25. Jahrgang | Nummer 8 | 11. April 2022

Für eine andere Traditionspflege – Helmut Donat

von Felix von Bothmer

Bücher sind seine Leidenschaft. Schon als Kind hat er geradezu verschlungen, was ihm unter die Augen kam. Bücher selbst auf den Markt zu bringen, daran hat er nicht mal im Traum gedacht. Und doch ist er Verleger geworden: Helmut Donat, der am 7. April seinen 75. Geburtstag feiert. „Nun bleibe ich erst recht im Unruhestand“, feixt er. Und wer ihn nur ein bisschen kennt, nimmt ihm ab, dass er nicht vorhat zu rasten und schon gar nicht zu rosten. Mit geistigen Stoffen umzugehen und auf Menschen und Autoren (ob lebend oder nicht mehr lebend) zu treffen, die etwas zu sagen haben, sei seine Lieblingsbeschäftigung und seine eigentliche Berufung.

Helmut Donat, der sich seit fünfzig Jahren in Bremen zu Hause fühlt, stammt aus ärmlichen Verhältnissen und war als Kind häufig krank. Seine Großmutter und Mutter flüchteten vor der Roten Armee 1944/45 in den Westen, wo sie zwar nicht vom Regen in die Traufe kamen, gern gesehen waren sie aber nicht. Die Fremdenfeindlichkeit ging nicht spurlos an dem Flüchtlingskind vorüber. Die am Rande des Dorfes stationierten britischen Besatzungssoldaten hat er freundlicher in Erinnerung als die einheimische Bevölkerung. „Da konnte man nicht heimisch werden! Eigentlich schade, aber es hat mich vor einem wie immer gearteten Lokalpatriotismus bewahrt!“ Die Bauernkinder durften nicht mit den „Schmuddelkindern“ spielen.

Früh fragte Donat sich, wie es in Deutschland zu 1933 und allem, was danach geschehen ist, kommen konnte. Antworten erhielt er nicht, weder im Elternhaus noch in der Schule. Er begann, sich selbst zu informieren, traf auf Menschen, die schon mehr wussten und ihre Einsichten und Kenntnisse weitergaben. Das Studium förderte sein Bestreben, mit dem Land und der verdrängten Vergangenheit zu Rande zu kommen. Regelrechte Bauklötze staunte er, als er feststellen musste, dass es lange vor 1933 Persönlichkeiten gab, die vor den Nazis und dem weiteren Weg in die Barbarei warnten. Ende der 1970er Jahre entdeckte Donat den Kolonial- und Marineoffizier Hans Paasche, den rechtsradikal gesinnte Reichswehrsoldaten im Mai 1920 wegen seiner Wandlung vom Militär zum Ankläger des Militarismus ermordeten. Für sein Publikationsvorhaben über den streitbaren Pazifisten fand Donat jedoch keinen Verlag. Er machte aus der Not eine Tugend, druckte das Buch selbst, und heute sagt er: „Hans Paasche hat mich zum Verleger gemacht!“ Seither erinnert er an vergessene oder vergessen gemachte kritische Deutsche und NS-Gegner, um ihre Einsichten wieder in den historisch-politischen Diskurs der Gegenwart einzubringen. Was ihn dazu antreibt? „Andere tun es nicht. So ist mir diese Aufgabe zugefallen. Ich habe sie angenommen. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Außer: Ich möchte nicht schuldig werden!“

Es ist erstaunlich, was Donat, der nicht nur als Verleger, sondern auch als Autor und Historiker tätig ist, wieder sichtbar gemacht und mit seinen geringen Mitteln erreicht hat. 1990 erhielt er den Kultur- und Friedenspreis der Bremer Villa Ichon, 1995 den Carl von Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg und schließlich den Preis der Hamburger Carl-Töpfer-Stiftung für das „Plattdeutsche Buch des Jahres 2011“, in dem er die Briefe des NS-Gegners Heinrich Buchholz aus dem KZ und Zuchthaus veröffentlichte.

„Ja“, sagt er, „man hat die besten Traditionen der jüngeren deutschen Geschichte auf den ‚Misthaufen der Geschichte‘ geworfen. Statt sich der Menschen zu erinnern, die – wie Friedrich Wilhelm Foerster, Theodor Lessing, Oskar Stillich und viele andere – vor 1933 gegen das Bündnis von ‚Hakenkreuz und Stahlhelm‘ gekämpft haben, offeriert man den Nachgeborenen‚ ‚Vorbilder‘ und ‚Widerständler‘, die – wie viele der Männer des 20. Juli 1944 – die Weimarer Republik zerstören halfen, den NS-Staat mit aufbauten und die erst oppositionelle Haltungen einnahmen, als es auf dem ‚Feld der Ehre‘ nichts mehr zu gewinnen gab. Solche Identitätsstiftung macht Mittäter und Mitläufer zu Idolen – und deren Gegner zu ‚Störenfrieden‘.“ Offenbar hat Donat damit einen Nerv getroffen. Man darf gespannt sein, was und wen er noch zu Tage fördert. Danach gefragt, weicht er aus: „Lassen Sie sich überraschen. Es wird nicht mehr lange dauern …“ Glückwunsch für eine ungewöhnliche Lebensleistung. Und: Bitte weitermachen!

Felix von Bothmer ist Publizist und lebt in Bremen.