24. Jahrgang | Nummer 20 | 27. September 2021

Antworten

Ronald Paris, aufrechter Bildgewaltiger – „Unterwegsbleiben hält jung und lebendig“, sagten Sie einmal in einem Gespräch mit der nd-Redakteurin Karlen Vesper. Hans-Dieter Schütt nannte Sie einmal „Welt-Bürger aus der einstigen politischen Provinz“. Am 17. September ging Ihre Lebensreise zu Ende. Uns hat die Nachricht darüber sehr betroffen gemacht. Aber wir wissen, dass Ihr faszinierend-sperriges Werk, das sich partout in keine Schublade pressen lässt, bleiben wird. Es ist von Hoffnung getragen: „Alle Verhältnisse sind nur Verhältnisse. Sie sind von Menschen gemacht und können von Menschen verändert werden. Ich glaube daran, dass die Welt freundlicher gestaltet werden kann.“

Apollon ließ Sie immer kalt – der geschundene Marsyas war wichtig für Sie. Wir teilen diese Sicht.

Mark Milley, US-Generalstabschef – Sie sollen nach der Abwahl Donald Trumps und nicht zuletzt angesichts von dessen Aufruf an seine Anhänger, das Kapitol zu stürmen, dafür gesorgt haben, dass Trump als militärischer Oberbefehlshaber keinen uneingeschränkten Zugriff auf die US-Atomwaffensysteme mehr hatte, und sich überdies mit einem hohen chinesischen Militär in Verbindung gesetzt haben, um diesem zu versichern, dass es auch in der Überganszeit von Trump zu Biden zu keinen militärischen Aktionen der USA gegen Peking kommen werde. Sie wollten so weitere irrationale Übersprunghandlungen Ihres Vorgesetzten verhindern.

Ihre Aktivitäten haben der Welt womöglich Schlimmes erspart, erfüllten nach amerikanischem Recht allerdings zugleich den Tatbestand des Hochverrats. Parteigänger Trumps haben deswegen bereits Ihre Aburteilung gefordert.

Dazu wird es nicht kommen, da der neue Oberbefehlshaber Ihnen bereits sein uneingeschränktes Vertrauen ausgesprochen hat. Da sind wir mit Joe Biden ausnahmsweise mal einer Meinung. Wir hätten auch nichts dagegen, wenn er Sie umgehend mit der Medal of Honor dekorierte, dem höchsten US-Militärorden.

Jens Stoltenberg, NATO-Generalsekretär – Die NATO habe „eine umfassende Untersuchung“ zum desaströs gescheiterten Afghanistaneinsatz eingeleitet, erklärten Sie dieser Tage. Und: „Wir müssen Lehren daraus ziehen.“ Eine hatten Sie gleich parat: Militäreinsätze seien „grundsätzlich das letzte Mittel, manchmal aber doch die einzig vernünftige Antwort“.

He? Vernünftige Antwort?

Wie vor 20 Jahren in Afghanistan? Oder danach im Irak? Oder später in Libyen? Oder derzeit in Mali? Oder viel früher in Somalia? Oder irgendwann mal im Kosovo, wo auch nach Jahrzehnten immer noch Truppen aus NATO-Ländern eine Implosion des vom Westen in die Welt gesetzten Quasi-Staates verhindern müssen?

Zu jemandem, der ob solcher Bilanz Militärinterventionen nach wie vor als eine „einzig vernünftige Antwort“ betrachtet, zum dem fällt uns an sich nichts mehr ein. Nur dieser Kalauer: Doof bleibt doof, da helfen keine Pillen!

Dr. Klaus Lederer, Mensch für alles – Die vorläufigen Endergebnisse sowohl für die Wahl zum Deutschen Bundestag als auch zum Abgeordnetenhaus von Berlin werden erst nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe veröffentlicht. Daher wissen wir nicht, ob Sie nicht doch inzwischen designierter Regierender Bürgermeister von Berlin oder gar Anwärter auf einen Ministerposten im künftigen Bundeskabinett geworden sind. Umfrageergebnisse – das wird nicht zuletzt auch Ihre Partei nie müde zu betonen – sind schließlich keine Wahlergebnisse. Im ersteren Fall dürfte klar sein, was die Stadt erwartet: mehr Klubs für alle! Bei letzterem haben Sie zumindest vor wenigen Tagen im SPIEGEL eine sanfte Andeutung gemacht: Sie geißelten die Enthaltung der Bundestagsfraktion der Linkspartei bei der Abstimmung über die nachträgliche Sanktionierung der Evakuierungsflüge der Bundeswehr aus Kabul. Die fanden auch wir grenzwertig. Aber Sie verbanden diese Kritik mit einer sehr grundsätzlichen Aussage zur Militärpolitik Ihrer Partei. Diese müsse über „eine sehr holzschnittartige, quasi pazifistische Friedenspolitik hinauskommen“. Wir lassen einmal beiseite, dass Sie ein sehr merkwürdiges Pazifismusverständnis haben. Setzten Sie sich mit Ihrer Haltung durch, käme dies einem Paradigmenwechsel gleich. DIE LINKE hätte sich damit endgültig aus der deutschen Friedensbewegung verabschiedet. Der „Rest“ wäre nur noch Ergebnis der diversen Koalitionsalgorithmen. Worauf spekulieren Sie eigentlich? Bundesverteidigungsministerium oder Auswärtiges Amt?

Franziskus I., römischer Oberhirte – In hiesigen Medien sind Sie heftig dafür gescholten worden, dass Sie das Rücktrittsgesuch des Hamburger Erzbischofs Heße nicht angenommen haben. Dem waren in einer von Ihnen anberaumten Untersuchung zu seinem Agieren im Zusammenhang mit Vorwürfen sexuellen Missbrauchs durch katholische Amtsträger elf Pflichtversäumnisse nachgewiesen worden. Es soll Betroffene ignoriert und Beschuldigte umgehend wieder in der Seelsorge eingesetzt sowie sich in vielem nicht an die Vorschriften des Kirchenrechts gehalten haben. Sie begründeten Ihre Ablehnung des Rücktrittsgesuchs jetzt damit, Heße habe die ihm nachgewiesenen Fehler ja nicht in der Absicht begangen, Missbrauch zu vertuschen.

Wow!

Soviel Chuzpe muss man wirklich erst mal haben!

Andererseits – welche Alternative hätten Sie denn gehabt? Denn wenn der erste Dominostein fällt, ist doch jedem klar, was passiert: Würden Sie auch nur moralische und rechtliche Mindeststandards an das Handeln Ihrer nachgeordneten Amtsträger gegenüber Beschuldigten und Betroffenen in Sachen sexuellen Fehlverhaltens anlegen, dann müssten Sie doch umgehend wer weiß wie viele Bischofsstühle überall auf der Welt neu besetzen …

Nikita Chruschtschow, auch 9/11, doch um einiges früher – Sie waren von 1953 bis 1964 Chef der KPdSU und damit mächtigster Mann der Sowjetunion. Verstorben sind Sie am 11. September 1971 und mithin seit 50 Jahren tot. Nicht tot zu kriegen hingegen ist ein mit Ihrer Person verbundenes Propagandamärchen des Westens, das hier zum Standardrepertoire gehört, wenn es um den Kalten Krieg geht. Gerade wurde es vom SPIEGEL mal wieder aufgewärmt: „[…] Nikita Chruschtschow […] brachte die Welt an den Rand eines Atomkriegs […].“

Gemeint ist die Kuba-Krise von 1962. Nicht dass die USA – das waren und sind ja aus hiesiger Sicht bekanntlich die immerwährend Guten – der Sowjetunion mit der Aufstellung atomarer Mittelstreckenraketen in der Türkei Angriffswaffen mit äußerst knapper Vorwarnzeit quasi in den Vorgarten gesetzt hatten, brachte die Welt an den Rand des Krieges, sondern natürlich erst Ihre Antwort. Sie ließen vergleichbare Projektile in Kuba aufstellen. In Ihrer bekannten bildhaften Sprache (Mais = „Wurst am Stengel“) hatten Sie damit „Uncle Sam einen Igel in die Unterhose“ gepflanzt.

Der Konflikt konnte friedlich beigelegt werden, als die USA sich bereitfanden, die betreffenden Systeme aus der Türkei wieder heimzuholen, wobei Sie in Vorleistung gingen: Der Rückzug der sowjetischen Raketen von Kuba erfolgte etliche Monate vor dem der amerikanischen, damit der Zusammenhang – Ihr Washingtoner Counterpart Kennedy bestand darauf – nicht allzu offensichtlich ins Auge sprang. Bei manchen ist er, scheint’s, bis heute nicht gesprungen. Siehe SPIEGEL.

Paul Spies, Berliner Museumsdirektor im Auge der Welt – Mit dieser an Großmäuligkeit kaum zu toppenden Floskel, verkündeten Sie am 13. September die topographische Verortung der neuen Filiale des Berliner Stadtmuseums im misslungenen Schlüter-Schloss-Nachbau Franco Stellas. Nun gut, jeder blamiert sich nach eigenem Vermögen. Schwieriger wird es schon, wenn Sie versuchen, die Perspektive Ihres Institutes zu beschreiben: Sie kündigten „erheblichen Wandel“ an, bemühten so tolle Wörter wie Modernisierung, Inklusion, Partizipation und „nicht museumsaffine“ Teile der Stadtgesellschaft. Zu Letzterem nur am Rande: Hacken Sie doch nicht immer auf den Kulturpolitikern rum, von denen wollen Sie schließlich Geld … Vor allem aber möchten Sie neue Besuchergruppen, vor allem junge Leute, ins Museum locken. Haben Sie eigentlich jemals bemerkt, dass die schon drin sind? Jedenfalls, wenn man sich die Bemühungen Ihrer tollen Museumspädagogen – wieviele von denen haben Sie eigentlich fest angestellt? – ansieht. Haben Sie jemals darüber nachgedacht, warum es Ihrem Institut nicht gelingt, diese jungen Menschen dauerhaft an sich zu binden? Stattdessen solle alles „instagrammbar“ werden, erklärten Sie einmal der Berliner Zeitung. Wer das blöd findet, die „treuen Bildungsbürger“ zum Beispiel, kann ja zum Biedermeier ins Knoblauchhaus gehen. Sie wollen „besucher:innenorientierte Angebote“. Warum sind Sie eigentlich nicht Zirkusdirektor geworden? Jeder Clown wird Ihnen ein Lied darüber singen, dass der Zirkus davon lebt.