Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 2. März 2009 , Heft 5

Der Krieg hat schon längst begonnen

von Thomas Dudek

Am 29. Januar empfing der russische Präsident Medwedew den Chefredakteur der Novaja Gazeta, Dimitrij Muratow, sowie deren Teilinhaber, Michail Gorbatschow, um ihnen – wenn auch etwas verspätet – sein Beileid zum Tode des ermordeten Rechtsanwalts Stanislaw Markelow und der ihn begleitenden Journalistin Anastasija Baburowa auszusprechen. Weniger zurückhaltend und bestürzt als der Kreml hatte sich dagegen von Anfang an die russische Neonazi-Szene gezeigt, welche die beiden Morde unverhohlen feiert.. »Als allererstes trank ich ein bißchen Sekt«, kommentiert ein gewisser »kwas_72« die Tat triumphierend in einem Internetforum. Und dies nicht auf irgendeiner von Nazis betriebenen Plattform, sondern auf der der Novaja Gazeta.

Und »kwas_72«, in Ishewsk, wie die Novaja Gazeta herausfand, auch bekannt als der Stadtabgeordnete Wasilij Krjukow, war nicht der einzige Neonazi, der im Forum der Zeitung den Mord bejubelte. Es waren gleich so viele, daß sich die Redaktion gezwungen sah, in einem Artikel mit dem Titel »Deren Kampf« die Reaktionen der Rechtsradikalen zu publizieren – mit der Warnung versehen, den Text nicht in Kinderhände gelangen zu lassen.

»In Rußland existiert der Faschismus«, heißt es einleitend. »Und das auch nicht mehr im Keller, denn sie haben aufgehört, sich zu verstecken, und traten hinaus auf die Straßen der Städte. Sie haben ihre Symbole, ihre Kommunikationsmittel, ihre Verbindungen zu Spezialdiensten, ihre Kampfgruppen, Parteilobbyisten und Vertreter in den Staatsorganen. Auf der Liste ihrer Opfer stehen hunderte Menschen. Wir veröffentlichen die Kommentare von Faschisten, die sie aufgrund der Morde an der Journalistin Anastasija Baburowa und dem Rechtsanwalt Stanislaw Markelow, im Internet, darunter auch im Forum der Novaja Gazeta, abgegeben haben. Warum wir es tun? Wir wollen, daß ihr eins versteht: Der Krieg hat schon längst begonnen.«

Daß diese Mahnung nicht übertrieben ist, zeigen die Kommentare. »Die Toten waren Abschaum, ohne sagen zu können, wer es mehr war«, schreibt ein gewisser »barmalei88«. Dieser Kommentar gehört noch zu den harmlosen. Weniger zurückhaltend ist da ein »kro6ka_karto6ka«: »Diese zwei Kreaturen haben die gerechte Strafe bekommen. Wer würde sie nicht niederschlagen.« »Evgen_v«, außerhalb des World Wide Webs als Jewgenij Waljew bekannt, der sich 2007 als Pressesekretär des »Russischen Marsches« hervorgetan hat«, jubelt im Forum: »Zwei Russophoben wurden in die Hölle befördert.« »Sie sind gegen das russische Volk angetreten, Hunden einen Hundetod«, antwortet darauf ein Neonazi mit dem Pseudonym »slava_ss«. »yahont7«schreibt: »Mit Gottes Hilfe, jeden Tag sollten mindestens 10 solcher Russophoben umgebracht werden, damit das russische Zeitalter schneller beginnen kann.«

Der Mord an Stanislaw Markelow und Anastasija Baburowa wird aber nicht nur im Novaja-Gazeta-Forum sondern auch anderswo gefeiert. Die Zeitung hat ihren Artikel um Kommentare aus anderen Internetseiten ergänzt, die von der Neonazi-Szene Zeugnis ablegen; so wurden einige Kommentare aus einem Internetforum für Fußballfans übernommen.

Die Freude der Neonazis zeigt, wie der ermordete Anwalt Markelow wegen seiner beruflichen Tätigkeit in der rechtsradikalen Szene verhaßt war. Vor allem sein Rechtsbeistand für die Familie der ermordeten Tschetschenin Elsa Kungajewa, die im März 2000 von dem russischen Oberst Juri Budanow entführt, mißbraucht und schließlich umgebracht wurde, machte ihn zu einer Haßfigur für die russische Rechte. Im Juli 2003 wurde Budanow, der aufgrund der Anklage zu einem Helden der russischen Nationalisten avancierte, zu zehn Jahren Haft verurteilt. Doch der Prozeß und die 2004 abgelehnte Begnadigung lösten in Rußland eine große gesellschaftliche Debatte aus, die selbst Wladimir Putin in Bedrängnis brachte. Am 15. Januar dieses Jahres wurde der ehemalige Militär vorzeitig aus der Haft entlassen. Am 19. Januar, nur wenige Stunden vor seinem Tod, kündigte Markelow an, gegen die Haftentlassung Budanows Beschwerde einzulegen.

Markelow machte sich aber nicht nur durch seine Arbeit im Budanow-Prozeß in der rechten Szene viele Feinde. Auch durch seine Tätigkeit für Amnesty International, die von ihm gegründete Nichtregierungsorganisation Institut für die Vorherrschaft des Rechts, vor allem aber auch durch seinen Rechtsbeistand für russische Anarchisten und die 2006 ermordete Journalistin Anna Politkowskaja, die aufgrund ihrer kritischen Berichte aus Tschetschenien bekannt geworden ist, geriet er in das Visier der Neonazis.

Ob aber tatsächlich russische Rechtsradikale für den Doppelmord verantwortlich sind, ist fraglich. Bereits am 20. Januar erklärte die Moskauer Staatsanwaltschaft, daß in mehrere Richtungen untersucht werde. Denn Stanislaw Markelow vertrat auch den Journalisten und Umweltaktivisten Michail Beketow, der am 13. November 2008 vor seinem Haus in Chimki überfallen und lebensgefährlich verletzt wurde, weshalb der Mord auch mit dieser Tat in Verbindung stehen könnte. Auftraggeber für den Mord an dem Rechtsanwalt Markelow werden jedoch auch in der korrupten tschetschenischen Führung um Ramsan Kadyrow vermutet. Um jedoch jeglichen Verdacht von sich und seinem Regime abzuwenden, ehrte Kadyrow am 20. Januar Stanislaw Markelow postum für seine Verdienste um die tschetschenische Republik.

Aber auch wenn die Mörder nicht aus den rechtsradikalen Kreisen kommen sollten – daß die Neonazis eine Gefahr für die russische Gesellschaft darstellen, mußte mittlerweile auch der Kreml zugeben. Allein im Dezember und Januar gab es in Rußland fünfzig Personenangriffe mit rechtsradikalem Hintergrund. Und 26 der Opfer haben diese Überfälle mit ihrem Leben bezahlt. Aus diesem Grund drückte Dimitrij Medwedew bei seinem Treffen mit den Verantwortlichen der Novaja Gazeta nicht nur sein Beileid für die Hinterbliebenen aus, sondern kündigte auch Maßnahmen gegen die rechtsradikale Szene an. Wie die jedoch aussehen sollen, und ob in diesem Kampf auch die russischen Sicherheitsbehörden mitmachen werden, ist fraglich. Denn die Miliz bediente sich in jüngster Vergangenheit gern der Rechtsradikalen, um Demonstrationen aufzulösen. So zum Beispiel bei der Moskauer Schwulen- und Lesbenparade, deren Teilnehmer von Neonazis brutal zusammengeschlagen wurden, gemeinsam mit der Miliz.

Mit freundlicher Genehmigung von Telepolis.de