Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 11. Mai 2009, Heft 10

Das Schweigen der Lämmer?

von Wolfgang Sabath

Zugegeben: Momentan ist es noch einigermaßen unerklärlich, warum sich Deutschlands Werktätige sowie seine ehemals Werktätigen, jene also, die, wie es so locker-flockig umgangssprachlich heißt, »auf Hartz IV sind«, so friedlich vor sich hin mümmeln. Daß DIE LINKE nicht von der Krise profitiert, ja, just einen Tag vor dem 1. Mai laut einer Umfrage von zehn auf neun Prozent potentieller Wählerstimmen sank (»Was wäre wenn, wenn am nächsten Sonntag …«), ist allerdings angesichts der in ihren Reihen geparkten künftigen Dienstklasse, die sich auf Abruf bereithält, um im Falle entsprechender Wahlergebnisse mitzuregieren, weniger unerklärlich als beispielsweise die sehr stabil hohen Umfragewerte Angela Merkels. Wie die es vermocht hat, landesweit den Schein zu manifestieren, sie, Merkel, und die CDU-Politik hätten – eigentlich – nichts miteinander zu tun, das seien zwei verschiedene Paar Schuhe, ist aber vermutlich keine Frage für Soziologie oder Politikwissenschaft, sondern eher eine für die Psychologie. Vielleicht ereilt uns irgendwann eine – vor allem plausible – Erklärung.
Als in den Wochen vor dem 1. Mai die SPD-Bundespräsidentschaftskandidatin Schwan und kurz vor dem einstigen Arbeiterkampftag auch DGB-Chef Sommer und andere öffentliche Personen vorsichtig – gaahnz, gaaahnz vorsichtig! – sich anzudeuten erlaubt hatten, eine Zunahme wirtschaftlicher Schwierigkeiten, eine »Verschärfung der Krise« gar, könnten womöglich soziale Unruhen auslösen, wurde sich in breitester Front darüber empört.
Der Tenor der Empörerei: Schwan und die anderen redeten mit solcherart öffentlich geäußerter Vermutungen Unruhen erst herbei.
Allerdings will es mir absolut nicht gelingen zu glauben, daß die Empörer, pofalleri, pofallera, wirklich glaubten, was sie sagten. Es war alles mit ziemlicher Sicherheit nur Theaterdonner, vulgo: vorgezogener Bundestagswahlkampf; die noch vorher stattfindenden Europawahlen interessieren außer denen, die sich aussichtsreiche pfründige Listenplätze versprechen, ohnehin kaum jemanden (ich bin davon überzeugt: Die Wahlbeteiligung wird es an denTag bringen …).
Die Aufgeregtheiten – die echten (ja doch, die mag es ja zwischendurch auch gegeben haben) wie die gespielten – bekamen insofern noch eine pikante Note, als sich insbesondere von jenen aufgeplustert wurde, die sich in jenen Tagen und Wochen vor zwanzig Jahren nicht genug damit hatten tun können, sich als vehemente Anhänger »der Straße« zu geben. Ja, sie waren dazumal dermaßen angetan davon, daß sie containerweise schwarzrotgoldene Wink- Elemente in die Heldenstadt schafften – »Wir sind das Volk!« (Selbst auf die Gefahr hin, den Lesefluß dieser Bemerkungen empfindlich zu stören, sei hier folgender Einschub gestattet: Es waren natürlich nicht brüderlichschwesterliche Wink-Elemente, und es waren auch nicht die vielen anderen Liebesgaben, die der DDR den Garaus machten, dazu war keine Hilfe von außen nötig … – soviel zum Thema Ältestenrat der Linkspartei.)
Wo sich Konservative über linkslastige oder linkslastig erscheinende Sprüche (von Aktivitäten wollen wir hier ja gar nicht reden …) empören, darf der Kollege Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie nicht fehlen, Hubertus Schmoldt fehlt bei derartigen Gelegenheiten nie. Der Berliner Zeitung diktierte er am Vorabend des 1. Mai: »Es ist derzeit überhaupt nicht angebracht, von sozialen Unruhen zu reden.« Und zwar nicht, weil es sie nicht gibt (was ja durchaus der Realität entspricht), sondern weil der Gewerkschaftsführer Hubertus Schmoldt soziale Unruhen ganz offenbar mehr fürchtet als die Ursachen, die zu Unruhen führen könnten.
Solche Gewerkschaftsführer wie Schmoldt wurden »früher« Reformisten und Revisionisten geschimpft, und noch viel früher wurden gegen »Reformisten « und »Revisionisten« oppositionelle Gewerkschaften à la RGO gegründet. Was, wie wir wissen, auch nichts geholfen hatte. Hubertus Schmoldt & Kollegen scheinen geradezu aus einem kommunistischen Bilderbuch über »verräterische Gewerkschaftsführer« entstiegen.
Was natürlich alles Nonsens ist. Doch solche wie der Kollege Schmoldt könnten dazu beitragen – und das wäre fatal –, daß etliche Leute auf die Idee kommen, die Kommunisten hätten »damals« vielleicht doch »recht gehabt« – davor behüte uns Gott.
Wir können es drehen und wenden wie wir wollen: soziale Unruhen in Deutschland? Fehlanzeige. Aber ist das ein Schweigen der Lämmer? Ich glaube nicht. Sondern es könnte eher eine kluge und reale Einschätzung der Situation und der Kräfteverhältnisse sein.