Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 19. Januar 2009 , Heft 2

Paradise A.D.

von Martin Nicklaus

Müde und abgeschlafft nächtens durch den Fernsehkeller wankend, übersah ich einen Schacht und glitt, im sanften Fallen mich an Alice erinnernd, die Lewis Carroll in einem Kaninchenbau gen Wunderland rutschten ließ, in niveaulose Tiefen. Als hätte ich es geahnt, erschien ein Kaninchen auf dem Bildschirm. Ein Bunny. Langenscheidt übersetzt das mal mit Kaninchen, mal mit Häschen. Hier handelte es sich um die Sonderform Betthüpferl, die sich allerdings als eine Art Königin gab. Vorerst stellte sie mir wichtigtuerisch ihren Bau vor. Aber war das Wunderland oder eher eine Art Garten Eden? In Rolfs Sinne, der einst sang: »Geld ist nicht alles, aber schön muß sie sein, blond muß sie sein.«

Ich stand, wie sich herausstellte, inmitten »The girls of the Playboy mansion«, also dreier Bunnys, die mindestens blond waren. Schön? Na ja, Schönheit ist keine ausschließlich optische Kategorie. Vielleicht hübsch; aber das blieb unergründbar. In Anlehnung an Nietzsches Bemerkung: »Schmuck verdeckt das Geschmückte« galt hier: Schminke verdeckt die Geschminkte. Die Bunnys jedenfalls huldigen, Geld scheint doch sehr wichtig, einem gleichermaßen geistfreien wie uneingeschränkten Luxus als höchster Form des Daseins, das sich im Zelebrieren von Belanglosigkeiten erschöpft. Bald traut man ihnen zu, mit Flamingos als Schlägern und Igeln als Bällen Croquet zu spielen.

Manchmal wackelte Hugh Hefner, ein Greis im Morgenrock, durchs Bild, der sich, wenn er meinte, noch nicht albern genug auszusehen, eine Kapitänsmütze aufsetzte. Ihm gehören Mansion und Häschen, die seine Enkelinnen sein könnten, aber Gespielinnen (Playmaids) sein sollen. Langenscheidt könnte in diesem Fall Mansion mit Harem übersetzen. Eine Schreiberin der Süddeutschen sieht darin den »ultimativen Männertraum« – was für ein sonderbares Männerbild spricht. Offensichtlich kennt sie nur Achtzehnjährige. Da hat man ja kurzzeitig Anflüge von Vielweiberei. Also im Traum.

Was sagt der Psycho – in Gestalt von Hans-Joachim Maaz – zur Potenzprahlerei? »Die Analyse solcher Einstellung ergibt häufig eine schwere Hingabestörung – da keine ausreichende Entspannung gefunden wird, muß der sexuelle Kontakt bald wiederholt werden, was dann fälschlicherweise als Zeichen besonderer Potenz gewertet wird.«

Was ich beim Playboy, dem Zentralorgan der Hingabegestörten, zuerst erwarte, erschien dann alsbald auf der Mattscheibe: nackte Mädchen. Nur bekamen die führsorglich Grauschleier des Schweigens umgelegt. Der ausstrahlende Sender Viva grauschleierte bei anderer Gelegenheit sogar ein Deckenfresko in einem Hotel stellenweise, weil dort barbusige Damen zu sehen waren. Prüderie wie anno 1910: »Ich hab dein Knie gesehen, das dürfte nie geschehen.«

Bald wurde mir klar, das Leben der drei Blondies, voll Kleingeist, aber in Saus und Braus, besteht aus gekünstelter Oberflächlichkeit, die versucht, einen dünnen bunten Lack über ihre Langeweile zu ziehen. Als The Exploitet »another day to go nowhere« sangen, richtete sich das eigentlich an eine andere Klientel, aber auch unsere Mädels stehen morgens auf und blicken in die Leere des Tages, die nur eine Miniatur der Leere ihres Lebens darstellt. Sie tragen keine Verantwortung, müssen sich um nichts kümmern, bleiben gänzlich unproduktiv und werden von einer Heerschaar Bediensteter umsorgt. Sie sind Unmündige, nur gefüttert, um welkem Fleisch beim Liebesspiel zu dienen. Prostitution de luxe. Zuchthasen im Goldkäfig.

Gerade darum erstaunte mich die immense Ernsthaftigkeit, das hochgradige Ichbewußtsein und Fehlen jeglicher Selbstzweifel, mit dem die Bunnys ausgemachten Sülz schwafelten. So reifte Hoffnung in mir, einer Satire beizuwohnen. Selbsttäuschung. Natürlich. Bertrand Russel wußte: »Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel.«

Beim RealityTV gilt natürlich Heisenbergs Unschärferelation, als wäre sie für diesen Fall erdacht. Sobald Kameras laufen, schauspielern die Leute, rükken sich in ein gutes Licht. Entlarvend ist allemal zu sehen, was unter Bunnys als gute Eigenschaften gilt. Die beschränken sich auf: »Reich sein, Geld satt, immer kaufen, was man noch nicht hat. Ein weißer Roys und rotes Leder, ich will nicht mehr so sein wie jeder«, wie Zoff einst über ein Paradies, reduziert auf die Variante Schlaraffenland, sangen. Erich Fromm würde dazu sagen: »Haben bedeutet nicht Sein«. Gerade mit dem um sich geschichteten Zeugs wird der Weg zur Persönlichkeit und einem erfüllten Leben verbaut.

Dessen ungeachtet liegt der Reiz für das der Pubertät nie entwachsene Publikum, welches aus Armseligkeit Streben nach Reichtum mit dem Finden von Lebensglück gleichsetzt, im Glücksspielmotto: »Geld, Gold und ein sorgenfreies Leben«. Dumpftonnig durchwandert es mit den Damen den fruchtlosen, langweiligen Tag, an dem diese Punkt 21.00 Uhr zum Abendappell in der Mansion erscheinen müssen, um dann zu erfahren, daß, als Gipfel ihrer überflüssigen Existenz, der alte Mann zu seiner Befriedigung ihrer nicht mehr bedarf, er inzwischen der Domina Domino vorzieht oder sich DVDs reinzieht.

Keine Liebe und nun nicht mal Sex. So sieht er aus, der Garten Hefner: »Hinter den Mauern der Stadt, da sollte ein Paradies sein, aber hinter den Mauern der Stadt, da brach nur die Kälte herein«, spielten Die Skeptiker mit düsteren Gitarren angesichts glitzernder Verheißungen, einer Welt, die sich als lieblos und kalt, rein aufs Geschäftliche ausgerichtet erwies. Aller Glanz in ihr stammt von funkelnden Eiskristallen. Paradies ade.

Die Hasenweibchen feiern zur Ablenkung von ihrer Selbstaufgabe noch aus blödestem Grund sterile Partys. Ich geriet mitten in den Geburtstag von Hündchen, und mein Bildschirm begann überzuquellen von süßen, süßen Zierkötern und ständig grinsenden, was sie für Lächeln hielten, hochgeschminkten Bunnyzombies. Immer mehr und mehr, wie in Grimms Märchen vom süßen Brei. Irgendwann platzte mein Fernseher, und ich war wieder frei.

Als Ausrede für meine Fernsehentgleisung fiel mir Sir Popper ein: »Jede Quelle der Erkenntnis ist uns willkommen.« Unweit dieser wächst nämlich jener Baum der Erkenntnis, von dem Nietzsche wußte, er markiere das Paradies. Das hieße, wer musikgestählt, sich im Bunde mit den Denkern des Abendlandes weiß, braucht die Dunkelheit des unterirdischen Fernsehprogramms nicht fürchten. Ihm wird das kleine Licht der Inspiration auch dort einen Weg in sein Himmelreich leuchten. Womit mein Plädoyer für mehr Bildung endet.