Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 18. Februar 2008, Heft 4

Otto Nuschke

von Günter Wirth

Als Journalist, vor allem in der Nachfolge Franz Mehrings in der Berliner Volks-Zeitung, und als Parlamentarier der Deutschen Demokratischen Partei, in der Nationalversammlung und im Preußischen Landtag, war Otto Nuschke, der am 23. Februar vor 125 Jahren geboren wurde, der Vertreter eines militanten Republikanismus – gerichtet gegen alle Erscheinungsformen des Nationalismus, des Militarismus und des Antisemitismus. Noch im Februar 1933 warnte er im Preußischen Landtag vor dem rassekämpferischen Nationalsozialismus. So war es nur konsequent, wenn Otto Nuschke, mehrfach verhaftet, in die innere Emigration ging, mit Kontakten zu antifaschistischen bürgerlichen Kreisen und jüdischen Freunden zur Ausreise verhelfend (etwa Walter Waxmann und seiner Frau, der Tochter von Leo Fall, nach Schweden).

Sicherlich war Otto Nuschke im Sinne seines Lehrers Friedrich Naumann, dem er eine Schrift widmete, offen für die gerechte Lösung sozialer Probleme. Daß er es dann ab 1948 als Vorsitzender der CDU in der SBZ/DDR mit Entwicklungen zu tun bekam, die zum Aufbau eines sozialistischen Staates führten, mußte ihm zunächst fremd sein. Wenn er nach der Krise um Jakob Kaiser und seinen Freund Ernst Lemmer den Vorsitz de CDU übernahm, so hatte das eher mit Engagement für den Aufbau einer Friedensordnung in Deutschland und Europa nach den verbrecherischen Abenteuern des Naziregimes zu tun, und da war für den frühen und energischen Sympathisanten der Rapallo-Politik schnell klar, daß die Vorschläge der Siegermacht UdSSR hierfür die realistischsten waren. Vor allem auch hoffte er, daß auf dieser Linie die von ihm sehnsüchtig erstrebte deutsche Einheit erreicht werden konnte.

Unter dem Eindruck einer breiten Strömung in der DDR-CDU, zumal unter der damaligen jungen Generation, gewann Otto Nuschke denn doch ein neues, ein sachliches Verhältnis zu sozialistischen Optionen, fern aller Teleologie und dogmatischer Lehre, vor allem aber mit großen Problemen, die »Einheitsliste« für die Wahlen 1950 akzeptieren zu sollen, und mit ebenso großen hinsichtlich der Rechtssicherheit (unter anderem bei den sogenannten Waldheimer Prozessen). Einen seiner regelmäßigen Sonntagsartikel in der Neuen Zeit, die er sonnabends zu diktieren pflegte (wenn nötig direkt in die Setzmaschine in der Druckerei), titelte er: »Rechtssicherheit ist die beste Staatssicherheit«.

Überhaupt fiel Otto Nuschke in seinem gesamten Auftreten, nicht zuletzt in seinen zumeist frei gehaltenen und mit klassischen Zitat instrumentierten Reden (zum Entsetzen Walter Ulbrichts auch in der Volkskammer) als eine singuläre Gestalt in der politischen Nomenklatura der DDR auf (wie auf andere Weise Johannes Dieckmann). Unvergeßlich – und in der Zwischenzeit gerade auch durch Historiker ohne DDR-Vergangenheit in wissenschaftlichen Studien, gestützt auf die nach der Wende geöffneten Archive, eindrucksvoll bestätigt – ist Otto Nuschkes unermüdliches Eintreten für ein gutes und geordnetes Verhältnis von Kirche und Staat in der DDR, dies etwa als Stellvertretender Ministerpräsident, dem die Hauptabteilung »Verbindung zu den Kirchen« unterstand, wie als CDU-Vorsitzender. Vor allem ging es ihm darum, die Glaubens- und Gewissensfreiheit für die christlichen Staatsbürger zu sichern. In seinem Hauptreferat auf dem 8. Parteitag der CDU im Herbst 1956 in Weimar, ein Jahr vor seinem Tod, fand er – alles andere als eine »Blockflöte« – eine damals in kirchlichen Kreisen stark beachtete und von vielen Christen in ihrem Alltag zitierte Formulierung, die man gewissermaßen als sein Ceterum censo (von heute aus gesehen: als sein Testament für uns) ansehen konnte und an der sich damals, in der Reaktion auf sie, die Geister schieden:

»Wahre Toleranz ist nur möglich, wenn die weltanschauliche Auseinandersetzung sich in menschlich zuträglichen Formen vollzieht. Auch der Marxismus muß bedenken, daß jeder Zwang und Druck das Gegenteil des gewünschten Erfolges bewirkt. Das physikalische Gesetz des Pendels gilt auch im geistigen Raum. Je schärfer die Aktion, desto stärker die Reaktion … Aber der Staat nähme Schaden an einer solchen Form der Auseinandersetzung.«