verneigt sich der Sieger der Berliner Wahlen.
Der Kanzler hat gewonnen. Die Koalition für die nächste Bundesregierung kann schon einmal üben. Damit hat er seine Macht weiter ausgebaut. Für den Wahlkampf im nächsten Jahr hat er die FDP aus dem bürgerlichen Lager herausgenommen, die Grünen diszipliniert und die PDS bestraft. Gottvater gleich ließ er seinen Engel Wowereit Richter sein. Und der gab keine glückliche Figur ab. Sich windend erklärte dieser den Nichtbeginn von Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und PDS mit der großen Weltlage.
Berlin wurde zum Gral des modernen Deutschtums. Der wahre Deutsche steht in brüderlicher Solidarität zu den Amerikanern – egal was die tun –, er versteht den Pazifismus als eine subversive Ablenkung von der Rettung der Zivilisation und wählt nicht die PDS.
Der Kanzler ist betrübt und beleidigt. Der Osten muß deutsch werden. Besonders der Berliner Osten. Deren Lernwilligkeit hat sich in den letzten Jahren nicht so richtig entfaltet.
Ein Lehrstück über Demokratie und Macht hat er den Ossis und ihren Hilfstruppen im Westen aufgeführt: Die Demokratie hat der Macht zu dienen. Wer immer die Macht hat, muß sie behalten. Deshalb waren die Diskussionen der politischen Journaille über die Vereinbarkeit von SPD und PDS für Berlin während und nach der Wahl intellektuelle Schaumschlägerei. Macht braucht keine Inhalte, sondern Strukturen, um sie durchzusetzen. Und die PDS in der Regierung hätte die Struktur im Bundesrat nachhaltig für den Kanzler verschlechtert. Besonders, wenn eine Regierungsbeteiligung der PDS in Berlin zur Initialzündung für die anderen neuen Bundesländer geworden wäre. Sechs Landesregierungen unter Beteiligung der PDS sind für eine wahre deutsche Außenpolitik und eine neoliberale Innenpolitik nicht förderlich.
Aber vielleicht hätten die Sozialisten gelernt, ein bißchen mehr deutsch zu denken? Denn Macht zu haben, läßt manchen Sozialisten straucheln. Von Schwerin bis nach Erfurt ist es kein langer Weg.
Fernab der deutschen Heimat gelang dem Kanzler ein politisches Meisterstück. Die PDS bleibt in der Opposition. Die Grünen bekommen die Kriegsrendite und die FDP den Zuschlag für die Zukunft. Die Berliner SPD wird zum Zuchtmeister der potentiellen bundesweiten Partner.
Dies irritiert die PDS ungemein. Und ihre Politiker bestätigen mit den Reaktionen auf dieses normale politische Geschäft, für politische Verantwortung noch nicht reif zu sein.
Der Aufschrei über die Mißachtung des Wählervotums klingt schon erstaunlich. Die PDS ist die drittstärkste Partei, wird also nicht gebraucht zum Regieren. Warum sollte Wowereit sie erhören. Der Oststimmen wegen? Da bewegt sich die PDS auf einem schmalen Weg zum Abgrund hin. Bisher war sie immer beleidigt, wenn sie als ostdeutsche Regionalpartei bezeichnet wurde. Nun hat sie das erste Mal im Westen ein aufhorchendes Ergebnis erreicht, da verleugnet sie ihre dortigen Wähler. Statt ihren gesamtberliner Anspruch zu formulieren, bemüht sie weinerlich ihre Stimmen im Osten.
Dabei vergessen die undeutschen Genossen, daß ihr Pazifismus und ihre ostdeutsche Kompetenz von den Wählern honoriert wurden, aber ihnen von diesen gleichzeitig die wirtschaftliche und wesentliche Gestaltungskompetenz abgesprochen wird. In Abwägung beider Seiten der PDS bleibt die Opposition die ehrliche Lösung.
Eigentlich kann die PDS dem Kanzler für die Belehrung in Sachen funktionierender Demokratie dankbar sein. Nach den wenig erquicklichen Erfahrungen als Regierungspartner in Schwerin und als große Dulder in Magdeburg besteht jetzt die Chance zum Lernen. Denn Macht zu haben, ist die ein Seite, die andere ist es, sie zu nutzen. Und wenn der politische Niedergang der Grünen einen Sinn hat, abgesehen vom persönlichen Wohlergehen Herrn Fischers, dann den, daß die Macht moralisch und politisch vorbereitet sein muß.
Ohne eine vorgedachte Entsprechung zwischen eigenem Profil und realer Politik verschleißt die politische Vision in den Grabenkämpfen innerparteilicher und koalitionsbedingter Auseinandersetzungen. Die unbefleckte Empfängnis der Macht ist eben nur in der reinen Lehre vorgesehen.
Die Berliner Parteien können zur Tagesordnung übergehen. Es ist nicht wirklich etwas passiert. Die Demokratie hat ihr Gesicht gezeigt und keinem geschadet. Und der Kanzler wußte es schon immer: Der Ossi muß regiert werden.