Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 2. März 2009 , Heft 5

Steinmeiereien

von Erhard Crome

Es war eine Stimmung entstanden. Die Menschen in den USA hatten George W. satt und wählten Obama. Spätestens als der – lange vor Wahl und Amtsantritt – in Berlin vor Menschenmassen geredet hatte, war klar, diese Stimmung schwappt auch in die Welt. »Yes, we can«, ist jetzt Werbeslogan bei Autohäusern und Möbelmärkten. Ein abgesungener ältlicher Schlagersänger psalmodiert, wenn es sein müsse, gingen »wir mit dem Herzen durch die Wand«. Bisher wollte manch einer mit dem Kopf durch dieselbe, was in der Regel nicht ging, oder man war mit dem Herzen dabei. »Yes, we can« – mit dem Herzen durch die Wand oder auf dem Wasser laufen. Dann der Aufruf: »Sag’ den Menschen, die noch zweifeln, wir können alles, wenn wir wollen«. Der Sänger berichtet von »Freudentränen im Gesicht« und er »wär’ so gern dabei gewesen«.

Einer, der so tut, als sei er der Spezi vom Obama in Deutschland und eh schon immer dabeigewesen, ist Frank-Walter Steinmeier – Außenminister, Vizekanzler und Kanzlerkandidat der SPD. Anfang Februar, auf der sogenannten Sicherheitskonferenz in München, erklärte er: »Das Fenster der Geschichte ist geöffnet«, er verbindet es mit dem neuen Präsidenten in den USA und dessen »neuem Denken«. Noch bleibt natürlich abzuwarten, was bei Obama neu wirklich sein wird. Immerhin: Das Krisenpaket hat er in kürzester Zeit durch den Kongreß bekommen, in der Sozial- und Energiepolitik sind neue Akzente gesetzt. Insofern ist es völliger Unsinn, wenn selbsternannte Großmarxisten bereits jetzt verkünden, bei Obama sei nichts Neues unter der Sonne zu erwarten, schon weil »das Großkapital …« Gibt es irgendwo in der Welt heute eine Politik ohne Kapital? Die Frage ist doch: welches Kapital zu welchem Zwecke? Krieg um Öl oder Investitionen in erneuerbare Energien? Es ist gegenwärtig längst nicht ausgemacht, was sich mit Obama in bezug auf die Politik im Angesicht der derzeitigen Weltwirtschaftskrise verbinden wird.

In der Außenpolitik allerdings sind Entscheidungen bereits getroffen: Der Krieg von Bush im Irak wird abgewickelt, der in Afghanistan allerdings fortgesetzt, gar intensiviert. 17000 Mann US-Truppen werden in Kürze zusätzlich dort hingeschickt, und es tönt der Ruf: »The Germans to the front!« Wenn der Krieg im Irak »falsch« war, warum soll der in Afghanistan »richtig« sein? Das ist die Frage, die die neue Administration in Washington nicht beantworten kann. Und wenn die früheren Aussagen richtig waren, daß es dem Westen jetzt in Afghanistan nicht anders ergehen werde, als es den Engländern im 19. und den Russen im 20. Jahrhundert ergangen ist, dann hat jetzt Obama die Weichen genau in diese Richtung gestellt.

Steinmeier, sich auf Obama beziehend, will beim Beschwören eines »neuen Denkens« aber gerade nicht die wirklichen Probleme diskutieren, die sich für die künftige Politik des Westens und für die US-deutschen Beziehungen ergeben, sondern er hofft. Er hofft, daß der Obama-Faktor auch nach Deutschland hinein wirken werde – so wie er, oben zitiert, im Trivial-Zeitgeist derzeit besungen wird – und dies anhaltend, mindestens bis zur Bundestagswahl. Während Angela Merkel mit der von ihr sozialdemokratisierten CDU versucht, in der vielgerühmten »Mitte« dieses Landes der SPD den Platz streitig zu machen und so ihre Kanzlerschaft zu verteidigen, will Steinmeier Kanzler werden, indem er den Obama gibt.

Nun ist das für den ehemaligen Büroleiter von Schröder, der für die »Agenda 2010« ebenso mitverantwortlich war wie für den Einsatz deutscher Agenten in Bagdad zum Zwecke der Kriegsführung Bushs, sicherlich kompliziert. Aber erstens gibt es die Hoffnung auf das öffentliche Vergessen, und zweitens soll die Identifikation mit Obama jene Vergangenheit zukleistern. So redete Steinmeier in München vom »Ich«: »Diese Woche der Münchner Sicherheitskonferenz begann für mich in Washington.« Aha. Das »Ich« war dort, Angela Merkel nicht. »Die Herausforderungen für die neue amerikanische Regierung sind immens.« Kein Wunder, nach acht Jahren George W. Bush; aber das wußten wir auch, ohne daß Steinmeier uns das erzählt. Der Satz hat aber keine wertende Funktion; er soll nur überleiten zum nächsten Ich-Satz: »Aber ich habe viel Aufbruch, Tatkraft und Zuversicht erlebt.« Schlechter konnte es ja auch nicht mehr werden. Nun also der Aufbruch: »Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit.« Will sagen: Wer Aufbruch, Tatkraft und Zuversicht, also Obama-Stimmung in Deutschland will, soll Steinmeier wählen.

Die Sozialdemokratie bereitet in diesem Sinne inzwischen »Das Neue Jahrzehnt« vor (im Original alles großgeschrieben). Steinmeier hat es am Freitag, den 13.. Februar, in Hamburg eröffnet. Krisenzeiten seien »Gestaltungszeiten«, hat er gesagt. Das meint: Lafontaine und die Linken hatten zwar recht in bezug auf die Krise, aber die SPD »gestaltet«. »Wir haben allen Grund, mit Zuversicht in die Zukunft zu schauen«. Und er redet wieder vom Fenster: »Das Fenster der Geschichte hat sich geöffnet.« Hier ist offen, ob die Krise oder Obama das Fenster geöffnet haben, das Fenster sich selbst öffnete, oder aber ob es Steinmeier war, der das tat. Auf jeden Fall aber setze er auf eine enge Zusammenarbeit mit Obama, sagt er.

Indem die SPD als die Obama-Partei in Deutschland aufgestellt werden soll, wollen deren Wahlstrategen offenbar nicht nur Angela Merkel, sondern auch Linken und Grünen den Wind aus den Segeln nehmen. Zwischendurch hat Steinmeier auch noch eine Rede zum 90. Jahrestag der Weimarer Verfassung gehalten, am 6. Februar im Weimarer Nationaltheater. Dort lobte er Friedrich Ebert als einen »Mann der Vernunft und der Beharrlichkeit«. Ebert sei »kein Revolutionär, sondern ein Reformer gewesen«. Und dann formulierte er gleichsam unhistorische Kontinuitäten: »Populistische Schaumschlägereien, populistisches Schielen auf Schlagzeilen waren ihm fremd.« 1919 ging es aber nicht um Schaumschlägereien, sondern um Schlägereien, nicht um Schlagzeilen, sondern um Mord und Totschlag, nämlich die Ermordung der Arbeiter und Matrosen, die die Revolution gemacht hatten, ohne die Ebert nicht Reichspräsident geworden wäre. Nebenbei wurden auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht beharrlich dingfest gemacht und umgebracht.

Das Problem besteht darin, daß in Zeiten der Revolution Revolutionäre gebraucht werden, und »Reformer« aus Angst vor der Revolution zu Verrätern werden, während in Zeiten der Reform Revolutionsprediger bedauernswerte Gestalten darstellen, die vielleicht subjektiv honorig, aber politisch irrelevant sind. Diesen Unterschied will Steinmeier nicht verstehen. Er will den Obama geben, ist aber nur der beharrliche Reformgehilfe von Angela Merkel. Das Wort vom Populismus und dem Schielen auf Schlagzeilen fällt auf ihn zurück. Bei Sigmund Freud heißt das »Projektion«: Das Ich projeziere die eigenen verbotenen Wünsche auf andere, um sie bei denen zu unterdrücken und zu verfolgen. Und da sollen die Leute dem Büroleiter von Schröder den Obama abnehmen?