Am 22. April 2024 jährte sich der Geburtstag des Philosophen Immanuel Kant zum 300. Mal. Das Jubiläum war und ist immer noch Anlass für zahlreiche Publikationen. Der C.H. Beck Verlag hat neben der neuen Biografie „Kant – Die Revolution des Denkens“ vom Marcus Willaschek (siehe Blättchen 24/2023) auch eine Sonderausgabe der Kant-Biografie des Philosophen Manfred Kühn beigesteuert. Kühn, der zahlreiche Arbeiten über Kant veröffentlicht hat, lehrte viele Jahre in den USA, und so erschien seine Kant-Biografie erstmals 2001 bei Cambridge University Press. Die erste deutsche Ausgabe in mehreren Auflagen erfolgte dann von 2003 bis 2004 bei C.H. Beck. Nun also eine Sonderausgabe zum Kant-Jubiläum.
Kühns Biografie bietet eine relativ umfassende und tiefgehende Studie, die sich hauptsächlich auf Leben und Wirken von Immanuel Kant konzentriert. Kant hinterließ jedoch kein Tagebuch und geizte auch in seinen Briefen mit autobiographischen Notizen. Daher sind die Informationen über sein Leben häufig spärlich, es fehlen oft Details. Heinrich Heine spottete einst: „Die Lebensgeschichte des Immanuel Kant ist schwer zu beschreiben. Denn er hatte weder Leben noch Geschichte.“ Tatsächlich war Kant präziser als eine Schweizer Uhr, mit einem streng reglementierten Tagesablauf. Er hat nie seine Heimatstadt Königsberg verlassen und hat (nach noch heutiger Ansicht) die trockensten aller philosophischen Wälzer verfasst. Kühn räumt jedoch mit der Legende von Kants ereignislosem Leben eines Universitätsprofessors gründlich auf. Gewiss lebte er in einem isolierten Teil Preußens und unternahm keine aufregenden Reisen, trotzdem gibt es im Hinblick auf Kants Privatleben für den Autor einiges zurechtzurücken.
Zunächst werden „die auftretenden Personen“ – Kants verschiedene Freunde, Kollegen, Studenten und Feinde – kurz vorgestellt, sodass man später hier immer wieder nachschlagen und sich orientieren kann. In einem längeren Prolog beleuchtet Kühn dann ausführlich die Kant-Biografien des frühen 19. Jahrhunderts. Auf diese Einleitung folgen neun chronologische Kapitel, in denen der Autor versucht, Kants Leben und die Entwicklung seiner Philosophie so weit wie möglich miteinander zu verbinden.
Wenn über Kant geschrieben wird, konzentrieren sich die meisten Autoren auf die späteren Jahre, aber Kühn liefert viele Informationen über Familie, Jugend sowie Schulbildung und zeichnet so Kants langsamen Aufstieg nach. Sehr detailliert sind die Beschreibungen seiner akademischen Karriere, des Universitätslebens, des Vorlesungsstils Kants und seiner Beziehungen zu den Studenten. Er war ein beliebter Lehrer, der vor allem mit seinen Vorlesungen über Ethik und Anthropologie die Hörsäle füllte.
In die Darstellung von Kants Alltagsleben lässt Kühn auch den intensiven Kontakt mit seinen Freunden und Kollegen, seine Interessen, seinen Zeitplan (insbesondere seinen Unterrichtsplan) und sogar seine Essgewohnheiten einfließen. Kant hatte viele Kontakte zu Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft und sozialer Stellung. So verband ihn eine lebenslange tiefe Freundschaft mit dem Staatsmann und Sozialkritiker Theodor Gottlieb von Hippel oder mit dem englischen Kaufmann Joseph Green, der ein großes Interesse an und ein ausgeprägtes Verständnis für Philosophie hatte. Kühn hebt überdies Kants „Tischgesellschaft“ aus dem Kreis des Provinzialismus heraus – ein Etikett, mit dem Kant und Königsberg oft zu Unrecht rubriziert wurden. Zwar stand Königsberg nicht im Mittelpunkt der preußischen Entwicklung des 18. Jahrhunderts, aber die Albertus-Universität der Stadt war fortschrittlicher als andere deutsche Universitäten jener Zeit.
Der Autor integriert auch viele Werke Kants in die Biografie und liefert teilweise umfangreiche Zusammenfassungen von dessen bedeutendsten Werken. Diese sind im Inhaltsverzeichnis jedoch deutlich markiert, sodass der Leser, der mehr an Kants Leben als an Details seiner Philosophie interessiert ist, die Möglichkeit hat, diese Passagen zu übergehen. (Auch wenn das, mit Verlaub, keine gute Idee wäre.)
Aus zahlreichen Mosaiksteinen fügt Kühn so ein detailliertes Bild von Immanuel Kant zusammen, das keinen isolierten Gelehrten in Königsberg zeigt sondern einen Repräsentanten der europäischen Aufklärung sowie einen eleganten und geistreichen Gentleman.
Diese Biografie, mittlerweile zum Klassiker avanciert, ist auch für Leser zugänglich, die über keinen großen philosophischen Hintergrund verfügen. Die meisten werden vielmehr überrascht sein, dass das Leben von Kant überhaupt nicht langweilig war, insbesondere in seiner ungezwungenen Art und Weise, die Manfred Kühn lebendig werden lässt.
Ergänzt wird die Ausgabe durch einige historische Abbildungen.
Manfred Kühn: Kant – Eine Biographie (aus dem Englischen von Martin Pfeiffer), Verlag C.H. Beck, München 2024, Sonderausgabe, 639 Seiten, 25,00 Euro.
Schlagwörter: Kant, Manfred Kühn, Manfred Orlick