Nicht erst seit dem am 16. November verkündeten endgültigen Urteil des Landesverfassungsgerichts zur Wiederholung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen befinden sich die Berliner Parteien im Wahlkampfmodus. Auch innerhalb der „rot-grün-roten Koalition“, deren Fortbestand nach dem erneuten Wahlgang keineswegs sicher ist, ist der Ton rauer geworden und mit Kritik an den jeweils anderen Koalitionspartnern wird ebensowenig gespart, wie an der Herausstellung der eigenen „Erfolge“.
Die SPD will am 12. Februar unbedingt ihre Position als stärkste Partei verteidigen. Sie wird erneut mit Franziska Giffey als Spitzenkandidatin ins Rennen gehen, obwohl die Popularität der Regierenden Bürgermeisterin sowohl in der Gesamtbevölkerung als auch in der eigenen Partei deutlich abgenommen hat. Das zeigte sich deutlich im Juni 2022, als Giffey bei der Neuwahl zur Landesvorsitzenden lediglich 58,9 Prozent der Stimmen erhielt – im Vergleich zu 89 Prozent bei ihrer erstmaligen Wahl im November 2021 eine ausgesprochen herbe Klatsche. Doch Giffey hat den Nimbus der erfolgreichen Wahlkämpferin, da sie bei den nunmehr annullierten Abgeordnetenhauswahlen im September 2021 ihre Partei aus schier aussichtsloser Position an die Spitze hievte. Und daher gab es in der Partei wohl niemanden, der ihre erneute Spitzenkandidatur in Frage stellte.
Basis des Wahlkampfes soll der auf dem Parteitag verabschiedete Leitantrag mit dem Titel „Wir bringen Berlin gut und solidarisch durch die Krise“ sein. Hervorgehoben werden dabei die vielfältigen Unterstützungsprogramme für Privathaushalte und Unternehmen, unter dem Motto „Niemand wird allein gelassen, wir bleiben beieinander“. Verwiesen wird auf bereits erzielte Erfolge auf diesem Weg, die die SPD vor allem ihrem eigenen Wirken zuschreibt. Dazu gehören das verbilligte Nahverkehrsticket für 29 Euro sowie Entlastungsprogramme auf Landesebene, die die Bundesprogramme ergänzen sollen.
Doch hauptsächlich sind es Allgemeinplätze, die auch schon bei den letzten Wahlen unter das Volk gebracht wurden und angesichts der bescheidenen Bilanz des Senats mittlerweile seltsam realitätsfern wirken. „Wir investieren in Berlin in bezahlbaren Wohnraum, in Bildung, in eine moderne Infrastruktur, in klimagerechte Mobilität und in Energieeffizienzmaßnahmen. Wir werden den Neustart der Berliner Wirtschaft für gute Arbeitsplätze weiter vorantreiben“, heißt es da. Dagegen liest man in dem Leitantrag nichts über die groß angekündigte Modernisierung und Effektivierung der Verwaltung und den erbarmungswürdigen Zustand der Bildungssysteme und der klinischen Gesundheitsversorgung.
Alles Politikfelder, die für die Stadt zwar essentiell sind, aber bei denen die SPD schlicht nichts vorzuweisen hat. Man setzt bei der SPD offenbar alles auf den „Landesmutti-Faktor“, um einen Absturz in der Wählergunst zu verhindern. Wie bereits im vergangenen Jahr zieht die SPD ohne Koalitionsaussage in die Wiederholungswahl, die Präferenz der Spitzenkandidatin für eine „bürgerliche“ Koalition ist aber allgemein bekannt.
Bei den Grünen ist man wild entschlossen, nach dem relativ enttäuschenden Abschneiden im September 2021 diesmal voll auf Sieg zu setzen. Die damals nur wenig bekannte Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hat das Jahr genutzt, um ein paar „Duftmarken“ zu setzen, auch in Abgrenzung zu Giffey, mit der sie sich einige mediale Scharmützel lieferte, etwa um die Verkehrsberuhigung in der Friedrichstraße. Auf der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen im November übte Jarasch deutliche Kritik am Koalitionspartner SPD, vor allem an der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey und dem jetzigen Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel, der bei der letzten Wahl noch Innensenator war und somit die politische und administrative Verantwortung für die Pannenserie rund um die Wahlen trägt. „Eins geht nicht: Erfolge für sich allein reklamieren und sich gleichzeitig wegducken, wenn die Stadt nicht funktioniert, wie sie soll“, so Jarasch vor den jubelnden Delegierten.
Punkten wollen die Grünen vor allem mit ihren ökologischen und Verkehrs-Themen und der Forderung nach einer Verwaltungsreform, mit der unter anderem die Bildung „politischer Bezirksämter“ durch Koalitionen möglich wäre. Ansonsten wirken die Wahlaussagen wie ein uninspiriertes Remake des Wahlprogramms von 2021. Wohnungs- und sozialpolitisch sind kaum neue Akzente zu erkennen, auch nicht in Abgrenzung zu den Koalitionspartnern. Jarasch betonte, dass sie die jetzige Koalition gerne fortsetzen würde, allerdings unter ihrer Führung. Aber je nach Wahlergebnis sind die Grünen auch für andere Konstellationen offen, auch mit der CDU.
„Links wirkt“ ist einer der aktuellen Wahlslogans der Linken, denen Stimmenverluste und das Ende der Regierungsbeteiligung drohen. Sie loben in ihren ersten Veröffentlichungen zur Wahlwiederholung vor allem die gemeinsamen Erfolge der Koalition und die vermeintlich entscheidende Rolle ihrer Partei dabei: „Mit großer Tatkraft haben wir in diesem Winter über zwei Milliarden Euro in die Hand genommen, um unsere Stadt sicher durch die Krisen zu steuern. Wir haben schnell ein 29-Euro-Ticket für Bus und Bahn eingeführt und ein Härtefallfonds für Strom- und Gassperren eingerichtet. Berlinerinnen und Berliner, die jetzt schon kaum über die Runden kommen, können jetzt sogar mit einem 9-Euro-Ticket Bus und Bahn nutzen. Soziale Einrichtungen in den Bezirken […] schützen wir vor steigenden Energiekosten und verbinden sie in einem berlinweiten ‚Netzwerk der Wärme‘. Niemand soll in schwerer Zeit einsam sein oder im Kalten und Dunklen sitzen. Wir packen konkret an und entlasten die, die es in der Krise am nötigsten brauchen.“
Das alles hätte auch Giffey sagen können. Der vormalige Wahlkampfschlager der Linken, der Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne und dessen rasche Umsetzung, spielt keine tragende Rolle mehr, denn er wurde mit Zustimmung der Partei in eine Kommission ausgelagert, die das irgendwie „prüfen“ soll. Dieses Einknicken könnte die Partei, die zudem auf Bundesebene nur noch als heillos zerrütteter Haufen wahrgenommen wird, etliche Stimmen kosten. Auf eine mögliche Rolle als soziale Oppositionspartei verschwendet man bei den Berliner Linken jedenfalls keinen Gedanken. „Wir werden weiter Verantwortung übernehmen und als Berliner Linke weiter für das Wesentliche eintreten. Für eine soziale Stadt der Menschen, nicht der Profite“, heißt es eher „staatstragend“ und vor allem regierungsfixiert.
Gründlich „aufräumen“ und einen „Neustart“ ermöglichen will dagegen die CDU, die trotz erheblichen Zweifeln an dessen Wahlkampftauglichkeit erneut mit Kai Wegner als Spitzenkandidat ins Rennen geht. Der Leitantrag zum kommenden Wahlkampf enthält ebenfalls wenig Neues und vor allem wenig Konkretes. In seiner Rede kündigte Wegner unter anderem an, Verwaltungsreform und Digitalisierung zur „Chefsache“ zu machen. Nötig sei auch eine Verkehrspolitik, in der auch das Auto seinen Platz habe, denn „wir lassen uns das Auto auch in Berlin nicht verbieten“. Auch das CDU-Kernthema innere Sicherheit wird wie gewohnt bespielt. Mit ihm, so Wegner, werde es „Wohlfühloasen für Clankriminelle nicht geben“. Rückenwind hat die CDU durch den Bundestrend und die sinkende Popularität der „rot-grün-roten“ Berliner Koalition. Für eine künftige Regierungsbildung schloss Wegner lediglich eine Zusammenarbeit mit den Linken und mit der AfD aus.
Letztere wird voraussichtlich kräftig zulegen, vor allem in ihren Ostberliner Hochburgen. Die Rechtspopulisten profitieren unter anderem davon, dass eine der wichtigsten Ursachen für die aktuelle Krise – die desaströse Sanktions- und Embargopolitik der Bundesregierung gegen Russland – von den anderen Parteien quasi tabuisiert wird, und das gilt leider auch für die Berliner Linke.
Zu erwarten ist also ein relativ inhaltsloser Wahlkampf, der mehr von allgemeinen Stimmungen als von stadtpolitischen Themen geprägt sein wird. Der Ausgang ist ungewiss, die künftige Regierungskoalition auch. In einigen Bezirken könnte es relevante Verschiebungen geben, wobei die grüne Dominanz im Innenstadtbereich wohl unangetastet bleiben wird. Und die soziale Opposition bewegt sich derzeit knapp an der allgemeinen Wahrnehmungsgrenze. Was sich hoffentlich in absehbarer Zeit ändern wird
MieterEcho 429/Januar 2023. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors. (Auf die Widergabe der Zwischenüberschriften wurde verzichtet.) Die zitierte Ausgabe des MieterEcho enthält als Themenschwerpunkt Beiträge, die sich kritisch mit stadtentwicklungspolitischen Entwicklungen in Berlin auseinandersetzen, die in ihrer Problematik nicht nur die Hauptstadt betreffen.
Schlagwörter: Abgeordnetenhauswahlen, Berliner Linke, Franziska Giffey, Rainer Balcerowiak