Am 11. September 1973 stürzte der von den USA maßgeblich geförderte General Augusto Pinochet die freigewählte linke chilenische Regierung des Präsidenten Salvador Allende. Mit Allendes Freitod endete der Versuch eines demokratischen Sozialismus auf dem südamerikanischen Kontinent, der weltweit Beachtung fand. Danach etablierte Pinochet eine 17-jährige Militärdiktatur, in der bis 1990 Zehntausende politische Gegner eingesperrt, gefoltert und viele umgebracht wurden. Viele mussten das Land verlassen und lebten im Exil.
Aus Anlass des 50. Jahrestags des Putsches gegen Allende und des Beginns der Pinochet-Diktatur hat der Germanist und Lateinamerika-Kenner Günther Wessel eine Biografie über den damals gestorbenen Präsidenten vorgelegt. Salvador Guillermo Allende Gossens wurde 1908 in Valparaiso geboren. Er entstammte einer bürgerlichen Familie, studierte Medizin und erwarb 1932 seine Approbation. Bereits als Studentenführer kämpfte er gegen die Diktatur von Staatspräsident Carlos Ibañez del Campo, wurde mehrfach inhaftiert und schließlich von der Universität relegiert. Als Arzt arbeitete er bei verschiedenen staatlichen Gesundheitsorganisationen Chiles; so war er unter anderem fünf Jahre Präsident der chilenischen Ärztekammer und zehn Jahre Vorsitzender der Abteilung für Öffentliche Gesundheit der Ärztekammer. Mit anderen prominenten Linken gründete er 1933 die Sozialistische Partei (Partido Socialista) als marxistische Alternative zur Kommunistischen Partei. Dreimal kandidierte er vergeblich für das höchste Staatsamt und wurde schließlich 1970 als Kandidat der Unidad Popular zum Präsidenten Chiles gewählt.
Der Wahlsieg Allendes war für die USA-Regierung eine Katastrophe; man befürchtete, dass der „chilenische Weg“ in Süd- und Lateinamerika zum Vorbild wurde. Daraufhin hatte der US-amerikanische Geheimdienst CIA angeblich mit Genehmigung des Weißen Hauses bis 1973 in Chile mehrere Millionen Dollar strategisch eingesetzt, um die Regierung zu stürzen. Als es trotz Wirtschaftskrise keine parlamentarische Möglichkeit für eine Absetzung Allendes gab, beschlossen seine Gegner einen Militärputsch.
Zunächst berichtet Wessel von den dramatischen Ereignissen am 11. September 1973, als Allende am Morgen noch eine kurze improvisierte Rundfunkansprache hielt, ehe wenig später die Putschisten den Regierungssitz La Moneda von den Nachbargebäuden aus unter Beschuss nahmen, der gegen Mittag auch aus der Luft bombardiert wurde. Panzer wälzten das chilenische Modell eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz nieder. Als der Regierungssitz schließlich gestürmt wurde, sah Allende keine Chance mehr und beging Suizid.
Nach dieser kurzen Einleitung erzählt Wessel anhand von Dokumenten und Zeugenbefragungen chronologisch und teilweise reportagehaft nicht nur die Biografie Allendes und seiner weitverzweigten Familie, sondern gleichzeitig die Geschichte des Andenlandes vom Kampf um Unabhängigkeit bis zum politisch-kulturellen Aufbruch in den 1960er Jahren, von der Zeit der Unidad Popular, vom Militärpusch bis zum mühsamen Kampf um die Rückkehr der Demokratie und deren Entwicklung bis heute. Daher trägt die Neuerscheinung auch den Untertitel „Eine chilenische Geschichte“ und wird im Anhang mit einer mehrseitige Chronik Chiles, einer Liste der 40 ersten Maßnahmen der Unidad Popular (1970) und zahlreichen historischen Abbildungen ergänzt. Seit Dezember 2021 regiert erneut ein Linksbündnis und Verteidigungsministerin ist Maya Fernández Allende, eine Enkelin Salvador Allendes. Steht Chile also vor einem neuen Aufbruch?
Günther Wessel: Salvador Allende – Eine chilenische Geschichte, Ch. Links Verlag, Berlin 2023, 256 Seiten, 25,00 Euro.
Schlagwörter: Chile, Günther Wessel, Manfred Orlick, Militärputsch, Salvador Allende