Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 2. März 2009 , Heft 5

Obamerica

von Axel Fair-Schulz, Potsdam, N.Y.

Es gibt gute Gründe gerade für Linke und Linksliberale, Obama und seine neue Administration zu begrüßen. Es gibt ebenso gute Gründe zu ernsthaften Vorbehalten und Bedenken. Die allerbesten Gründe aber gibt es, prinzipiell die Gegenwart und Zukunft unserer Welt als einen von Menschen gemachten und damit veränderbaren Prozeß zu begreifen und Sachzwänge zwar nicht zu ignorieren, diese aber auch nicht zu einem unabwendbaren Schicksal zu verklären. Positive Veränderungen für die breite Masse der Bevölkerung waren bisher auch in den USA das Resultat der Anstrengungen von unten – wie die der Bürgerrechtsbewegung in den sechziger Jahren – und wurden nicht in erster Linie durch Initiativen aus Washington angestoßen. Es geht also nicht allein um die Frage, wer gerade im Weißen Haus, im Senat und im Repräsentatenhaus agiert, sondern wie die Linke darauf reagiert, wie sie die Initiative ergreift.

Die von Obamas Wahlsieg ausgehende Hoffnung auf ein gerechteres und humaneres Amerika politisierte Millionen Bürger, darunter viele Erstwähler, und jetzt kommt es darauf an, diese Chance nicht in faulen Kompromissen zu verspielen.. Die Chancen für eine progressive Re-Orientierung der amerikanischen Gesellschaft sind unter Obama so gut wie seit Jahrzehnten nicht, aber eben nicht im Selbstlauf zu haben. Gebraucht wird eine resultatsorientierte, aktive und undogmatische Linke, die mit Obama und den regierenden Demokraten wenn möglich zusammenarbeitet, ohne sich von ihnen vereinnahmen zu lassen, und die Obama nachdrücklich an seine Wahlkampfversprechen erinnert. Dabei kann es nicht um eine mehr oder weniger passive Unterstützung von Obamas im Wahlkampf bekanntgegebenen Prioritäten gehen. Eine selbstbewußte Linke muß ihre eigenen Zielsetzungen klar formulieren und mit allen zur Verfügung stehenden demokratischen Instrumenten vertreten.

Wovor hat uns Obamas Sieg bewahrt? Wohin würden John McCain und Sarah Palin steuern, wenn ihre auf Demagogie, Rufmord, ideologischem Fanatismus und exzessiver Verantwortungslosigkeit beruhende Agenda im November gewählt worden wäre? McCain/Palin im Weißen Haus hätte uns mindestens vier weitere Jahre Bushismus gebracht, mit allen absehbaren Konsequenzen. Die Kriege in Irak und Afganistan kosten die Steuerzahler bereits einige hundert Milliarden Dollar, während finanzielle Mittel für die nötigsten Sozialprogramme und die marode Infrastruktur nicht aufzutreiben sind. Hinzu kommen die vermeidbare Katastrophe von New Orleans sowie die größte Wirtschafts- und Finanzkrise seit den dreißiger Jahren. Nicht auszudenken, wenn die dafür verantwortlichen Republikaner im Amt geblieben wären.

Natürlich gibt es Gründe zur Skepsis gegenüber Obamerica. Die Vielzahl von Mitarbeitern aus der alten Clinton-Administration bringen neben ihren Sachverstand leider auch sehr problematische Ansichten mit. So ist der De-facto-Zusammenbruch des amerikanischen Bankensystems eben nicht nur das Resultat der Inkompetenz der Bush-Administration, er wurde nicht zuletzt durch die radikalen finanzpolitischen De-Regulierungsentscheidungen, die in den Clinton-Jahren getroffen wurden, ermöglicht.

Ob dies Obamas Berater wirklich verstanden haben und über kosmetische Kurskorrektürchen hinaus einen ernsthaften Neuanfang bewerkstelligen, muß die Zukunft zeigen. Dies wird aber sicherlich nicht von allein, sondern nur durch Druck von unten und von links geschehen.

Es bleibt zu hoffen, daß die amerikanische Linke die Entwicklungen nicht passiv beobachtet und ihren mangelnden Einfluß beklagt, sondern im Sinne eines emanzipatorischen Demokratieverständnisses auf Obama und sein Team aktiv Druck ausübt. Dies ist allerdings schneller gesagt als getan, denn nur zu oft wurde die Linke zwischen sektiererischer Spaltung auf der einen und entmachtender Einbindung durch die Demokraten auf der anderen Seite zerrieben. Linke Demokraten wie Jesse Jackson und Dennis Kucinich haben mit ihrer linken Rhetorik große Wählermassen mobilisiert, dann aber durch ihre Kompromißbereitschaft Kandidaten wie John Kerry, also im Grunde konservativen Demokraten, zugeführt, welche die Republikaner oft noch rechts überholten.

Die Lektion für die Zukunft scheint zu lauten: Die Linke muß den Kräfteverhältnissen Rechnung tragen und akzeptieren, daß sie natürlich nur eine von zahlreichen Strömungen in den USA ist. Kompromißbereitschaft als solche ist also unumgänglich, zumal niemand alle Antworten kennt. Aber Kompromisse der Linken setzen Kompromißbereitschaft der anderen Gruppierungen voraus. Obama darf nicht davon ausgehen, daß realitätsorientierte Linke zu den Demokraten grundsätzlich keine Alternative haben. Die Linke sollte daher innerhalb der Obama-Administration sowie zugleich auch außerhalb für progressive Veränderungen Druck ausüben und ihre Lösungsansätze einbringen sowie eigene Strukturen auf- und ausbauen, wie dies nicht zuletzt Lance Selfa in seinem lesenswerten Buch »The Democrats: A Critical History« empfiehlt: The Democrats: A Critical History, 260 Seiten, Haymarket Books 2008, ISBN-10: 1931859558/ ISBN-13: 978-1931859554, 12,99 Euro