15. Jahrgang | Nummer 1 | 9. Januar 2012

Und das wird – 2012

von Horst Evers

Januar

Ende Januar wird die Berliner S-Bahn dann doch noch von einem plötzlichen, nicht vorhersehbaren Winter überrascht. Jede Menge Wetter lässt den Betrieb wieder völlig zusammenbrechen.
Berlin jedoch reagiert diesmal anders. Es entwickelt sich ein neuer Megatrend bei Berlinern und Touristen. Das so genannte S-Bahn-Waiting. Überall in der Stadt versammeln sich nun unzählige Menschen, um ganz gezielt auf S-Bahnhöfen zu verweilen. Der Zauber des gemeinschaftlichen Wartens lockt längst Besucher aus aller Welt in die Stadt. Flashmobs werden organisiert, Livemusik, Straßenkünstler, auf vielen Bahnsteigen wird auch gegrillt.
Von überall her reisen Wartetouristen nach Berlin, um sich mit den Berlinerinnen und Berlinern unvergessliche Warteerlebnisse zu bescheren. Längst überlegen auch andere Städte ihre S-Bahnen kaputt zu machen, und fordern hierfür Berliner Know-how an.

Februar

Auf dem mittlerweile siebten absolut endgültigen, alles entscheidenden Eurogipfel in Brüssel ringt man Griechenland das Zugeständnis ab, seinen Europameisterschaftsstartplatz an China zu verkaufen. Zwar gibt es Stimmen, die es seltsam finden, wenn China bei einer Fußballeuropameisterschaft mitspielt, aber Merkel und Sarkozy sehen hier keine Probleme. Im Gegenteil, sie könnten es sich für Europa sogar grundsätzlich vorstellen, beispielsweise Großbritannien ganz gegen China zu tauschen.

März

Apple revolutioniert wieder einmal unseren Alltag und begeistert die Menschen mit einem völlig neuen Gerät – dem I-Steam.
Also ein mobiles Dampfbügeleisen mit vielen, vielen Apps. Wie viele andere, war auch ich anfangs natürlich skeptisch. Das I-Steam, so ein mobiles WLAN-Dampfbügeleisen? Brauche ich so etwas denn wirklich? Muss ich das denn haben?
Aber jetzt muss ich doch sagen, es ist schon toll einfach immer und überall bügeln zu können. Völlig unabhängig. Also heute könnte ich mir mein Leben ohne I-Steam praktisch gar nicht mehr vorstellen. Und ich bin nicht allein. Mittlerweile sieht man sie überall im Stadtbild, die jungen Leute, die in speziellen Cafés zusammen dampfbügeln und dort dann gemeinsam in ihrer Wolke stehe. Toll.

April

Die Canasta-Runde von Barroso protestiert, dass ausgerechnet immer donnerstags die Eurogipfel stattfänden. Das sei eigentlich Barrosos Canasta-Tag.
Derweil verkaufen weitere Euro-Staaten ihre EM-Startplätze an Katar, den Oman und die Familie Mubarak. Auch erste Konzerne sollen Interesse haben.

Mai

Im Rahmen des 16ten absolut endgültigen, alles entscheidenden Eurogipfels in Brüssel sagt der versehentlich betrunkene Sarkorzy noch versehentlicher im Interview bei den Logo-Kindernachrichten: Er fände es ja auch seltsam, dass man nicht nur die verschuldeten Länder retten müsste, sondern auch noch viele der Banken, bei denen diese verschuldeten Länder doch eigentlich ihre Schulden haben. Und das man sich dann das Geld für diese Rettung wiederum zum größten Teil bei genau den Banken leihe, die man doch dann wiederum mit diesem Geld retten wolle. Das fände er auch alles sehr verwirrend.
Daraufhin wird er von Merkel herabgestuft. In den Umfragen im Volk jedoch wird Sarkozy für seine Ehrlichkeit gelobt. Seine Beliebtheit steigt.

Juni

Viele Beobachter waren vom sportlichen Niveau der Europameisterschaft enttäuscht. Im Finale unterliegt das Team Aldi der Mannschaft von IKEA mit 0:3 Regalen. Alle drei Treffer erzielte Billy.

Juli

Beflügelt von seiner enorm gestiegenen Populärität beschließt Sarkozy, noch ehrlicher zu werden. Er betrinkt sich erneut und sagt den Kindernachrichten: Er habe auch gar keine Ahnung, was dieses ewige „Wir kaufen uns Zeit solle“. Welchen wirklichen Nutzen habe es denn, sich nur Zeit zu kaufen? Für ihn fühle sich das an wie bei einer Parkuhr, wo man am Ende das Auto verkaufe, um die Parkuhr zu bezahlen. Dann döst er überraschend weg.
Nach diesem Interview jedoch bekommt er 253 Millionen Freundschaftsanfragen bei Facebook.

August

Aus Neid auf die unfassbare Popularität des ehrlichen, ahnungslosen, betrunkenen Sarkozy betrinken sich nun auch alle anderen Europagipfelteilnehmer und beteuern dann in Interviews, dass sie aber mindestens genauso wenig Ahnung haben von dem, was sie da seit Monaten auf diesen Gipfeln tun.
Merkel versichert, dieser Finanzkrempel habe sie noch nie interessiert, Rajoi tönt, er habe stets auf Durchzug geschaltet, und Barroso gesteht, er sei sowieso immer nur nach Brüssel gefahren, damit er nicht zu dieser blöden Canasta-Runde müsse.
Europa jubelt. Die Bevölkerung fühlt sich endlich wieder angemessen und glaubwürdig von ihren Vertretern vertreten.

September

Bei der Funkausstellung gibt es erste Feldversuche mit W-Food, also wireless food. Funktioniert wie WLAN, nur eben mit Essen. Man macht einfach nur den Mund auf und nach einer Weile ist man ganz von selbst satt. Leider gibt es wireless food bislang aber nur in den Geschmacksrichtungen „nach nichts“ und „bißchen muffig“.

Oktober

Anlässlich des 40sten absolut endgültigen, alles entscheidenden Eurogipfels in Brüssel und der Herunterstufung sämtlicher Eurostaaten auf D wie doof verkünden die Regierungschefs die Gründung einer Ratingagentur für Ratingagenturen. Leiter wird Bernd das Brot.
Ferner verkünden sie die absofortige Zusammenarbeit mit Apple und präsentieren den I-Euro. Einen durchdesignten Euro mit ganz, ganz vielen Apps und dem Sprachprogramm Siri. Kurz: Das erste Geld, das sprechen kann. Eine Revolution. Geld, das vor dem Kauf nochmal fragt: „Können wir uns das auch wirklich leisten?“

November

Der Schock. Wissenschaftler des Cern in Genf stellen anhand des Gottesteilchens, des Higgs Bosons, fest: Die Maya hatten doch recht. Die Erde wird am 21. Dezember 2012 untergehen. Definitiv. Irrtum leider ausgeschlossen. Durch eine Art Erdkernerruption wird alles Leben enden.
Die gute Nachricht aber: Nach rund einem Jahr wird wieder Leben möglich sein.
Die noch bessere Nachricht. Die europäische Raumfahrtbehörde hat heimlich bereits ein Raumschiff bauen lassen, welches zwei Jahre um die Erde kreisen wird, ehe es dann wieder landet und somit neues Leben von vorn beginnen kann.
Die schlechte Nachricht: Das Raumschiff hat neben Pflanzen und Tierpärchen von jeder Art nur 2.000 Plätze für Menschen.
Man beschließt, nichts zu verraten und nur unter strengster Geheimhaltung die 2.000 Raumschiffplätze zu vergeben. 200 Plätze werden an die jeweils 50 klügsten, gesündesten, wichtigsten und durchschnittlichsten Menschen der Welt verteilt. Die restlichen 1.800 Plätze werden verkauft. Für 10 Milliarden Euro pro Platz. Ist das Gerechteste. Wie will man es sonst machen?

Dezember

Am 19. Dezember startet das Raumschiff mit den 2.000 Glücklichen. Die Zukunft der Menschheit. Die restlichen Menschen leben nichts ahnend weiter, bis am 21. Dezember, um punkt 12.12 Uhr die Erde plötzlich … doch nicht untergeht.
Upps, war dann doch nur so‘n leichtes Zurechtruckeln, wodurch ab jetzt keine Schaltjahre mehr notwendig sein werden. Richtig wird die Erde wohl jetzt erst am 3.3.3333 um 3 Uhr 33 untergehen. Aber das ist jetzt relativ sicher.
Naja, auf dem 51sten nunmehr endgültig alles entscheidenden Eurogipfel in Brüssel beschließen die Gipfelteilnehmer die 18 Billionen Euro der Raumschiffpassagiere zur Rettung des Euro einzusetzen und die Finanzkrise quasi zu beenden.
Wenn die Glücklichen 2.000 in zwei Jahren mit ihrem Raumschiff wieder landen, haben die ja immerhin die schöne Reise fürs Geld bekommen.
Alle sind gerettet: die Menschen, der Euro, die Welt. Also erstmal, bis in fünf oder sechs Jahren Schulden und Zinsen wieder so weit angewachsen sind, das alles von vorn beginnen kann. Doch erstmal feiern alle, auch in Berlin, …
… bis am 28. Dezember Berlin erneut von einem plötzlichen, nicht vorhersehbaren Winter überrascht wird und die S-Bahn dennoch ohne Probleme weiterfährt. Hunderttausende von hoffnungsfroh angereisten Wartetouristen sind sehr enttäuscht.

Mit seinem Programm „Großer Bahnhof“ gastiert Horst Evers im Februar unter anderem in: Berlin (Wühlmäuse, 06.02. 16 Uhr), Düsseldorf (Kom(m)mödchen, 07./08.02., 20 Uhr), Frankfurt / M. (Die KäS, 09./10.02., 20 Uhr), Schwerin (Capitol, 24.02., 20 Uhr), Rostock (Stadthalle, 25.02., 20 Uhr) und Berlin (Mehringhof, 28.02. – 03.03., 20 Uhr).