Des Blättchens 3. Jahrgang (III), Berlin, 6. März 2000, Heft 5

Söldner oder Bürger?

von Erhard Crome

Jetzt hat Außenminister Fischer gemeint, für die deutsche Berufsarmee sein zu sollen, während der Scharping die Fahne der Wehrpflicht hochzuhalten erklärt. Die PDS, die so konsequent gegen den NATO-Krieg gegen Jugoslawien eintrat – und deswegen nach wie vor heftig von den Regierungsparteien attackiert wird –, hat ihrerseits nicht vermocht, eine radikalpazifistische Position zu reklamieren: Es könnte ja sein, unter bestimmten Umständen, daß bestimmte Probleme eben doch des Einsatzes militärischer Mittel bedürfen, weil, man kann ja nicht einfach zusehen … nur die UNO soll dabei sein. Derlei existentielle Debatten haben die Eigenart, durch die Zeiten zu reichen, ohne daß ihnen die Zeit etwas anzuhaben vermag.
Bereits das alte Christentum, das sich immerhin auf die Bergpredigt beziehen konnte, zog zwei konträre Folgerungen. Die eine besagte, daß man in der »Nachfolge Christi« auch zur Selbstverteidigung das Schwert zu ergreifen nicht berechtigt sei – die Mennoniten, die Quäker und andere christliche Radikalpazifisten haben dies bekanntlich auch strikt befolgt. Die andere war, daß gemäß der Lehre vom »gerechten Krieg« der Christenmensch nicht nur berechtigt sei, für die »gerechte Sache« in den Krieg zu ziehen, sondern dazu auch verpflichtet. So wurden von den Kreuzzügen über die Ausrottung und Vertreibung der Mauren und Juden in Vollendung der spanischen Reconquista bis in die Gegenwart unter dem Kreuz alle nur denkbaren Gewalttaten verübt, von Protestanten nicht weniger als von Katholiken.
Der Absolutismus hatte das stehende Heer geschaffen, zur freien Verfügung der Könige. Die französische Aufklärung geißelte dessen Wesen. Montesquieu polemisierte gegen die Epidemie, die die Könige treibe, ihre Heere schrankenlos zu vergrößern. Bereits Voltaire nannte Soldaten Mörder. Rousseau sah in den regulären Truppen die Pest Europas, nur geeignet, die Nachbarn zu überfallen und zu erwürgen oder die Bürger des eigenen Landes zu fesseln. Eine Lösung könne nur sein, daß der Bürger selbst Soldat und der Soldat Bürger sei, also eine Wehrpflicht – ausschließlich im Verteidigungsfalle – die Konsequenz des Wahlrechts und Moment der Demokratie. Immanuel Kant nahm in seinen Überlegungen zum Ewigen Frieden diesen Zusammenhang von republikanischer Verfassung und Frieden in den Blick. Sein Theorem besagte, der Krieg werde in dem Moment aufhören, in dem diejenigen, die unter ihm zu leiden haben, über ihn beschließen können.
Auch Friedrich Engels unterstrich, daß die allgemeine Wehrpflicht die notwendige und natürliche Ergänzung des allgemeinen Stimmrechts sei. Außerdem sei es um so besser, je mehr Arbeiter in den Waffen geübt würden. Franz Mehring interpretierte dies am Ende des 19. Jahrhunderts so, daß die allgemeine Wehrpflicht die einzige demokratische Einrichtung sei, die die Arbeiterbewegung in Preußen sehe, und die kampftüchtige Miliz nicht nur militärisch gebildet sein solle, sondern durch sozialdemokratische Agitation zu einheitlichem Willen zusammengeschweißt. Mit der leninistischen Wende im 20. Jahrhundert verschwand die Idee der demokratischen inneren Verfassung aus dem Blickfeld real-sozialistischer Politik; konstitutiv wurde eine kommunistisch gewendete Lehre vom »gerechten Krieg«.
Der Realsozialismus ist dahingegangen. Geblieben ist der Zusammenhang von demokratischer Verfaßtheit der Gesellschaft und Frieden beziehungsweise Krieg. Auch die Herrschenden der Gegenwart fühlen sich durch die Demokratie gestört. In den USA wurde die Wehrpflicht nach dem Debakel in Vietnam abgeschafft. Die Militärs meinten, sie seien im Felde unbesiegt, nur die Fernsehbilder von den Kämpfen und vor allem Gefallenen in den Wohnstuben hätten die Heimatfront aufgeweicht. Folgerichtig stellten die US-Militärs in den Kriegen der neunziger Jahre stets zuerst die Medienkontrolle her.
Kants Theorem ist nicht nur an die demokratische Ordnung gebunden, sondern auch daran, daß eine gleiche Lastenverteilung unter allen Bürgern erfolgt. Diese gleiche Lastenverteilung wurde in den USA außer Kraft gesetzt. Faktisch ist der Militärdienst den politisch eher passiven Teilen der Gesellschaft zugewiesen; überproportional in den Streitkräften vertreten sind die Kinder der Unterschichten und Afroamerikaner. Frankreich hat übrigens das Problem noch eleganter gelöst: Bei besonders problematischen Militäreinsätzen, etwa in Afrika, wird die Fremdenlegion eingesetzt.
Joseph Fischer hat nun also nicht nur – während des Kosovo-Krieges – eine grüne Variante des »Gerechten Krieges« in die innenpolitische Debatte Deutschlands eingeführt und in seiner UNO-Rede mit Blick auf Ost-Timor sogar weltweit reputationsfähig zu machen versucht, er will nun auch die deutsche Berufsarmee. Schon jetzt ist es so, daß sich eher die Söhne arbeitsloser Familien beziehungsweise aus strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland freiwillig längerdienend verpflichten.
Bei einer Berufsarmee ist es dann noch komfortabler: Die Alt-68er Studienräte und schöngeistigen Professoren im Westen, die ihre inzwischen ergrauten Haare wehend offentragen oder Müsli essen und Öko-Socken bevorzugen, könnten sich künftig noch ausschließlicher um so wichtige Fragen kümmern wie die steuerliche Behandlung von Windkrafträdern oder die Rettung des Eisvogels. Und ihre Kinder müßten nicht einmal mehr Zivildienst machen, was wiederum für die Karriere gut wäre, während die Eltern Fischers wegen kein schlechtes Gewissen haben müßten – er führte ja nur »gerechte Kriege«. Und zwar mit Soldaten, die nicht die eigenen Kinder wären.
Man kann das natürlich noch weiter vervollkommnen: Green Cards für eine deutsche Fremdenlegion, die in Osteuropa zusammengeworben wird.