Die Allgemeine Religionsgeschichte als beschreibende Wissenschaft ist eine Frucht der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Erst jetzt lagen, bedingt durch den europäischen Kolonialismus, in immer größerer Fülle Dokumente vor, wurden Kultstätten bekannt, konnten Bräuche am lebendigen Beispiel studiert werden. Erst jetzt war der Einfluss der Kirchen so schwach, dass ihr missionarisches Interesse nicht mehr unmittelbar mit einer Zerstörung des Vorhandenen einherging. Erst jetzt haben sich die empirischen Wissenschaften aus der Umklammerung durch große philosophische Systeme befreit – noch Hegel hatte in seiner Religionsphilosophie alle Religionen als Vorstufen zum protestantischen Christentum betrachten können, und nicht wenige fortschrittsgläubige Autoren haben im Gefolge von Auguste Comtes Dreistadiengesetz ein teleologisches Geschichtsbild vertreten.
Bei dieser Öffnung für die Welt unterschiedlicher Religionen kommt auch der bildnerischen Darstellung heiliger Orte und Objekte eine nicht unbedeutende Rolle zu. In diesem Zusammenhang sehe ich eine kleine, aber feine Ausstellung, die derzeit im Salzburger Dom-Quartier zu bewundern ist. Sie präsentiert Werke des Malers Hubert Sattler (1817-1904), der auf drei großen Reisen unterschiedliche, mit religiöser Bedeutung aufgeladene Orte durch Zeichnungen und großformatige Gemälde (Kosmoramen) festgehalten hat. Die Präsentation folgt den Reiserouten des Malers; gezeigt werden neunzehn Kosmoramen aus vier Kontinenten und – erstmals – dazugehörige, vor Ort entstandene Zeichnungen und Übertragungsskizzen.
Den Auftakt aber bildet das großartige Bild des Domplatzes von Salzburg, 1827 bis 1828 von Huberts Vater Johann Michael Sattler (1786-1847) geschaffen. Er war der eigentliche Erfinder der Kosmoramen, die um der illusionistischen Wirkung willen ursprünglich in Guckkästen präsentiert wurden, und mit ihm hat der Sohn während einer zehnjährigen Rundreise durch Mitteleuropa zunächst zusammengearbeitet. Drei Jahre nach Rückkehr von dieser Reise entschloss sich Hubert Sattler, als eigenständiger Reisemaler tätig zu werden. Auf zwei ausgedehnten Reisen in den Jahren 1842 und 1844 durch den östlichen Mittelmeerraum und einer durch Mittelamerika 1852 entstanden unzählige Skizzen, die er später im Atelier mittels Übertragungsskizzen als großformatige Ölgemälde ausführte.
Sattlers erste Reise in den Mittelmeerraum führte ihn von April bis Oktober 1842 über die Donau und das Schwarze Meer nach Konstantinopel und Palästina. Jeweils zwei Gemälde von Konstantinopel und Jerusalem (ein Panorama und das Innere der Grabeskirche) samt den zugehörigen Skizzen spiegeln den zeittypischen Orientalismus; Bilder der Ruinen von Baalbeck und des griechisch-orthodoxen Klosters Mar Saba im Kidrontal ergänzen die Kosmoramen heiliger Stätten der ersten Reise.
Die zweite Orientreise führte Sattler im Herbst 1844 von Triest nach Alexandria, um im Winter Ägypten und den Sinai zu besichtigen. Die Route führte ihn über Ancona, Korfu, Patras Piräus, Syra und Smyrna (heute Izmir) nach Ägypten. Die ausgestellten Bilder zeigen die Pyramiden von Gizeh, die Ruinen von Karnak, den aus der Ptolemäerzeit stammenden Tempel von Kom Ombo (noch größtenteils vom Sand verdeckt), den Isis-Tempel von Philae und den Totentempel Ramses‘ III. bei Luxor, aber auch das Katharinenkloster auf dem Sinai (das einzige christliche Kloster auf der Welt mit Kirche und Moschee), und – wie war ihm als Christen das möglich? – die heilige Stadt Mekka mit ihrer großen Moschee und der Kaaba.
Kosmoramen einer Prozession im maltesischen Valetta, von Rom und Toledo, Venedig und dem österreichischen Heiligenblut sowie von Köln (1892, schon mit den vollendeten Domtürmen), vervollständigen das Bild.
Sattler war kein großer Maler; das Zeichnerische überwiegt bei weitem die Farbe, es dominiert die akkurate, topographisch genaue Beschreibung seiner Motive in allen Einzelheiten. Immerhin vermag er bei seinen realitätsgetreuen Architekturdarstellungen durch kompositorische Zutaten wie Figurengruppen, Vegetation und Wolkengebilde auch Stimmungsmomente zu erzeugen. Das alles in Zeiten der noch jungen Kunst der Fotografie – Sattler ließ sich von diesem Medium durchaus inspirieren und besaß eine stattliche Sammlung von knapp zweitausend Fotografien.
Höhepunkt und zugleich Schlusspunkt der Ausstellung ist das Kosmorama des Tempels El Castillo bei Tulum auf der Halbinsel Yucatán, einer wichtigen Handelsstadt der Maya bis zum Eintreffen der Europäer. Es repräsentiert Sattlers dritte große Reise, die ihn in die Vereinigten Staaten, auf die Westindischen Inseln und nach Mexiko führte. Es repräsentiert aber mehr noch als die übrigen Bilder das alle Kulturen einschließende religionsgeschichtliche Interesse, das diese Ausstellung so besonders macht.
Heilige Orte. Ansichten von Hubert Sattler (1817-1904). Ausstellung im Dom-Quartier Salzburg noch bis zum 6. Januar 2025, Eintritt 10,00 Euro.
Schlagwörter: Dom-Quartier Salzburg, Hermann-Peter Eberlein, Hubert Sattler, Kosmoramen