23. Jahrgang | Nummer 21 | 12. Oktober 2020

Kunst.Ort.Kino.

von Frank Burkhard

Dass das Neiße-Filmfestival nur um gut vier Monate verschoben wurde und nun doch stattfand, hat gute und bedauerliche Aspekte. Zu den guten zählt, dass die Jury sich Zeit lassen konnte. Im Sommer wurden die Wettbewerbsbeiträge zum Teil virtuell gesichtet und in Videokonferenzen die Preise ermittelt. Sie standen bei Festivalbeginn schon fest, aber es drang nichts nach außen. Zum Manko zählt, dass mehrere Spielstätten im Zittau-Görlitzer Dreiländereck, in dem sich Polen und Tschechien mit Deutschland treffen, in diesem Jahr nicht mitmachen konnten. Das Festival war verkürzt, so dass nicht alle geplanten Reihen bedient werden konnten. Auch der Ehrenpreis soll erst im kommenden Jahr vergeben werden. Kurz, bevor bei uns die Fallzahlen von Covid-19 anstiegen, war das bereits bei unseren tschechischen Nachbarn der Fall. Deutsche Festivalteilnehmer und -Mitarbeiter konnten nicht nach Tschechien einreisen – es sei denn, Ihnen machte es nichts aus, sich in Quarantäne zu begeben. 

Wie alljährlich begleitete eine Ausstellung das Festival. Diesmal hieß sie „Kunst.Ort.Kino.“ und glänzte in der Alten Bäckerei in Großhennersdorf. Der Berliner Fotograf Richard Thieler hatte in vielen Städten der Welt Kinofassaden fotografiert, häufig von alten Kinos, aber auch von moderneren Bauten. Darunter Häuser in Warschau, Moskau, Berlin und Prag, die viel von der Faszination der Kinowelt vermitteln. Doch die Exposition war geteilt. Ins Theater des tschechischen Varnsdorf konnten wir ebenso wenig fahren, wie die tschechischen Freunde zu uns.

In diesem Jahr waren es besonders tschechische Filme – oder zumindest solche mit tschechischer Beteiligung – die am Preisregen teilhatten. „Soló“ des Argentiniers Artemio Benki stellte einen jungen Pianisten vor, der den Erwartungen, die an ihn gestellt wurden, nicht gerecht werden kann und psychisch erkrankt. Wie er sich trotz vieler Rückschläge ins Leben zurück kämpft, erzählt der Film schonungslos, aber sensibel und gewann den Preis für den besten Dokumentarfilm. Als beste Darsteller wurden Milan Ondrík und František Beleš in einem slowakisch-tschechischen Film ausgezeichnet. Sie boten ein bewegendes, vielschichtiges Porträt von Vater und Sohn in „Nech je svetlo“ (Es werde Licht) von Marko Škop. Der Vater, der in Deutschland gearbeitet hatte, muss nach seiner Rückkehr entdecken, dass sein Ältester unter den Einfluss von Rechtsradikalen geraten und am Tod eines Kameraden mitschuldig ist.

Der schon vor den jüngsten Skandalen bei Tönnies entstandene Diplomfilm der Münchner Filmhochschule „Regeln am Band bei hoher Geschwindigkeit“ von Yulia Lokshina berichtet von der Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern aus Osteuropa in der Fleischindustrie, von den katastrophalen Wohnverhältnissen, von vertuschten Unfällen – aber auch von den Versuchen linker Aktivistinnen und Aktivisten, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Parallel dazu beobachtet die Regisseurin eine Gymnasialklasse am Rand von München, Jugendliche, die Brechts „Heilige Johanna der Schlachthöfe“ einstudieren und sich in Diskussionen mit den marxistischen Ideen ihres bayrischen Landsmanns auseinandersetzen. Dieser Tage wird „Regeln am Band“ in deutschen Programmkinos gestartet.

Der deutsche Kinostart des vielleicht besten Films des Neiße-Filmfestivals steht noch nicht fest. „Bruno Manser – Die Stimme des Regenwaldes“ von Niklaus Hilber mit Sven Schelker in der Titelrolle lief außerhalb der Konkurrenz als Eröffnungsfilm und wurde von der Schweiz für den Auslands-Oscar 2021 nominiert. Er erzählt die wahre Geschichte des Umweltaktivisten Bruno Manser, den die meisten Schweizer aufgrund seines unermüdlichen Einsatzes für die Ureinwohner auf Borneo schätzen. Weil der passionierte Naturfreund aber gemeinsam mit dem indigenen Stamm der Penan der Holzindustrie bei der Profitmaximierung im Wege stand, wurde er dort zum „Staatsfeind Nr. 1“ erklärt und verschwand vor 20 Jahren spurlos. Ein ebenso sensibler Film über die bedrohte Natur wie auch ein kämpferisches Pamphlet, das aufrütteln soll, hoffentlich bald in deutschen Kinos!