Des Blättchens 4. Jahrgang (IV), Berlin, 16. April 2001, Heft 8

Die Weigerung zu trauern

von Erhard Crome

Raustreten zum Stolzsein!, ist befohlen. Wer nicht raustreten will, ist ein Schweinehund und gehört ausgeschlossen aus der Volksgemeinschaft der Stolz-Deutschen. So jedenfalls hören sich derzeit einige der schwarzen Kameraden an, die den braunen nicht nachstehen wollen. Das ganze rosarote, rote und grüne Gesocks soll endlich merken, daß der gesunde deutsche Volkskörper nicht länger auf sich rumtrampeln läßt! Zehn Jahre nach dem Sieg über den Iwan und nachdem man dem Ami und dem Franzmann endlich die deutschen Ostgebiete, jedenfalls bis zur Oder, wieder abgeluchst hat, ist es Zeit, den Kopf nicht länger gesenkt zu tragen.
Man soll merken in der Welt: Deutschland ist wieder da!
Fein rausreden kann man sich natürlich auch: Es ist nicht völkisch gemeint, nicht imperialistisch, nicht rassistisch, nein, nein! Wir meinen nur, daß der deutsche Mensch, der da schuftet Tag für Tag, für sich, für seine Familie und für unser aller gemeinsames Vaterland …, der den verzwergten Ossi durchfüttert und ihn wieder zu einem richtigen Deutschen …; in der anderen Variante: … der den verwestlichten Wessi wieder …, auf irgendwas stolz sein können darf.
Und wenn er nicht will, werden wir es ihm schon sagen! Außerdem wollen wir ja stolz sein auf unsere Demokratie, unsere Werte, die der Türke sich erst einmal hinter den Spiegel stecken soll … Jedenfalls sollen die Sozen, diese 68er Polizistenmörder und das ganze rote Pack aus dem Osten merken, daß 1998 ein Versehen war. Der deutsche Mensch will keine Ökosteuer, keine Maul- und Klauenseuche und all die anderen Sachen, die diese linken Spinner da so machen, sondern seine Ruhe, seine Ordnung und sein Stolzsein.
Dann wählt er auch wieder richtig.
Das kann Haider schon seit Jahren. Er spricht etwas, in einer Rede, einem Interview, einer Talkshow. Anschließend versucht ihn jemand festzulegen, daß das rassistisch war, Nazi-Jargon, fremdenfeindlich. Er kommt mit dem deutschen Sprachführer, drei Anwälten und seiner Rabulistik und begründet, daß er nur falsch verstanden wurde. Das hat er nicht gemeint! Auf keinen Fall! Er steht ganz fest auf dem Boden Österreichs beziehungsweise der Demokratie und kann gar nichts gemeint haben, wenn er etwas gesagt hat.
Johan Galtung war es, der darauf verwies, daß es in jeder Gesellschaft ein artikulierbares Bewußtsein und ein nicht artikulierbares Unterbewußtsein gäbe, das besonders durch die nationalen Mythen und Traumata geprägt sei.
Von den Mitscherlichs und anderen wissen wir, daß die »Unfähigkeit zu trauern« eigentlich meint, man habe selbst »genug gelitten« im Zweiten Weltkrieg. Daß die Deutschen den Krieg begonnen hatten, daß sie in ihrer übergroßen Mehrheit diesen Hitler bis fünf nach zwölf unterstützt hatten, daß in vielen Familien noch heute, jetzt im Osten wieder offener, darüber geredet wird, was der Großvater damals aus Frankreich oder Griechenland mitgebracht hatte … nur bei den Russen wurde es dann eng … – das alles wird dabei verdrängt. Die Vorgehensweise der deutschen Kriegsgewinnler-Wirtschaft in Sachen Entschädigung ihrer Zwangsarbeiter ist nur der aktuelle Ausdruck dieses Volksempfindens, kein Unrechtsbewußtsein zu haben in Sachen NS – Das waren doch alles Österreicher! – und jetzt lediglich Standort-Deutschland-Pflege zu betreiben.
Auf der Bewußtseinsebene herrscht, jedenfalls bei der Mehrheit der deutschen Bevölkerung, politische Korrektheit: Man erschlägt keine Ausländer; Ausländer sind auch Menschen; so etwas ist nicht anständig! Auf der des Unterbewußtseins ist aber noch immer eine nazistische Prägung präsent. Es steht uns gewissermaßen zu, daß es uns gut geht, schließlich sind wir fleißig, und wir haben auch geschuftet dafür! Wenn der Russe im Berliner Fußgängertunnel Schifferklavier spielt oder der Ami in der U-Bahn mit der Country-Klampfe bettelt, geht das runter wie Öl. Schlimmer hatten sich die Großeltern die Lage nach dem Endsieg auch nicht vorgestellt.
Beim Spruch: »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!« kommen Erinnerungen zum Klingen. Aber nicht die an Immanuel Kant oder August Bebel, sondern die zum Beispiel an »Rommel, den Wüstenfuchs«. Die die Sprüche klopfen, wissen dies.
Sie reden sich raus auf die Demokratie und die schöne neu-alte Bundesrepublik; aber sie wissen ganz genau, an welche Saiten sie rühren, wenn sie so sprechen.
Laßt uns über die Dechiffrierung reden.