von Jens Langer
Eginald Schlattner (Jahrgang 1933) schrieb seine großen Romane als Rentner – damals in den aufgeregten Neunzigern, als die Welt aus den Fugen geriet und die Siebenbürger Sachsen Rumänien verließen. 90 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung gingen in den Westen. Da beginnt der 50. evangelische Pfarrer von Rothberg/Rosia bei Hermannstadt seine dreibändige Siebenbürgen-Saga niederzuschreiben. Trauerarbeit eines, der bleiben will zum Segen für die gebliebenen Menschen, auch die aus anderen Ethnien: Rumänen, Roma, Ungarn, orthodox, unitarisch, reformiert, lutherisch – auch mit einem Auftrag zur Gefangenenseelsorge versehen bis heute.
„Der geköpfte Hahn“ (1998) bildet bewegend das traditionell erstarrte Nebeneinander der verschiedenen Völkerschaften ab. „Rote Handschuhe“ (2000) führt aus vertrauten landschaftlichen Höhen und Tiefen in die Kerker der Securitate, wo unterschiedlichste Gemüter auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sind. „Das Klavier im Nebel“ (2007) veranschaulicht drastisch Deportation und Enteignung, aber auch große Liebe zwischen Menschen unterschiedlicher Herkünfte. Der Regisseur Radu Gabrea hat den ersten und den dritten Roman verfilmt.
Die historischen Lehren und Einsichten für die Zukunft aus diesem Dichterwerk hat jüngst die rumänische Literaturwissenschaftlerin Andreea Dumitru dargestellt: „Multi- und Interkulturalität in Eginald Schlattners Romantrilogie“ lautet der sperrige Titel dieser aufklärerischen Dissertation. Ihr Fazit: Existenz in moderner Gesellschaft lebt davon, daß das Eigene und das Fremde von Lebensentwürfen einander begegnen und bereichern, gerade so wie es Schlattner in seiner Trilogie mit historischem Fingerspitzengefühl und dichterischer Intuition entwickelt.
Dumitru bestätigt ein aufs neue erwachtes Interesse an Schlattners Dichtung. Dazu kommen weitere Signale: Im Mai 2018 sollen die „Roten Handschuhe“ auf Russisch im Buchhandel zu haben sein, und an einer japanischen Übersetzung wird ebenfalls gearbeitet. Vor allem aber werden die „Sieben Sommer meiner Mutter“ unter einem neuen Titel als letztes Manuskript zur Leipziger Buchmesse erscheinen. Mit diesem literarischen Schlussstein hat der Dichter dann insgesamt ein Sprach-Gedächtnis der siebenbürgischen Wunden und Wunder entworfen und ausgebaut auf Zukunft. Alle antragsberechtigten Institutionen und Personen sollten endlich die Gelegenheit nutzen, für die Vergabe des Literatur-Nobelpreises an Schlattner zu werben. Den hätte er meines Erachtens schon vor Jahren gemeinsam mit Herta Müller bekommen sollen. Angesichts des am 13.9.2017 gefeierten 84. Geburtstages Schlattners ist die Frist für ein solches Engagement nicht grenzenlos.
Die Erfüllung dieses Anliegens von der Sache her ebenso wie von der Person und dem Herzen her steht allerdings in den Sternen. Neben allen verständlichen und üblichen Unwägbarkeiten hat sich nämlich seit langem eine einflussreiche Schar von Neinsagern und Verhinderern etabliert, die auf die Isolation des Dichters hinwirken. Die Vorwürfe des Verrats in den Securitate-Verhören sind von der Berliner Wissenschaftlerin Michaela Nowotnick nach sorgfältigem Aktenstudium in ihrer Dissertation von 2014 entmythologisiert und widerlegt worden. Das wird verdrängt, und vertiefte Einsichten werden nicht zugelassen. Nun ist Schlattner allerdings auch ohne diese Leute und trotz ihrer zu einem europäischen Schriftsteller geworden. Wenn sich jetzt die Stimmen einzelner Personen und Medien mit der poetischen Stimme eines siebenbürgischen Dichters verbinden, der aus hiesiger Perspektive in einem abgelegenen Winkel Südosteuropas lebt, soll damit wenigstens auf die Berechtigung, Notwendigkeit und Dringlichkeit der Anerkennung eines Lebenswerkes hingewiesen werden. Das immerhin kann hiermit geschehen.
Michaela Nowotnick: Die Unentrinnbarkeit der Biographie. Der Roman „Rote Handschuhe“ von Eginald Schlattner als Fallbeispiel rumäniendeutscher Literatur, Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2016, 359 Seiten, 50,00 Euro.
Schlagwörter: Dichtung, Eginald Schlattner, Jens Langer, Michaela Nowotnick, Rumänien, Securitate, Siebenbürger Sachsen