26. Jahrgang | Nummer 18 | 28. August 2023

Carl von Ossietzky in Pankow

von Harald Bröer

Der Ortschronist Rudolf Dörrier hinterließ dem Freundeskreis der Chronik Pankow e. V. einen Teil seines Nachlasses. Darunter befindet sich eine gebundene Ausgabe der Zeitung Rund um die Panke aus den Jahren 1956 und 1957. In der ersten Septemberausgabe Nr. 13 des 2. Jahrganges1957 kann man in dem Beitrag „Krieg dem Kriege! Carl von Ossietzky 3. Oktober 1889 – 4. Mai 1938“ lesen: „Wir Anhänger des Friedens haben die Pflicht, immer wieder darauf hinzuweisen, dass der Krieg nichts Heroisches bedeutet, sondern dass er nur Schrecken und Verzweiflung über die Menschheit bringt.“

Ein Autor, der den Lebensweg Ossietzkys nachzeichnet, wurde nicht genannt. Wegen seiner Aktualität soll der Artikel wörtlich wiedergegeben werden, lediglich die Rechtschreibung ist angepasst worden.

 

„Als Sohn einer Mittelstandsfamilie in Hamburg geboren, trat Ossietzky schon 1913 durch antimilitaristische Aufsätze in fortschrittlichen Zeitschriften hervor und wurde wegen seiner Angriffe auf den damals in Elsaß-Lothringen Kommandierenden General zu Gefängnis verurteilt. Im ersten Weltkrieg lernte er als Soldat die Schrecken des Krieges kennen. Nach einer kurzfristigen Übergangszeit in den Reihen der pazifistischen Bewegung erkannte er, dass die Losung: ‘Nie wieder Krieg!’ durch die bessere Einsicht ersetzt werden müsse, die ihren Ausdruck fand in der Parole: ‘Krieg dem Kriege!’.

Er war in den zwanziger Jahren als Mitarbeiter linksgerichteter Zeitungen und Zeitschriften in Berlin tätig. Nach dem Tode des Begründers der ‘Weltbühne’, Siegfried Jacobssohn, übernahm Carl v. Ossietzky 1927 die Leitung der streitbaren Wochenzeitschrift und führte in ihr einen unablässigen, mutigen Kampf gegen den neu erwachenden Revanche- und kriegslüsternen deutschen Imperialismus.

Man konstruierte Landesverratsprozesse gegen ihn und verurteilte ihn zu 1½ Jahren Gefängnis. Er hätte fliehen können, aber er lehnte es ab mit den Worten: ‘Wenn man den verseuchten Geist eines Landes wirkungsvoll bekämpfen will, muss man dessen allgemeines Schicksal teilen.’

In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er erneut verhaftet und Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern misshandelt. Die Welt erkannte in ihm einen echten Vorkämpfer für den Frieden, und nach einer mächtigen internationalen Solidaritätskampagne wurde ihm der Nobelpreis für den Frieden im Jahre 1936 verliehen. Hitler berief daraufhin seinen ‘Reichstag’ ein, um die Annahme des Nobelpreises für jeden Deutschen künftighin zu verbieten. Ossietzky wurde um den Preis betrogen. Er blieb weiterhin ein Gefangener der Nazis und starb am 4. Mai 1938 unter polizeilicher Bewachung im Krankenhaus.

Es ist kennzeichnend für Carl v. Ossietzky, dass er Leben und Werk, Wort und Tat zur vollkommenen Übereinstimmung gebracht hat, ein höchst seltenes, ein köstliches und beispielhaftes Phänomen in jener Epoche, in der er lebte und litt, einer Epoche, in der Opportunismus als Realpolitik, Feigheit als Vernunft, Verrat als Patriotismus und die schmierige Lüge als Staatskunst ausgeschrieben wurden.

In dem Artikel ‘Rechenschaft’ – erschienen in seiner ‘Weltbühne’ am 10. Mai 1932, dem Tage, an dem er die ihm vom höchsten Gericht der Weimarer Republik zudiktierte achtzehnmonatige Gefängnisstrafe wegen ‘Landesverrat’ anzutreten hatte – schrieb Ossietzky: ‘Wer in den moralisch trübsten Stunden seines Volkes zu opponieren wagt, wird immer bezichtigt werden, das Nationalgefühl verletzt zu haben.’ Er schrieb das nieder, wie mit einem Achselzucken über etwas Bekanntes und Unabänderliches. Er wusste, dass andere vor ihm, die nach ihrem Tode als die nobelsten Repräsentanten ihrer Nation gefeiert wurden, zu ihrer Zeit von ihrer Mitwelt als ‘Vaterlandsfeinde’ verschrien worden waren, und er wusste wohl auch, dass er nicht der letzte in der Reihe der Männer sein würde, denen es aufgegeben war, sich im Namen des Friedens, der Gerechtigkeit und der Freiheit den nationalistisch verhetzten Massen ihres Landes entgegenzustellen.

Ossietzky kämpfte für die Freiheit seines Volkes. Aber er sah die Freiheit seines Volkes nicht im Parademarsch, nicht in der schrankenlosen Ausbeutung, nicht in der Ermordung Tausender und Misshandlung Hunderttausender der Besten seines Volkes; auch nicht in der Unterdrückung anderer Völker. Er wollte die Freiheit seines Volkes von allen Bedrückern, den äußeren ebensowohl wie den inneren. Er hatte erkannt, dass ein Volk nur dann wahrhaft frei sein kann, wenn es sich seiner inneren Bedrücker entledigt hat. Gerade dadurch hat er ein großes Beispiel gegeben, was Vaterlandsliebe in Wahrheit meint.

Ossietzky ging ins Gefängnis und wurde Moorsoldat, weil er seinem Volke, das er liebte, den Frieden erhalten wollte.“

 

Nahe dem Schloss in Pankow-Niederschönhausen befindet sich die Ossietzkystraße, 1948 nach ihm benannt. Am 2. Oktober 1989 wurde auf einem Grünstreifen vor dem Wohnhaus in der Ossietzkystraße 25, in dem seine Frau Maud bis zu ihrem Tod lebte, ein Denkmal für Carl von Ossietzky aufgestellt, das der Bildhauer Klaus Wolf Simon im Auftrag des Bezirksamtes Pankow erschaffen hat. Am Wohnhaus hinter dem Denkmal befand sich eine Gedenktafel. Diese ist nicht zu sehen, scheinbar verschwunden. Nach Angaben einer Hausbewohnerin ist die Tafel vorhanden, allerdings befindet sie sich unter der Fassadendämmung. Eine andere Legende besagt, die Tafel sei durch die Wohnungsbaugesellschaft abgebaut worden und verschwunden. Diese Tafel war von Maud Ossietzky mit ihrem Umzug von der Wisbyer Straße in die Ossietzkystraße mitgenommen worden. Eine weitere Gedenktafel befindet sich an einem Zaun in der Mittelstraße in Pankow. Dort befand sich bis zum Zweiten Weltkrieg das Nordend-Krankenhaus in Niederschönhausen, das Privatsanatorium der jüdischen Ärzte Wilhelm und Hans Dosquet (Vater und Sohn), in dem Carl von Ossietzky starb. Diese Tafel wurde 2009 auf Antrag des Freundeskreises der Chronik Pankow angebracht. Dafür gilt insbesondere der GASAG und dem Grundstückeigentümer der Dank. Die Tafel wurde schon Opfer von Vandalismus, konnte aber durch Spenden wieder erneuert werden.