22. Jahrgang | Nummer 3 | 4. Februar 2019

Iran – Zwischen Koran und Internet

von Hubert Thielicke

In Medien und Öffentlichkeit wimmelt es an Vorbehalten gegen Iran: dort sei es nicht sicher, die Frauen hätten keine Rechte und dergleichen mehr. Stereotypen soll man jedoch nicht trauen, besser ist es allemal, sich selbst ein Bild von dem Land zu machen, das fast fünfmal so groß ist wie Deutschland und etwa die gleiche Einwohnerzahl hat. Iran hat viel zu bieten – das Land mit seiner Jahrtausende alten Geschichte ist reich an Kunst und Kultur. Eine Reise zeigt aber auch, vor welchen Problemen es steht.

I

Erste Begegnungen verblüfften. Die Beantragung des Visums verlief zügig, inklusive eines Gesprächs über Geschichte mit einem freundlichen Konsularbeamten. Bei der nächtlichen Ankunft auf dem Teheraner Flughafen winkte uns der Schalterbeamte durch, hätte fast vergessen, die Pässe abzustempeln. Das muss natürlich nicht von einer generellen Freundlichkeit der Behörden zeugen, hat jedoch einen ganz realen wirtschaftlichen Hintergrund. Nicht zuletzt die laut Präsident Trump „härtesten Sanktionen aller Zeiten“, zwingen die iranische Regierung, nach Geldquellen zu suchen. Und eine ist nun mal der Tourismus.
In den touristischen Zentren trifft man auf Reisegruppen aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien und anderen europäischen Ländern. Auch dem Individualtouristen bietet die, zumindest in den Hauptdestinationen, gut ausgebaute Infrastruktur – ein weitmaschiges Fernbahnnetz und moderne Reisebusse – günstige Möglichkeiten, sofern er brauchbare Englischkenntnisse mitbringt. Sicher haben die herrschenden Kleriker dem Tourismus nicht mit fliegenden Fahnen die Tore geöffnet, denn ausländische Reisende bringen auch neue Ideen ins Land, die nicht immer der gültigen Lehre entsprechen. Aber islamische Traditionen sind das Eine und wirtschaftliche Zwänge das Andere.
Während die regierungsoffizielle Propaganda betont, man werde die Sanktionen durchstehen, es ginge bestenfalls um „psychischen Druck“, machen sich viele Menschen Sorgen, äußern sich enttäuscht, dass unter Präsident Ruhani keine wirtschaftlichen Fortschritte eingetreten sind. Die Inflation ist in der jüngsten Zeit erheblich angewachsen, während die Löhne vieler Arbeiter und Angestellter kaum gestiegen sind. Der Marktpreis für den Euro beträgt inzwischen das Dreifache des offiziellen Kurses; viele Menschen sind bestrebt, sich mit harter Währung einzudecken. Oft trifft man auf die Ansicht, dass leider die mit dem Wiener Deal von 2015 gemachten Zugeständnisse beim Atomprogramm zu keiner Verbesserung der Lage geführt hätten. Daran sei vor allem die aggressive Politik der USA schuld, aber auch im Lande liege manches im Argen, Korruption sei weit verbreitet, die Industrialisierung werde nicht konsequent vorangebracht, die religiösen Stiftungen und Einrichtungen des Militärs hätten gewaltige wirtschaftliche Macht. Ein großer Teil der Jugend sei arbeitslos, man wolle aber besser und modern leben, beziehe seine Informationen zumeist aus dem Internet. Die alten Eliten um den „Obersten Führer“ Ali Chamenei hätten zwar das Land unter Kontrolle, man hoffe aber langfristig auf eine junge, liberalere Führung. Trotz strikter Regeln für das öffentliche Leben schafft sich die Jugend Freiräume, nicht nur in Gestalt privater Partys, bei denen schon mal der verbotene Alkohol fließt. In vielen kleinen, in jüngster Zeit entstandenen Cafés und Restaurants geht es locker zu, offensichtlich ohne Alkohol, aber mit moderner Musik und angeregten Gesprächen. Auch junge Frauen sind nicht zu übersehen, geschmackvoll gekleidet, gerade wohl noch an der Grenze islamischer Bekleidungsvorschriften. Während es in Ländern wie Saudi-Arabien schon als Fortschritt gilt, wenn Frauen Auto fahren dürfen, ist das in Iran kein Problem. Überhaupt spielen sie im Berufsleben wie auch in der Öffentlichkeit eine wichtige Rolle.
Vor 250 Jahren noch ein unbedeutendes Provinznest, entwickelte sich Teheran unter der Dynastie der turkmenischstämmigen Kadscharen (1779–1925) zum politischen und wirtschaftlichen Zentrum des Landes, zählt heute mehr als zwölf Millionen Einwohner. Prunkvolle Bauten wie der Golestan-Palast zeugen von der Zeit als Schah-Residenz. Ringsum tobt ein hektischer Verkehr, der keine Regeln zu kennen scheint. Dem ausländischen Besucher stellt sich die Stadt als gewaltiger Moloch dar.
Das Stadtbild Teherans wie auch anderer Städte beherrschen Plakate mit den Porträts der Ajatollahs Ruhollah Chomeini und Ali Chamenei, oft umgeben von „Märtyrern“ des iranisch-irakischen Krieges; die Bilder der Beiden prangen an Moscheen und öffentlichen Gebäuden. Offensichtlich soll die Legitimität des gegenwärtigen „Obersten Führers“ Chamenei durch die Gleichstellung mit dem 1989 gestorbenen „Revolutionsführer“ gestärkt werden. Unwillkürlich erinnert das an die Methode Stalins, durch den Lenin-Kult seine Stellung in der jungen Sowjetunion zu legitimieren. Seit fast dreißig Jahren wird an dem Mausoleum des Revolutionsführers gebaut, einem riesigen Komplex zwischen Teheran und dem Imam-Chomeini-Flughafen. Böse Zungen behaupten, so könne eben weiterhin für die Stiftung Geld gesammelt werden. Um den Schrein mit seiner golden glänzenden, von vier Minaretten umgebenen Kuppel, erstrecken sich islamische Bildungseinrichtungen, Kliniken, Banken, Hotels, Büros und ein riesiger Parkplatz. Am Eingang zum Mausoleum werden Besucher gebeten, ihre Schuhe abzugeben; auch Kameras sind nicht erlaubt, während sich kein Wächter daran stößt, wenn drinnen hemmungslos mit dem Handy fotografiert wird.
In den Medien liefen vergangenen Herbst bereits die Vorbereitungen auf den 40. Jahrestag der Islamischen Revolution in diesem Jahr. Erinnert wird dabei auch an den anschließenden Krieg mit Irak, der 1980 mit dem Angriff des Saddam-Hussein-Regimes begann und erst 1988 mit einem Waffenstillstand endete. Viele Straßen in Teheran und anderen Orten sind nach im Kampf Gefallenen benannt, den „Märtyrern“. Mahnmale in Teheran und auf den Schlachtfeldern rufen die Erinnerung an den Krieg wach. Einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt das kleine Peace Museum im Stadtpark. Es entstand auf Initiative der „Society for CW Victims Support“, einer Vereinigung von Opfern des Einsatzes chemischer Waffen durch Irak. Noch heute leiden in Iran zehntausende Zivilisten und Veteranen an den schrecklichen Folgen der Kampfstoffe. Während manche „offizielle“ Museen oft Kriegsereignisse glorifizieren, werden im Friedensmuseum die Schrecken des Krieges, insbesondere der Anwendung von Massenvernichtungswaffen, anhand von Fakten und Bildern ungeschminkt dargestellt. Kriegsveteranen berichten über ihre Erfahrungen, es gibt Seminare über Friedensausbildung, Abrüstung und Völkerrecht. Man wünschte, es gebe mehr solcher Museen.

II

Auf die Jahrtausende alte Geschichte und Kultur Irans, bis 1935 im Ausland vor allem unter dem Namen „Persien“ bekannt, trifft man in erster Linie außerhalb der Hauptstadt. Als „Pars“ wird die im Südwesten des Landes gelegene Region bezeichnet. Die Perser stellen mehr als die Hälfte der iranischen Bevölkerung; hinzu kommen Aseris, Kurden, Luren und weitere Ethnien. Als Zentrum der Pars gilt Schiras, die Stadt der Gärten, Rosen und Dichter, die wir mit dem Nachtzug aus Teheran bequem erreichten. Vom kleinen, aber feinen Hotel „Arg“ ist es nicht weit bis zur Zitadelle im Stadtzentrum. Dort, wo Mitte des 18. Jahrhunderts Karim Khan Zand residierte, der ein für seine Zeit ungewöhnlich gerechter Herrscher gewesen sein soll, werkeln gleich neben den hochherrschaftlichen Räumen junge und alte Künstler, stellen Schmuck und andere Kostbarkeiten her, freuen sich natürlich, wenn Touristen auch gleich kaufen.
Als ein Kleinod erweist sich der wunderschöne Garten gleich hinter der Festung. In einem achteckigen Pavillon zeigt das Pars-Museum eine Sammlung von Kunstgegenständen, die an den Herrscher erinnern, darunter ein riesiger Koran. Eine mit Büschen, Rosenstöcken und Zitrusbäumen bestandene Allee führt weiter in den Garten hinein, an der Mauer gegenüber lehnen Platten mit Reliefs bärbeißiger, mit Streitkolben und Säbeln bewaffneter Krieger. Ruhe findet der Besucher schließlich im gemütlichen Teehaus.
Im nahen Vakil-Basar duftet es nach allen Gewürzen des Orients, werden Teppiche, Tücher, Kleider, Schmuck und dergleichen mehr angeboten. Ein Englisch sprechender Taxifahrer erweist sich als kundiger Stadtführer. Sein besonderer Tipp: die Nasir ol-Molk-Moschee, auch „Rosa-Moschee“ genannt: Die Arkaden des Innenhofs sind mit wunderschönen rosa Fliesen verziert, auf denen die berühmten Rosen von Schiraz prangen. Das nahe Zinat ol-Molk-Haus, Wohnung des Gouverneurs zur Kadscharen-Zeit, besticht durch seine prächtigen Spiegelmosaiken, die sogar die im Teheraner Golestan-Palast zu übertreffen scheinen. Im langen, zum Museum umgestalteten Kellergang ließen iranische Künstler ihrem Hang zu Wachsfiguren freien Lauf. Wirkt die einem Relief aus Persepolis nachgestaltete Figurengruppe mit König Darius I., Kronprinz Xerxes und Beratern schon etwas martialisch, so erscheint am Ende des Ganges die Figur von Ajatollah Chomeini zwischen zwei Revolutionshelden ziemlich merkwürdig, entspricht so gar nicht der auf zahlreichen Bildern dargestellten würdigen Erscheinung. Taxifahrer Mehmed macht sich seine eigenen Gedanken, kritisiert, dass die Regierung die alten persischen Traditionen missachte. Der Einfluss der Religion gehe aber zurück, wichtiger sei doch eigentlich die Menschlichkeit.
Früher war Schiras durch seine Weine in aller Welt berühmt; seit dem Alkoholverbot kann man das nur noch in Gestalt von Tafeltrauben nachempfinden. Sein literarisches Echo fand der Wein in den Gedichten des Dichters Hafis, der im 14. Jahrhundert in Schiras lebte. Täglich pilgern viele Menschen zu seinem Mausoleum, eine Art kulturelles Nationalheiligtum in einem Garten voller Rosen und Blumen am Stadtrand jenseits des Khoshk-Flusses. Ob Jung oder Alt, Liebespaare oder Touristen, ob Frauen im schwarzen Tschador oder bunt gekleidet – sie berühren andächtig den Alabastergrabstein des Dichters unter einer baldachinartigen Kuppel. Sein Werk inspirierte Goethe zum Gedichtzyklus „West-östlicher Diwan“. Seit 2009 besteht eine Städtefreundschaft zwischen Schiras und Weimar.
Ein Monument ganz anderer Art befindet sich etwa 50 Kilometer außerhalb der Stadt: die gewaltigen Ruinen von Persepolis, der von König Darius I. gegründeten zeremoniellen Hauptstadt des altpersischen Reiches. Ein halber Tag genügt natürlich nicht, um die sich auf einer Terrasse vor einer Bergkulisse erhebende einmalige Anlage zu erfassen. Sie symbolisiert gleichsam die Größe und Macht des ersten Weltreiches der Geschichte: das an assyrische Vorbilder erinnernde Tor der Völker, die Reste der gewaltigen Empfangshalle (Apadana), der ägyptischem Muster folgende Darius-Palast. Beeindruckend auch die zum Teil sehr gut erhaltenen Skulpturen und Reliefs, die die Könige, ihren Hofstaat nebst Wachen, aber auch Delegationen der 28 Völker des Reiches darstellen, die zum Neujahrsfest (Nowruz) ihre Geschenke darbringen.
Im Bus hatte Reiseführer Ali unserer bunten Reisegruppe aus Chinesen, Spaniern, Holländern, Italienern und Deutschen im Schnelldurchgang die Historie von Reichsgründer Kyros II. bis ins Mittelalter erläutert: „Drei große Wellen überrollten das alte Persien: die Makedonen unter Alexander, den wir im Iran nicht den ‚Großen‘, sondern den ‚Zerstörer‘ nennen, die Eroberung durch die Araber und schließlich die mongolische Invasion.“ Mit dem Islam hinterließen die Araber bleibende Folgen, jedoch habe man in Iran an Sprache und Kultur festgehalten und sei nicht wie andere Völker arabisiert worden. Die Meinung von einer kulturellen Überlegenheit gegenüber den Arabern scheint weit verbreitet zu sein, wohl auch ein Zeichen der Kritik an der religiösen Bevormundung durch den Klerus.
Nach dem etwas hektischen Rundgang durch Persepolis findet sich noch Zeit für die Besichtigung der etwa fünf Kilometer entfernten Königsgräber von Naqsh-e Rustam. Die Grabhöhlen für Darius I., Xerxes und zwei Nachfolger wurden hoch oben in eine Felswand gehauen, Jahrhunderte später ließen sich darunter sassanidische Herrscher in Reliefs verewigen, natürlich mit ihren Erfolgsstories wie beispielsweise den Triumph von König Shapur I. über zwei römische Kaiser. Der sprichwörtliche Atem der Geschichte.
Mehr Geschichtsatem blieb uns allerdings versagt. Ursprünglich sollte zum Tagesausflug auch ein Besuch der Ruinen von Pasargad gehören, der von Reichsgründer Kyros errichteten ersten Königsresidenz. Am Vorabend unserer Tour hieß es jedoch, der Ort sei „aus politischen Gründen geschlossen“. Hinter vorgehaltener Hand erfuhren wir schließlich, dass sich, wahrscheinlich per Internet informiert, vor einigen Jahren tausende Menschen in den Ruinen von Pasargad am 29. Oktober versammelten und den „Kyros-Tag“ feierten. Just an dem Tag im Jahre 539 v. Chr. soll der Herrscher in Babylon die Leitlinien seiner Regierung verkündet haben. Ein für uns eigentlich unvorstellbarer Zeithorizont, aber der Umgang mit Geschichte oder – um es modern zu formulieren – Geschichtspolitik ist eben eine ganz eigene Sache. So manchem gilt die auf einem Tonzylinder aufgezeichnete Rede als „erste Erklärung der Menschenrechte“. Oberste iranische Institutionen schienen jedoch die Rückbesinnung auf solcherart altiranische Traditionen gar nicht zu goutieren. Jedenfalls war Pasargad Ende Oktober vorsorglich für Besucher gesperrt; auf der vorbei führenden Straße von Schiras nach Yazd kontrollierten Polizeiposten Personenwagen und Busse.

III

Ein ganz anderes Bild in der Wüstenstadt Yazd am 30. Oktober. Hunderte schwarz gekleidete Männer und Frauen im Tschador versammeln sich vor der hoch aufragenden, mit blau leuchtenden Fliesen verkleideten Freitagsmoschee (Jame-Moschee). Es ist „al-Arbai´in“, das Gedenkfest der Schiiten, das 40 Tage nach „Ashura“, dem Fest zum Märtyrertod von Prophetenenkel Hussein in der Schlacht von Kerbela im Jahre 680, begangen wird. Große Trauerstimmung ist aber kaum zu spüren. Die Menschenmenge, vorn Männer, hinten Frauen und Kinder, staut sich vor der Moschee, man unterhält sich. Danach verlieren sich die Leute im Gassenlabyrinth der Altstadt mit ihren Lehmhäusern, über denen sich die der Kühlung von Häusern dienenden Windtürme und die Kuppeln der Moscheen erheben. In kleinen Werkstätten sind Handwerker zugange. Läden offerieren die wunderbaren Teppiche der Region. Ab und an stößt man auf Eingänge, von denen Dutzende Stufen hinab zu den uralten Wasserkanälen (Kanat) führen. Yazd gilt als eine der ältesten Städte des Landes, 2017 wurde es von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.
Der Ort sei ein Zentrum des Zoroastrismus, dessen Anhänger oft fälschlicher Weise als „Feueranbeter“ bezeichnet werden, erklärt Stadtführerin Mahsa, die selbst der Religion angehört. Angebetet werde jedoch nicht das Feuer, sondern das von ihm ausgehende Licht, Feuer, Erde, Wasser und Luft seien die vier heiligen Elemente. In Iran gebe es heute etwa 30.000 Gläubige, davon bis zu 5.000 in Yazd.
Dann geht es im Auto der flott fahrenden Mahsa zu den Türmen des Schweigens außerhalb der Stadt. Nach der Zeremonie in den kleinen Gebäuden am Fuße der beiden Hügel wurden die Toten hinaufgetragen und auf den Türmen nieder gelegt, wo sie Geier bis auf die Knochen abnagten – die heiligen Elemente sollten rein gehalten werden. Sachkundig erläutert Mahsa die alte Zeremonie auf dem Wege hinauf zu dem Turm, der heute noch zu besichtigen ist. Seit mehr als 50 Jahren würden die Toten jedoch auf dem Friedhof in der Nähe beigesetzt.
Wir verlassen Yazd, einer der bequemen, modernen Linienbusse bringt uns nach Isfahan. Links verliert sich das Kuhrud-Gebirge in der Ferne, rechts dehnt sich die Kavir-Wüste, die wir bis zum Abzweig Nain durchqueren. Nach fast 300 Kilometern und vier Stunden rollt der Bus in Isfahan ein, mit etwa zwei Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt des Landes.
Mittelpunkt der Stadt ist der unter Schah Abbas I. angelegte Imam-Platz, der vor der Revolution noch Schah-Platz hieß. Einer der größten, aber auch schönsten Plätze der Welt. Wo sich damals der persische Adel beim Polospiel tummelte, nutzen heute Familien die großen Grünflächen zum Picknick, daneben steigen Fontänen auf, um das autofreie lang gestreckte Rechteck rollen Pferdekutschen. In den seitlichen Arkaden bieten zahlreiche Geschäfte die verschiedensten Souvenirs – von auf Kamelknochen gezeichneten zarten Miniaturbildern über Schmuck aller Art bis zu Kupfergeräten und Teppichen. Mehr davon gibt es im am Nordende des Platzes beginnenden „Königlichen Basar“. Am anderen Ende erhebt sich die blaue Imam-Moschee, flankiert von der prachtvollen Lotfollah-Moschee und dem Ali-Qapu-Palast, dessen Räume in den sechs Etagen mit zahlreichen Wandbildern geschmückt sind. Ein Gesamteindruck von der Größe des Platzes bietet der Blick von der Veranda des Schlosses. In seinen „Reisen in Asien“ schwärmte lyrisch der Schriftsteller Bernhard Kellermann: „Sooft ich den Platz betrete, das heißt seinen Rand, so wie man das Ufer eines Sees betritt, muss ich stehenbleiben und Atem schöpfen. Jedesmal, und ob ich ihn auch schon dutzendmal sah, überwältigt mich aufs neue sein Zauber.“
Hinter dem Palast erstreckt sich eine Gartenanlage mit weiteren königlichen Gebäuden, darunter Chehel-Zotun, auch „40-Säulen-Palast“ genannt, im Wasserbecken spiegeln sich seine 20 Säulen. In der Palasthalle empfingen die Safawiden-Schahs ausländische Potentaten und Gesandte. Einen Eindruck von den Festlichkeiten wie auch kriegerischen Ereignissen vermitteln die gewaltigen Wandfresken der großen Halle.
Auf die bereits erwähnten Bilder der Ajatollahs Chomeini und Chamenei trifft man übrigens auch in der etwas abseits des Zentrums liegenden Freitagsmoschee, der größten und wohl auch ältesten Moschee des Landes. In Reiseführern wird gern darauf hingewiesen, dass sich Besucher hier an einen erfahrenen Mullah zwecks Informationen über den Islam wenden könnten. An einem Plakat war zu lesen: „ASK ME your questions about ISLAM“. Ein geistlicher Gelehrter war jedoch nicht zu finden, in der Nähe unterhielten sich auf einem großen Teppich sitzend drei ältere Herren, offensichtlich jedoch Laien, während ein junger Mann bemüht war, seine Gebetsübungen zu vollziehen.

IV

Die Zeit reicht leider nicht, um alle Herrlichkeiten der „Perle Irans“ kennenzulernen. Über eine gut ausgebaute Autobahn rast der Bus gen Teheran, vorbei an Natanz, einem Ort, der durch seine Atomanlage zur Urananreicherung bekannt wurde; wir passieren die alte Handelsstadt Kashan wie auch Qom, eine der heiligen Städte der Schiiten. Vom Teheraner Hauptbahnhof startet früh am nächsten Morgen der Zug nach Norden gen Kaspischem Meer. Die atemberaubende Bahnstrecke führt zunächst durch die für Iran typische trockene Wüsten- und Berglandschaft, eine bizzare Kulisse mit zerklüfteten, spärlich bewachsenen Berghängen. An Dorfbahnhöfen warten Grüppchen von Leuten, ins Gespräch vertieft, ringsum schwärmen Schafe, im Hintergrund leuchten Berge in Rot, Braun und Grau.
Über zahlreiche Kehren und Tunnel rattert der Zug die oft extremen Steigungen des Elburs-Gebirges hinauf. Mehr als 90 Tunnel hätte allein dieser Streckenabschnitt, meint der junge eloquente Zugführer Ali nach Rückfrage in der Zentrale. Das Städtchen Firuzkuh liegt bereits 1900 Meter über dem Meer. Eine der malerischsten Stellen ist beim Ort Veresk erreicht. Vom Bahnhof blickt man auf die berühmte 273 Meter lange Bogenbrücke, die hoch oben eine tiefe Schlucht überspannt. Bis hinab zum Kaspischen Meer überwindet die Bahn einen Höhenunterschied von mehr als 2000 Metern.
Eine ganz andere Landschaft dann jenseits der Berge in der Provinz Mazanderan: Wälder, Bäche und Flüsse, eine reiche Landwirtschaft mit Reis, Weizen, Tee, Gemüse- und Obstplantagen – dank einem milden und feuchten Klima am Kaspischen Meer. Gegen ein Uhr nachmittags ist die Provinzhauptstadt Sari erreicht, die aber offensichtlich noch nicht sehr von europäischen Touristen frequentiert wird, man muss schon suchen, um Einheimische zu finden, die des Englischen mächtig sind. Auf dem Bahnhof fallen wir jedenfalls als ausländische Touristen auf, werden freundlich zur Bahnhofswache gebeten. Der Oberpolizist blättert in unserem Pass, hat offensichtlich Schwierigkeiten mit dem lateinischen Alphabet, stößt schließlich auf das iranische Visum mit Einreisestempel. Beruhigt lässt er uns ziehen, US-Spione scheinen wir nicht zu sein. Nicht so einfach hat es ein älterer Zugpassagier, dem Äußeren nach ein Kurde. Er wird gründlich observiert, bis hin zu Schuhen und Socken, darf dann aber auch den Bahnhof verlassen.
Mit Mühe finden wir zum einzigen größeren Hotel der Provinzhauptstadt. Allerdings ein Glücksfall: Gowan Asrami, Besitzer und Hoteldirektor in einem, spricht exzellent Deutsch, hatte vor vielen Jahren in der Bundesrepublik studiert und gearbeitet, nach der Revolution das Hotel „Asram“ gebaut. Heute gehört er zu den Honoratioren der Stadt. Sein Geschäft läuft, wenn er auch über Inflation und US-Sanktionen stöhnt, und natürlich würde er sich über mehr Touristen wie uns freuen.
Den nächsten Tag nutzen wir auf seine Empfehlung zu einem Ausflug ans Kaspische Meer, dessen Strand in Stadtnähe allerdings nicht sehr einladend wirkt, weil streckenweise mit Plastikmüll verschandelt. In Ufernähe schaukelt ein altes Fischerboot auf den Wellen, dem Strand schließt sich eine zu dieser Jahreszeit verlassene Feriensiedlung an. Einige Kilometer Küstenstraße weiter und unser Taxi hält vor einem Drahtzaun. Nach einem längeren Palaver und einem geringen Obolus hat unser Taxifahrer sein Ziel erreicht, der Wächter öffnet das Tor und wir fahren ein in das Naturschutzgebiet auf der Halbinsel Miankaleh, berühmt als Domizil für einheimische und Zugvögel. Die Kinder der iranischen Großfamilie, die wir hier treffen, interessieren sich jedoch mehr für die hier üppig wuchernden Sträucher mit leckeren Beeren.
Ernüchternd wirkt nach so viel Natur die Industriestadt Behshar mit ihrem für eine iranische Stadt üblichen hektischen Verkehr. Umso mehr überrascht der hoch über dem Ort mitten in einem großen Wald liegende Garten-Komplex Abbas Abad. Von der Sommerresidenz des gleichnamigen Schahs zeugen noch die malerisch Reste eines Schlosses mitten in einem kleinen See. Am Hang gegenüber erstrecken sich die Grundmauern von Wohngebäuden und Bädern, von hier öffnet sich der Blick auf das Elburs-Gebirge im Süden. Wer die heiße inneriranische Hochebene kennt, mag die Sehnsucht des Schahs nach der Sommerfrische am Kaspischen Meer verstehen.
Am nächsten Morgen ist es Zeit, nach Teheran zurückzukehren, dieses Mal per Bus durchs Hochgebirge. Neben der engen Straße recken sich hohe Berge, Felsen hängen fast über ihr; Adler kreisen am Himmel, Dohlen flattern umher. Rasch ergibt sich ein Gespräch mit der modisch gekleideten jungen Nachbarin. Haniyeh hat Informations- und Datenverarbeitung studiert und ist nun dabei, ihren Platz im Leben zu finden. Dabei hält die selbstbewusste junge Frau Gleichberechtigung für ganz normal. Als gläubige Muslimin werde sie sich jedenfalls einem künftigen Ehemann nicht unterordnen.

V

Das Fazit? Ein Land mit großem Potenzial und freundlichen, herzlichen Menschen. Die unterschwelligen Widersprüche in der iranischen Gesellschaft, die wachsenden innenpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes sind nicht zu übersehen. Hoffnungen der Trump-Administration, es mittels Sanktionen in die Knie zu zwingen, scheinen aber auf Sand gebaut. In Washington sollte man wohl eher die Mahnungen des US-Majors E.A. Powell berücksichtigen, der sich nach einer Iranreise in seinem 1927 auf Deutsch erschienenen Buch für die Unterstützung des Landes einsetzte. Bis dahin hätten die USA jedoch „mehr Neigung gezeigt, dies in Verwirrung und Kampf begriffene Volk zu kritisieren, statt ihm zu helfen. Der Kernpunkt der Wahrheit ist, daß in unserer Haltung gegenüber dem in unbegreiflich schnellem Wechsel begriffenen Orient zu viel vom schwerfälligen Okzident ist.“ Daran hat sich bis heute wohl nichts geändert.