von Liesel Markowski
Es ist das jüngste Alterswerk des Zweiundachtzigjährigen, 2007 uraufgeführt in der Berliner Staatsoper, entstanden in ihrem Auftrag wie weiterer kooperierender Kulturinstitutionen aus Belgien, Österreich und Deutschland: Hans Werner Henzes Konzertoper »Phaedra« kehrte kürzlich für einige Extravorstellungen an ihre Geburtsstätte Unter den Linden zurück. Mit den Erstinterpreten – dem Ensemble Modern und exzellenten Solisten unter Leitung von Michael Broder – fesselte das Werk durch ein Zusammenwirken von Klang, Szene und Raum.
Zugrunde liegt die auf Euripides fußende antike Sage von Phaedra, Gattin des Theseus, der das Labyrinth zerstört und den dort lebenden Minotauros getötet hat. Phaedra ist verliebt in ihren Stiefsohn Hippolyt (aus Theseus’ erster Ehe), der ihre Annäherung schroff zurückweist. Er fühlt sich allein der Jagd und ihrer Göttin Minerva verbunden. Die Folgen sind Haß, Eifersucht, Verleumdung, Rache des mit Meeresgott Poseidon verbrüderten Theseus, Tod und Selbstmord. Die vom Überlieferten abweichende positive Wende in Henzes Oper bringt in geheimnisvoller Unterwelt die Wiederbelebung Hippolyts, seine Verwandlung zum »König der Wälder«, das Aufscheinen eines Traums von glücklichem Leben. Vielleicht eine Vision des Komponisten, seit langem in jener italienischen Landschaft am Nemi-See ansässig, einem Schauplatz der antiken Sage.
Dramatisch inspirierend sind die komplizierten Konstellationen der Protagonisten: Phaedra und Aphrodite (Göttin der Liebe) auf der einen, Hippolyt und Minerva auf der anderen Seite sind die Kontrahenten. Zugleich bestimmt Konkurrenz der Göttinnen das Geschehen – beide sind um den jungen Mann bemüht. In zwei Akten »Am Morgen« und »Am Abend« vollzieht sich ihre leidenschaftliche Begegnung. Ein »Prolog« an düsterem Ort, dem zerstörten Labyrinth, führt in Dunkelheit und tiefen Blechtönen ins Kommende ein. In feine poetische Sprache hat der Dresdener Dichter Christian Lehnert die antike Story gefaßt. Sein Libretto gibt der Musik Entfaltung, dient zugleich deren Präzision. Gerade solche Straffheit, fern jeder Opulenz, zeichnet die Tonsprache von Henzes Konzertoper aus. Ein geschärfter Klang charakterisiert die Figuren und ihre Leidenschaften.
Nur 23 Instrumentalisten sind beteiligt: Neben einer Überzahl von Blasinstrumenten vom Holz bis zum tiefen Blech, die von Musikern auch mehrfachen Einsatz verlangen, und vielfacher Perkussion gibt es lediglich vier Streicher. Höchst anspruchsvolle Vokalparts fordern stimmlich und intonatorisch Äußerstes, von den Sängern im Duo, Solo und Ensemble hervorragend gemeistert. Die Phaedra von Natascha Petrinsky (Mezzo), die Aphrodite von Marlis Petersen (Sopran), der Hippolyt von John Mark Ainsley (Tenor), die Artemis, Frauenrolle von Axel Köhler (Altus) und im Finale der Minotauros von Lauri Vasar (Baß) – alle bewährten sich als vorzügliches Sängerensemble.
Die oft rätselhafte, schwer zugängliche Handlung von Henzes im antiken Gewand daherkommende Konzertoper fordert zum konzentrierten Hören und zum Nachdenken heraus. Sie faszinierte in dieser perfekt klingenden Wiedergabe, doch nicht weniger im Szenischen. Die Inszenierung Peter Mussbachs und seines Bühnenbildners Olafur Eliasson bot ein brillantes »Gesamtkunstwerk«, bei dem Ton, Raum und Licht zur Einheit werden: Das Instrumentalensemble ist hinter dem Parkett platziert, die Solisten bewegen sich auf einem Laufsteg von dort zur Bühne, wo sie auf einen riesigen Spiegel treffen, hinter den sie durch eine Tür treten. Es entsteht eine optische Opulenz, die den prunkvollen Zuschauerraum einbezieht. Ein raffinierter Kunstgriff, ergänzt durch schlicht elegante Kostüme (Bernd Skozig). Zum hoffnungsvollen Schlußgesang der Traumwelt, als der Spiegel verschwindet, gibt es ein verwirrendes Lichtgefunkel.
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