13. Jahrgang | Nummer 3 | 15. Februar 2010

Sackgasse Afghanistan

von Ina Ruck, Moskau

Sonia Seymour Mikich: Sie sollte so etwas wie der Augenblick der Wahrheit werden, die große Afghanistan-Konferenz heute. Die Bevölkerung im Westen überzeugen, daß der Einsatz im fernen Afghanistan gut ausgeht. Daß es sogar einen Zeitplan dafür gibt, wie Außenminister Westerwelle heute informierte. Aber Afghanistan ist immer ein Feld der Niederlage für Eindringlinge geblieben. Nie haben fremde Mächte das Land nach ihren Vorstellungen formen können. Auch die große, waffenstarke Sowjetunion verteidigte ihre Sicherheit am Hindukusch. Und verlor in einem katastrophalen Umfang Menschen, Material und Macht. Unsere Moskauer Korrespondentin Ina Ruck analysiert, warum der Feldzug der Sowjetarmee damals wie eine Blaupause für das Dilemma heute wirkt.

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Als die Sowjets 1979 einmarschierten, glaubten sie noch an einen schnellen Sieg – wie die Amerikaner. Wie der Westen 2001 kamen sie hochgerüstet, militärisch hoch überlegen. Und auch das Ziel war ähnlich. Zwar marschierten die Sowjets nicht wegen Al-Qaida ein, aber auch ihnen ging es darum, ein instabiles Land wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Rote Armee sollte die befreundete Zentralregierung in Kabul schützen, vor den aufständischen Mudschaheddin. Und damals wie heute rutschten die Invasoren langsam immer tiefer in den Krieg. Wladimir Snegirew kennt das Land wie wenige. Als sowjetischer Kriegsreporter war er die ganzen Jahre dabei, die Kalaschnikow immer griffbereit. Heute, sagt er, erlebt er ein Déjà-vu nach dem anderen. So sehr gleichen sich die beiden Kriege.

Wladimir Snegirew, Afghanistan-Experte (Übersetzung MONITOR):

“Je mehr Truppen wir schickten, desto heftiger wurde doch der Widerstand. Wir hatten ja am Ende 120 000 Mann dort. Heute erleben die ISAF-Truppen dasselbe. Sie haben beinahe schon unsere Truppenstärke von damals erreicht. Und noch ein Déjà-vu: Wir hatten damals einen Staatschef eingesetzt, der sich als viel zu schwach erwies, Karmal. Der traute sich kaum heraus aus seinem schwer bewachten Palast. Ganz genau wie heute Hamid Karsai, der hat auch keine Macht.”

Jahrelang zog sich der Krieg, immer höher wurde der Blutzoll. Die Mudschaheddin überfielen Kolonnen, verminten Transportwege, lauerten in Hinterhalten. Schon nach wenigen Jahren war klar, daß der Krieg am Hindukusch für die Sowjets trotz Übermacht nicht zu gewinnen war. Einer der Kommandeure damals war Ruslan Auschew. Nach dem Krieg bekam er einen Heldenorden und wurde zum General befördert. Heute sagt er: Man kann dieses Land nicht mit Waffen unter Kontrolle bringen. Und noch weniger kann man Afghanen mit Gewalt von einer fremden Ideologie überzeugen.

General Ruslan Auschew, Afghanistan-Veteran (Übersetzung MONITOR):

“Wir wollten die Afghanen zu Sowjets machen. Mit Kolchosen, Planwirtschaft, Verwaltung, mit allem was dazugehört. Das war ein Fehler, und der Westen macht jetzt genau dasselbe. Der will sie demokratisch machen. Auch mit Waffengewalt, wie wir. Aber das funktioniert dort nicht.”

Daß es nicht funktioniert, muß auch der Westen jetzt eingestehen. Nach acht Jahren. Fast genauso lange haben auch die Sowjets gebraucht, um diesen Fehler zu erkennen. Und sie erkannten noch etwas: Die Mudschaheddin sind Teil der Bevölkerung. Die Grenzen zwischen Kämpfern und Zivilisten, friedlichen Bauern, sind fließend. Wer gegen sie kämpft, bringt das halbe Volk gegen sich auf. Genau wie heute der Westen im Kampf gegen die Taliban. Die Sowjets setzten schließlich einen neuen Staatschef ein in Kabul, Mohammed Nadschibullah. Er vollzog auf Geheiß Moskaus eine radikale Wende, er redete mit dem Feind. Er lud die Mudschaheddin zu Gesprächen ein. Und sie kamen. Politik der nationalen Versöhnung, hieß das. Genau das verkündet der afghanische Präsident Karsai heute in London, den Dialog mit den Taliban. Wieder ein Déjà-vu.

General Ruslan Auschew, Afghanistan-Veteran (Übersetzung MONITOR):

“Man muß die Taliban als politische Kraft akzeptieren. Sie sind Teil der Bevölkerung, sie stammen aus dem Volk, genauso wie die Mudschaheddin. Man muß sie einbeziehen. Aber uns hat keiner gefragt. Wir hätten das schon 2001 gewußt, wir haben unsere Erfahrungen. Aber nein, hieß es, Amerika ist mächtig, Europa auch, die wissen was sie tun.”

Was kaum einer im Westen weiß: Auch die Sowjets leisteten Entwicklungshilfe, bauten Schulen, Fabriken, befreiten die Frauen. Sie schufen Arbeitsplätze als Voraussetzung für die Nationale Versöhnung. Doch dann zogen sie ab. Ohne die Sowjets hielt Nadschibullahs brüchiger Burgfrieden nicht lange. Neun Jahre nach dem Einmarsch rollten die letzten Sowjetpanzer zurück über die Grenze. Die Bilanz: Eine Million tote Afghanen, 15 000 gefallene Russen, ein Land im Bürgerkrieg. „Wir hätten länger bleiben müssen“, sagt heute der Afghanistan-Kenner Snegirjow. Nicht als Besatzer, sondern als Entwicklungshelfer, solange, bis das Land sich erholt hätte.

Wladimir Snegirew, Afghanistan-Experte (Übersetzung MONITOR):

“Wir haben das schon damals gesagt. Der Einmarsch der sowjetischen Armee nach Afghanistan war ein großer Fehler. Aber der Abzug, der war ein Verbrechen.”

Also mit dem Feind reden, ihn einbeziehen. Mehr Entwicklungshilfe leisten, staatliche Institutionen aufbauen. Die Signale aus London klingen ähnlich. Aber auch von einem Zeitplan war dort heute die Rede, realistisch oder nicht. 2014 sollen die Afghanen das schaffen, was ihnen nach dem Abzug der Sowjets nicht gelang. Sie sollen die Verantwortung für ihr Land alleine übernehmen.

ARD/WDR: Monitor-Bericht vom 28. Januar 2010

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29. Januar 2010. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU), wendet sich gegen einen schnellen Abzug aus Afghanistan. „Wir würden mit einem sofortigen Abzug den gleichen Fehler begehen, wie er damals nach dem Rückzug der sowjetischen Armee begangen wurde“, sagte Polenz der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. Nach dem Abzug der Sowjets sei ein fürchterlicher Bürgerkrieg in Afghanistan ausgebrochen. Heute seien die Taliban nicht nur eine Bedrohung für Afghanistan, sondern auch für die Atommacht Pakistan. [ … ]

Aus: FAZ.NET, 30. Januar 2010

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Ein anzuzeigendes Verbrechen:

Der Luftschlag von Kunduz, befohlen von Deutschen (…) markiert einen neuerlichen Wendepunkt in der deutschen Geschichte, weil er die lange gepflegte Illusion, man könne an Kriegen teilnehmen und dabei Pazifist bleiben, beendet. Schlimmer noch: Während die Deutschen weiter glauben wollten, man könne Panzer in die Welt schicken, aber nur um Brücken zu bauen, machten sich ihre Soldaten draußen in der Welt eines Verbrechens schuldig.

Nichts anderes war der Luftschlag von Kunduz, und zwar ungeachtet dessen, ob juristische Prüfungen am Ende zu anderen Schlüssen kommen, ungeachtet dessen auch, daß den befehlshabenden Offizieren, allen voran Oberst Klein, der Vorsatz, gezielt Zivilisten zu töten, nicht zu unterstellen ist. Wo aber im Zuge einer tödlichen militärischen Operation derart fundamentale Einsatzregeln gebrochen werden, wo letztlich ohne Not, ohne eine unmittelbare Gefahr Bomben auf eine Menschenmenge abgeworfen werden, ist ein Verbrechen anzuzeigen.

Aus: Spiegel 5/2010