von Klaus Kinner
Vor drei Jahren starb im Alter von einhundert Jahren Günter Reimann. Seit 1923 KPD-Mitglied und Mitglied der Kommunistischen Studentenfraktion (Kostufra) an der Berliner Universität und – als Vorgänger von Jürgen Kuczynski – Wirtschaftsredakteur der Roten Fahne, entfremdete sich Reimann der KPD und gehörte 1933 einer Widerstandsgruppe oppositioneller Sozialdemokraten und Kommunisten an. Aus dieser Zeit rührt seine Freundschaft mit Dietrich Wentz, einem – wie Günter Reimann schreibt – äußerst begabten Studenten, der führend in der Kostufra tätig war. Reimann konnte in die USA flüchten und kam dort mit einem Wirtschaftsdienst zu Reichtum.
In der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen entstand Mitte der neunziger Jahre die Idee, an ihr Mitglied Reimann die Bitte heranzutragen, einen Wissenschaftspreis zu stiften. Reimann willigte ein und schlug vor, ihn nach seinem Jugendfreund Dietrich Wentz zu benennen.
Frau Professor Gerhild Schwendler – eine ausgewiesene Archivarin – stellte akribische Recherchen über Wentz an, erlangte aber über die uns interessierende Zeit ab 1933 lediglich die Mitteilung des Standesamtes Clausthal-Zellerfeld über den Termin der Eheschließung im Jahre 1939 und den Tod am 28. Juli 1977 in Frankfurt am Main. Der Vorstand der Stiftung verständigte sich angesichts dieser unsicheren Quellenlage, die zumindest die Annahme Günter Reimanns, Dietrich Wentz sei von den Nazis ermordet worden, ausschloß und seinen Lebensweg ab 1933 völlig offenließ, im Einvernehmen mit dem Stifter von der Benennung des Wissenschaftspreises mit diesem Namen Abstand zu nehmen.
Zur Buchmesse in Leipzig im März 2008 präsentierte der Karl Dietz Verlag Berlin einen Band von Siegfried Grundmann: Der Geheimapparat der KPD im Visier der Gestapo – Das BB-Ressort. Funktionäre, Beamte, Spitzel und Spione. Ich war gebeten worden, in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen in Leipzig die Buchvorstellung zu moderieren. In Vorbereitung auf die Veranstaltung stieß ich bei Grundmann auch auf den Namen Dietrich Wentz. Im Rückgriff auf die inzwischen über ein Dutzend Jahre zurückliegenden Recherchen wurde aus der Vermutung Realität:
Der von uns in Auge gefaßte Namensgeber des Wissenschaftspreises der Stiftung war ein hocheffizienter Gestapo-Spitzel, der über Jahre hinweg besonders die Sicherheitsdienste der KPD für die Gestapo ausspioniert hatte.
Wentz erschloß der Gestapo in umfangreichen Berichten sein Wissen über Interna der KPD. 1936 fertigte er ein Verzeichnis von Komintern-Funktionären und Kommunisten an, die er während seiner Tätigkeit als Leiter der Kostufra kennengelernt hatte. Wentz lieferte nicht nur Namen, sondern – was für die Gestapo wichtiger war – Kurzporträts, die für weitere Ermittlungen von hoher Bedeutung waren. Dabei scheute er sich nicht, üble antisemitische Klischees bei der Charakterisierung seiner früheren Freunde und Genossen zu verwenden.
In der Bewerbung um eine Assistentenstelle beim Staatswissenschaftlichen Seminar der Universität Marburg 1937 gab Wentz auf die Anfrage hinsichtlich der Zugehörigkeit zur KPD an: »Zur Antwort auf diese Frage bin ich vom Geheimen Staatspolizeiamt, Berlin, Prinz Albrechtstr. 8 Zimmer 322 als dem zuständigen Bearbeiter ausdrücklich ermächtigt zu erklären, daß diese Zugehörigkeit vonseiten der Geh. Staatspolizei als unbedenklich betrachtet werde, zumal ich sie seit 1931 durch nationalsozialistische Betätigung wieder wettgemacht habe.« Der ordentliche Professor der Volkswirtschaftslehre und Direktor des Staatswissenschaftlichen Seminars Dr. Laum bat die Gestapo Berlin um die Bestätigung der politischen Unbedenklichkeit von Wentz.
Die Gestapo bestätigte umgehend, daß »gegen die Einstellung des W. als Assistent in politischer Hinsicht keinerlei Bedenken« bestehen.
Über die weitere politische Vita von Wentz sagen die bisher bekannten Quellen nichts aus.
Soviel scheint jedoch gesichert zu sein: Dietrich Wentz konvertierte seit Anfang der dreißiger Jahre zum Nationalsozialismus, verheimlichte das vor seinen kommunistischen Mitstreitern und Freunden, diente sich ab 1933 als V-Mann Weiß freiwillig der Gestapo an und erkaufte sich durch seinen Verrat die Absolution von seinen kommunistischen »Jugendsünden«.
Die Tiefe des Falls von Wentz ist nur zu ermessen im Vergleich zu den zehntausenden Kommunisten, die dem Hitlerregime widerstanden, ja selbst zu denen, die unter der Folter nicht widerstanden. Es ist unserem Vereinsfreund Günter Reimann erspart geblieben, die Enttäuschung über den Verrat seines Jugendfreundes mit ins Grab zu nehmen.
Sind aus dieser Jahrhundertgeschichte »Lehren« abzuleiten? Nein. Vielleicht aber begreifen wir diese Erfahrung als Mahnung, solche Schicksale und ihre Weiterungen offen anzunehmen und mit ihnen umzugehen. Der kommunistische Widerstand gebar Helden und Märtyrer. Er war jedoch auch der Kontrast zu Schwäche und Verrat.
Schlagwörter: Dietrich Wentz, Günter Reimann, Klaus Kinner, Kostufra