Des Blättchens 3. Jahrgang (III), Berlin, 21. August 2000, Heft 17

Zweierlei Haß

von Jörn Schütrumpf

Adolf Hitler fürchtete lange Zeit vor allem zwei Dinge: seine eigene Ausweisung als unerwünschter Ausländer und ein Verbot der NSDAP. Zu Beginn des Jahres 1932 brachte die Ernennung zum Regierungsrat von Braunschweig Hitler die lang ersehnte deutsche Staatsbürgerschaft und erlöste ihn von der einen Angst. Ein Parteiverbot hingegen ließ sich bis zum 30. Januar im Jahr darauf nie gänzlich ausschließen.
Hitler war vor diesem Datum nur als Redner eine Macht; sein Geschreibsel lasen nicht einmal die ganz Getreuen. Seine Ausweisung hätte die NSDAP in ihrer Handlungsfähigkeit schwer beeinträchtigt. Schlimmer noch wäre jedoch ein Verbot für die NSDAP ausgefallen. Denn die legale Fassade wurde nicht nur für öffentliche Auftritte und Wahlkämpfe benötigt; mindestens genauso wichtig war sie zur Hege und Pflege der illegalen terroristischen Strukturen der NS-Bewegung.
Daß – 67 Jahre später – ein NPD-Verbot die illegalen Strukturen verfestigen würde, stimmt. Jedoch zu glauben, man werde eine legale NPD besser unter Kontrolle haben, ist wenigstens naiv, wenn nicht gar ein vorgeschobenes Argument. Von einer weiteren Duldung legaler NS-Strukturen in Deutschland würden letztlich nur die Nazis und ihre illegalen Strukturen profitieren.
Daß der deutsche Staat und die westdeutsche Gesellschaft keine Erfahrungen mit der Bekämpfung von Extremisten hätten, die in den Untergrund abgedrängt worden waren, wird wohl kaum jemand ernsthaft behaupten. Die staatlich geschürte Hysterie bei der Verfolgung der Rote-Armee-Fraktion in den siebziger Jahren hat deutlich unter Beweis gestellt, daß die Eliten sehr wohl in der Lage sind, sich und ihren Staat zu verteidigen – wenn sie es denn wollen.
Erstmals scheint nun ein Bündnis möglich, das nicht nur aus Linken besteht, sondern bis ins Großkapital und zu solchen Personen des öffentlichen Lebens reicht, die sonst eher betont apolitisch agieren. Ob das nach den Kampfhunden und dem Ausfallen des alljährlichen SPD-Sommertheaters nur etwas fürs Sommerloch ist, hängt nicht nur von den im September zu erwartenden Debatten über Renten- und Steuerreform ab. Behindert der Nationalismus auf Dauer das Geldhecken, wird das Thema in den Medien bleiben.
Seit 1990 beobachten wir in beiden deutschen Teilgesellschaften eine Zunahme der Xenophobie. Lediglich sozial gefährdete Arbeitergruppen wurden schon zuvor – Ende der achtziger Jahre – unruhig und verhalfen den Republikanern zu kurzzeitigen Wahlerfolgen. Insgesamt aber kamen die Westmenschen einigermaßen mit den Fremdvölkischen zurecht. Die Welt war klar eingeteilt ins deutsche Herrenvolk, das es sich leisten konnte, liberal zu sein, und in die Arbeitsmigranten, für deren Mehrheit noch Verwendung bestand.
Es war die Wende in der DDR, die der westdeutschen Seele die tiefste Erschütterung der Nachkriegszeit bereitete: Der verostete Mensch wurde dem Siegervolk im kalten Krieg weitgehend gleichgestellt. Nachdem die westdeutschen Arbeitsplätze durch Vernichtung der DDR-Wirtschaft gerettet und so der Raum im Osten in einen Absatzmarkt für westdeutsche Waren verwandelt worden war, wurden die Ostler plötzlich frech. Für die ungeheure Eigentumsumschichtung von Ost nach West fordern sie Jahr für Jahr zumindest so viel Kompensation, daß das Land nicht völlig verödet. Zu zahlen haben nicht die westdeutschen Wendegewinnler – die haben gerade eine Senkung des Spitzensteuersatzes erhalten –, sondern die westdeutsche Gesellschaft.
Dieser doppelte Verlust – die Sonnenseite der Kalten-Kriegs-Landschaft mit den Brüdern und Schwestern teilen und dafür auch noch zahlen zu müssen (die Westpakete konnte man wenigstens noch steuerlich absetzen) – hat bei nicht wenigen Westmenschen einen heiligen Zorn auf den Osten erzeugt. Wobei das Schlimmste ist, daß sich der Westen gegen diese Situation nicht wehren kann. So viel Ohnmacht war im Westen – jahrzehntelang im Machbarkeitswahn dahinschwelgend – nie. In früheren Zeiten hatte man für solcherart psychosoziale Notstände die Juden. Die stehen momentan nicht zur Verfügung, zumindest noch nicht. Also muß der Neger herhalten.
Auch beim Ostmenschen, soweit er sich ängstlich bis rassistisch gegenüber Fremdvölkischen geriert, geht es klassisch zu. Denn ihm wurde nicht nur der Sowjetmensch durch den Westmenschen ersetzt – der Westmensch ist zu allen Unglück auch noch schwerer zu ertragen. Der Sowjetmensch war zwar Besatzer, doch ein weitgehend versteckt gehaltener, dem es als Sieger zudem noch deutlich schlechter ging als den besiegten Ostdeutschen – etwas Einmaliges in der Geschichte. Im neuen Deutschland nun fühlt sich der Ostmensch zweitklassig, und die schlichtere Spezies verhält sich entsprechend: Sie gibt ihren Frust an die dritte Klasse weiter, meint aber die erste.
Die Deutschen, soweit sie xenophob fühlen, sind nicht einmal in ihrer Ausländerfeindlichkeit geeint. Allerdings nutzen beide den Ausländer als Sack, den man schlägt – weil der eigentliche Adressat nicht zu erreichen ist. In Zeiten der Globalisierung wirkt dieserlei Verhalten standortschädlich. Das ist der große Unterschied zur nationalen Besoffenheit zu Anfang der dreißiger Jahre.
Falls das große Geld sich wirklich gezwungen sehen sollte, antireaktionär zu handeln – Menschenfreundlichkeit also zum Standortvorteil wird –, werden gänzlich neue Bündniskonstellationen entstehen, die es gestatten, endlich etwas Mief aus diesem Deutschland rauszulüften. Die Linke käme damit in eine deutlich veränderte Position, die zu einem Anlaß geraten könnte, über die eigenen – erstarrten – Positionen nachzudenken. Ob die damit verbundene Chance auch nur im Ansatz begriffen werden wird, scheint mir bei ihrem jetzigen Zustand zwischen Hilflosigkeit und unheilbarer Rechthaberei allerdings mehr als fraglich.